WELCOME TO NORWAY | Welcome to Norway
Filmische Qualität:   
Regie: Rune Denstad Langlo
Darsteller: Anders Baasmo Christiansen, Olivier Mukuta, Slimane Dazi, Henriette Steenstrup, Renate Reinsve, Nini Bakke Kristiansen
Land, Jahr: Norwegen 2016
Laufzeit: 91 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 10/2016


José García
Foto: Neue Visionen

Bisher hatte Primus (Anders Baasmo Christiansen) mit seinen Geschäftsideen einfach kein Glück. Nun sieht er seine große Stunde gekommen, als für Flüchtlinge in Norwegen Unterkünfte gesucht werden. Winken dafür doch Subventionen in Millionenhöhe aus der Staatskasse. Sein Pleite gegangenes Hotel im Norden Norwegens würde sich dafür bestens eignen — wenn mit den nötigen Reparaturen aus dem maroden Gebäude eine bewohnbare Bleibe geworden ist. Die Ausländerbehörde kontrolliert alles genau, und ihr fallen immer neue Mängel auf. Aber der Pragmatiker Primus bleibt optimistisch.

Als die fünfzig Flüchtlinge aus Irak, Syrien, Libanon, Russland, Äthiopien und Burundi tatsächlich ankommen, stellt Primus fest, dass es mit der Kommunikation gar nicht so einfach ist. Gut, dass Abedi (Olivier Mukuta) als Einziger Norwegisch kann und Primus? Anweisungen ins Arabische übersetzt. Dennoch ist es für Primus, der immer noch von "Negern" spricht, gar nicht so einfach, beispielsweise Sunniten von Schiiten zu unterscheiden. Weil Primus? Frau Hanni (Henriette Steenstrup) auf Norwegens Migrationspolitik schimpft und keinen Finger rührt, kann Primus nur auf Abedi zählen. Zoran (Slimane Dazi) wird langsam als Elektroingenieur aber bald ebenfalls unverzichtbar, um den Strom im Gebäude zum Laufen zu bringen.

"Welcome to Norway" erzählt mit schwarzem Humor und leichtfüßig von einer überaus ernsten Frage. Rune Denstad Langlo geht es allerdings nicht so sehr um die Flüchtlingsfrage an sich als vielmehr um die Überwindung von Vorurteilen. So ist der durchschnittliche Norweger Primus zunächst einmal ausschließlich auf seinen Vorteil bedacht. Die Menschen, die er unterbringen soll, behandelt er lediglich als Mittel zum Zweck — bis er in der Begegnung mit Menschen wie Abadi und Zoran diese Vorurteile überwindet. "Welcome to Norway" ist keine Multi-Kulti-, sondern eine zutiefst menschliche Komödie.


Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Rune Denstad Langlo

In einem Interview sagte Ihr finnischer Regie-Kollege Aki Kaurismäki einmal, nach Finnland wolle niemand auswandern. Trifft das auch für Norwegen zu?

Dies ist eine lustige Aussage. In Norwegen ist es ebenfalls sehr kalt. Aber ich denke, dass Norwegen etwas populärer als Finnland ist; denn die Finnen sind schon sehr eigen.


Die damit verbundene Frage lautet, ob Menschen, die aus Afrika und dem Nahen Osten stammen, freiwillig ins kalte Norwegen ziehen würden?

Wahrscheinlich informieren sich die Flüchtlinge kaum über den Wetterbericht. Zurzeit werden ganze Busladungen Flüchtlinge in den kalten Norden gebracht. Dort bleiben sie jahrelang. Sie wundern sich dann, dass sie ganz dicke Jacken brauchen. Es ist eine tragische Situation.


Ihr Film hat die Situation vorweggenommen. War der Film schon fertig, als der große Flüchtlingsstrom im Spätsommer 2015 begann?

Zu dem Zeitpunkt saß ich im Schneideraum. Ich hatte schon zwei Jahre mit dem Schreiben verbracht und dann gedreht, lange bevor die sogenannte Flüchtlingskrise begann. Allerdings handelt der Film nicht von der Flüchtlingskrise. Er ist weder politisch noch religiös. Es geht um eine menschliche Geschichte über Freundschaft und über Menschen, die sich an einem bestimmten Ort begegnen, über Charaktere, die weder gut noch böse sind ... so wie wir (lacht). Mir war es wichtig, dass die Komparsen selbst aus einem Aufgangslager in Norwegen kamen. Ebenso wichtig ist es, dass in "Welcome to Norway" alle miteinander lachen können — nicht nur die einen über die anderen. Gerade Flüchtlinge brauchen dieses Gemeinsam-Lachen.


Beispielsweise Olivier Mukuta. Er ist selbst ein Flüchtling ...

