LA ISLA MÍNIMA - MÖRDERLAND | La isla mínima
Filmische Qualität:   
Regie: Alberto Rodríguez
Darsteller: Raúl Arévalo, Javier Gutiérrez, Antonio de la Torre, Nerea Barros, Jesús Carroza, Salva Reina, Manolo Solo
Land, Jahr: Spanien 2014
Laufzeit: 104 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G, D
im Kino: 8/2016
Auf DVD: 10/2016


José García
Foto: Polyfilm

Der kunstvoll stilisierte Vorspann weckt zwar Assoziationen mit Gehirnwindungen. Später wird es sich aber herausstellen, dass es sich um die Windungen des Guadalquivir-Flusses im spanischen Andalusien handelt. Der Spielfilm "La isla mínima - Mörderland" von Alberto Rodríguez setzt denn auch immer wieder die unendlich scheinenden Verzweigungen des Flusses ins Bild. Die Kamera von Alex Catalán zeigt das Marschland aus der Vogelperspektive in unterschiedlichen Farben, die von der gleißenden Sonne in Sepiatöne getaucht werden. Was gleichzeitig den Eindruck erweckt, dass die Filmbilder Patina angesetzt haben. Denn die Handlung ist im September 1980 angesiedelt.

Zwei Polizisten kommen aus Madrid, um das Verschwinden zweier minderjähriger Schwestern aufzuklären. Schon sehr früh wird deutlich, dass weder der ältere Juan (Javier Gutiérrez) noch der jüngere Pedro (Raúl Arévalo) dies als eine Auszeichnung, sondern eher als eine Bewährungsprobe, als eine Chance ansehen, sich zu rehabilitieren. Ebenfalls deutlich wird es von Anfang an, dass sich weder Rodrigo (Antonio de la Torre), der Vater der verschwundenen 15- beziehungsweise 16-Jährigen, noch das restliche Dorf kooperativ zeigt. Dazu kommt der Gegensatz zwischen den beiden Ermittlern, die teilweise zu offener Konfrontation führt. Juan beteiligte sich in der Franco-Zeit als Mitglied der politischen Polizei an repressiven Maßnahmen. Er soll sogar auf Demonstranten geschossen haben. Juan hingegen steht für das demokratische Spanien, auch wenn er ebenfalls manchmal auf handgreifliche Methoden zurückgreift.

Drehbuchautor und Regisseur Alberto Rodríguez folgt in der äußeren Handlung den Regeln eines Thrillers: Auf die Entdeckung der ermordeten und verstümmelten Mädchen folgt die Aussage eines gestört wirkenden Zeugen, der von ähnlichen Fällen in der Vergangenheit erzählt. Die Polizisten finden heraus, dass den verschwundenen jungen Frauen in einer anderen Stadt Arbeit angeboten wurde. Verdächtige kommen ins Visier, ob es sich dabei um Frauenheld Quini (Jesús Castro) oder aber um einen ebenfalls mysteriös verschwundenen Mann handelt, der den Mädchen die Arbeit angeboten hatte. Dabei nimmt Pedro die Hilfe eines schnodderigen Fotoreporters (Manolo Soto) in Anspruch, um einige Details aus dem von der Mutter der ermordeten Mädchen Rocío (Nerea Barros) überlassenen, halbverbrannten Negativ herauszufinden.

"La isla mínima - Mörderland" bietet jedoch unter dieser Handlung ein Sittenbild der (süd-)spanischen Gesellschaft in der sogenannten Übergangszeit von der Franco-Zeit in die Demokratie. Die jungen Menschen und insbesondere die jungen Frauen wollen weg aus dieser Gegend, in der die Tristesse mit Händen greifbar wird. Kameramann Alex Catalán kontrastiert die Weite der Landschaft mit Bildern, die eine klaustrophobische Enge verdeutlichen. Während die Jüngeren dem Landstrich entfliehen wollen, haben sich die Älteren auf illegale Geschäfte eingelassen, die mehr Gewinn versprechen als die traditionellen Bereiche ? Fischfang und Erntearbeit auf dem Gut des Großgrundbesitzers. Der lediglich angerissene Arbeitskampf mit drohendem Streik zeigt, dass auf dem andalusischen Land noch die alten autoritären Strukturen vorherrschen.

Alberto Rodríguez verknüpft die atmosphärisch dichte Krimi-Erzählung mit der Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, indem er die melancholisch-unruhige Musik von Julio de la Rosa mit einem gemächlichen Erzähltempo sowie mit den schön anzusehenden Panoramen einer labyrinthischen Landschaft verbindet. Damit verwebt aber Rodríguez den französischen Noir-Film aus den sechziger und siebziger Jahren mit aktuellen skandinavischen Thrillern, etwa den Verfilmungen der Romane von Jussi Adler-Olsen. Erlösung - Flaschenpost von P verzahnte ebenso eine äußere kriminalistische Handlung mit einer Milieuschilderung, in der die Landschaft eine zentrale Rolle spielt. In "La isla mínima - Mörderland" wird die Bedeutung des sonnendurchfluteten Handlungsortes gegenüber "Erlösung - Flaschenpost von P" sogar noch gesteigert.

Neben dem visuellen Stilmittel des Kontrastes zwischen der weiten Landschaft mit den endlos scheinenden Windungen der Flussläufe und der Enge in den Häusern und insgesamt im Dorf setzt Drehbuchautor und Regisseur Alberto Rodriguez auf der narrativen Ebene den Kunstgriff des elliptischen Erzählens ein. Statt auf äußere Effekte zu setzen, spart er sie immer wieder aus. So erlebt der Zuschauer beispielsweise die Vorbereitungen auf ein Verbrechen, das er aber nicht sehen wird. Auch der Einsatz von Fotonegativen, die zwar Einiges zeigen, aber Entscheidendes verbergen, passt ins Bild. Ähnliches lässt sich über das Privatleben der Ermittler sagen: Eher beiläufig erfährt der Zuschauer, dass Pedro bald Vater werden wird, und dass Juan schwerkrank ist. Die jeweiligen Darsteller Raúl Arévalo und Javier Gutiérrez gestalten die Figuren der Polizisten Pedro und Juan glaubwürdig, ohne den Schleier des Geheimnisvollen ganz zu lüften.

"La isla mínima - Mörderland" schafft eine Spannung auf verschiedenen Ebenen, die den Zuschauer von Anfang an in seinen Bann zieht. Allerdings lässt das nicht ganz gelungene Ende durchaus Fragen offen, deren Beantwortung der Zuschauer berechtigterweise erwartet hatte.

"Mörderland" wurde 14 Mal für den spanischen Filmpreis "Goya" nominiert. Er gewann 10 Preise, darunter für Film, Regie, Kamera und Drehbuch. 2015 erhielt er außerdem den Publikumspreis beim Europäischen Filmpreis.
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