Olivier lebte elf Jahre in Malawi in einem Flüchtlingscamp. In "Welcome to Norway" steht er erstmals vor einer Filmkamera. Er ist schon ein lustiger Vogel. Als er vor ein paar Wochen den norwegischen Oscar für diese Rolle bekommen hat, habe ich vor Rührung geweint.


Kann Ihr Film so zusammengefasst werden: Ein durchschnittlicher Mensch, der voller Vorurteile ist, überwindet sie, wenn er konkreten Menschen begegnet?

Ja, ich stimme dieser Zusammenfassung zu. Das Schöne an Filmen ist es, dass sich ein Mensch in 90 Minuten verändern kann. Ob sich Primus so sehr verändert, würde ich aber offen lassen. Jedenfalls würden sich viele Norweger in ihm wiedererkennen — er ist so eine Art Durchschnittsnorweger. In "Welcome to Norway" haben alle Makel und Fehler, aber sie arbeiten an einem gemeinsamen Projekt. Das trägt dazu bei, dass sie glücklicher werden, dass sie ein besseres Leben führen können.


Heute werden viele Hotels als Übergangsunterkünfte für Flüchtlinge benutzt. Aber als Sie am Drehbuch zu schreiben anfingen, war dies nicht der Fall. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich sah im Jahre 2006 oder 2007 im norwegischen Fernsehen einen Dokumentarfilm über einen etwas chaotischen Mann, der in seinem Hotel ein Aufnahmelager eröffnet hatte. In der Dokumentation wurde die Lage als so tragisch geschildert, dass sie fast wieder lustig war. So kam mir die Idee, dass dies eine gute Geschichte für einen Film sein könnte. Dann kamen andere Projekte, z.B. "Nord" (2009) dazwischen. Vor drei Jahren sprach mich jedoch mein Produzent darauf an. Ich sagte zu ihm: "Wenn Du das Geld dafür besorgst, mache ich den Film." Das Drehbuch zu schreiben, war für mich übrigens auch eine sehr lustige Erfahrung.


War "Welcome to Norway" von Anfang an als Komödie gedacht? Die Menschen, um die es im Film geht, haben ja ganz schlimme Dinge erlebt.

Ich habe mich immer für die Weltpolitik interessiert. Denn das habe ich studiert — ich war nie auf einer Filmschule. Die Probleme, die zurzeit die Welt bewegen, sind für mich sehr deprimierend. Sie berühren mich auch, so dass ich versuche, Menschen zu unterstützen, die sich in dem Bereich engagieren. Dennoch war es für mich von Anfang an klar, dass der Film eine klassische Komödie sein sollte. Die Komparsen im Film haben als Flüchtlinge Schreckliches erlebt, aber sie haben den Film total genossen. Für sie war es sehr wichtig, über ihr Schicksal zu sprechen und gemeinsam zu lachen.


Eigentlich ist Primus ein typischer Komödien-Protagonist, vielleicht sogar etwas klischeehaft. Er bekommt nichts auf die Reihe. Auch wenn er auf den ersten Blick nur auf seinen Vorteil aus zu sein scheint, hat er ein großes Herz. Wie würden Sie Primus charakterisieren?

Diese Schilderung gefällt mir. Primus ist in der Tat die Hauptfigur des Films. Der Name "Primus" kommt von "primus motor". Er ist derjenigen, der den Antrieb gibt. Schwierig war es, die Figur auszubalancieren, damit er nicht einfach wie ein Idiot, sondern wie ein liebenswürdiger Verlierer wirkt. Primus ist ein pragmatischer Norweger, der wahrscheinlich in der Zeitung gelesen hat, dass man mit der Unterbringung von Flüchtlingen Geld verdienen kann. Er denkt sich, sie werden einfach in ein Zimmer gesteckt, und dann läuft es. Bald stellt er aber fest, dass es nicht so einfach ist. Die Flüchtlinge selbst konfrontieren ihn damit, dass es so nicht geht. Der andere Protagonist, der von Olivier Mukuta verkörperte Abedi, scheint sehr verschieden von Primus zu sein. Aber bald stellt es sich heraus, dass sie vieles gemeinsam haben, dass die beiden versuchen, sich durchzumogeln.


Wie haben Sie sich auf dem Set verständigt? Im Film sprechen die meisten Arabisch, nur Abedi kann Norwegisch. Und Zoran (Slimane Dazi) sowohl Französisch als auch Englisch ...

Der Hauptdarsteller und ich sprechen nur Norwegisch und Englisch. Mein Kameramann spricht Französisch, und Olivier Französisch, Swahili, Arabisch, Englisch und weitere Sprachen. So war er der natürliche Bezugspunkt, wie im Film. Es hat mich schon irritiert, wenn hinter meinem Rücken Französisch gesprochen wurde. In dieser Hinsicht ist der Film realistisch. Auf dem Set wurden vierzehn Sprachen gesprochen.
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