TREPPE AUFWÄRTS | Treppe Aufwärts
Filmische Qualität:   
Regie: Mia Maariel Meyer
Darsteller: Hanno Koffler, Christian Wolff, Matti Schmidt-Schaller, Karolyna Lodyga, Patricl Wolff, Ken Duken, Antonio Wannek
Land, Jahr: Deutschland 2015
Laufzeit: 92 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 6/2016


José Garcia
Foto: missingFILMs

Taxifahren ist für Adam (Hanno Koffler) lediglich Tarnung. Denn der junge Mann verbringt seine Zeit heimlich in Spielhöllen und Automatencasinos. Mit dem Gewinn möchte er den Schuldenberg tilgen, den sein spielsüchtiger Vater Woyzeck (Christian Wolff) im Laufe der Jahre angehäuft hat. Zusammen mit dem Vater, der inzwischen an Demenz leidet, lebt Adam heute in einem heruntergekommenen Haus am Rande Berlins.

Der Vater wohnt im oberen Stockwerk - daher der Filmtitel. Hin und wieder reißt aber der alte Mann aus. Obwohl er desorientiert wirkt, führen ihn seine Wege zielstrebig in die Spielhalle, wo ihn Adam abholen und nach Hause bringen muss. Dass Adam aus den einarmigen Banditen wirklich Geld herausholt, verdankt er der Manipulation der Automaten, die er in seinem Keller betreibt.

Einziger Lichtblick in Adams tristem Leben ist die ukrainische Thekenwirtin Dosie (Karolyna Lodyga), der er sich auf seinen Streifzügen angenähert hat und zu der er eine Beziehung anzubahnen hofft. So stellt sich die Ausgangslage im Spielfilm "Treppe Aufwärts" von Mia Maariel Meyer dar, der bei den Internationalen Hofer Filmtagen 2015 seine Weltpremiere erlebte.
Die Handlung wird vorangetrieben, als Adams 16-jähriger Sohn Ben (Matti Schmidt-Schaller) plötzlich vor der Tür steht. Ben hat sich mit seiner Mutter, zu der Adam schon lange keinen Kontakt mehr hat, zerstritten. Obwohl der Junge zu seinem Vater ein gespanntes Verhältnis hat, möchte er für eine Weile bei ihm wohnen. Adam fühlt sich nun doppelt überfordert, sowohl in der Sohn- als auch in der Vaterrolle. Die Situation spitzt sich zu, als Ben auf den Kleinkriminellen Bardo (Patrick Wolff) trifft: Nachdem der Junge dem Kriminellen Geld geklaut hat, wird er von Bardo zur Rede gestellt. Um seine Schulden abzutragen, wird er mehr oder minder widerwillig zum Geldeintreiber für Bardo, der ausgerechnet Geschäfte mit der Manipulation von Spielautomaten macht.

Ähnlich "Das Geständnis" (siehe Fimarchiv) entstand "Treppe Aufwärts" ohne öffentliche Gelder. Der Film wurde vielmehr auf der Grundlage von "Crowdfunding" ("Schwarmfinanzierung") gedreht: durch die Unterstützung vieler Geldgeber (der "Crowd"). Auf startnext.de lief dafür eine Kampagne, bei der "jeder Cent in den Film gesteckt wird", so Mit-Produzent Patrick Wolff. Und ähnlich "Das Geständnis" sieht man Mia Maariel Meyers Film das kleine Budget an. Das Sozialdrama zeichnet sich insbesondere durch düstere Farben aus. Mit seiner Kamera fängt Marco Braun vor allem die Tristesse von Spielhallen, Hinterhöfen und dem baufälligen Einfamilienhaus am Ende einer Plattenbausiedlung überwiegend bei Nacht ein. Die nüchterne, minimalistische Inszenierung trägt freilich auch dazu bei, dass kein Pathos, kein - wie es so schön heißt - "Sozialkitsch" entsteht.

Die Kamera übernimmt Adams Standpunkt, der nicht nur die mittlere der drei Generationen repräsentiert. Denn er ist der Mittelpunkt der Handlung, weil sich der vermeintliche Taxifahrer dagegen stemmt, die Kontrolle über das Leben, über das eigene, über das seines Vaters und auch über das des Sohnes zu verlieren. Das Leben des immer wieder aggressiv werdenden Vaters wird er wohl kaum mehr ganz in den Griff gekommen. Aber Ben darf nicht auf die schiefe Bahn geraten - darüber ist sich Adam im Klaren. Auch wenn Adam häufig dem Schicksal ausgeliefert zu sein scheint, besitzt er doch noch genug Freiheit, aus dem Teufelskreis auszubrechen.

Das von Regisseurin Mia Maariel Meyer nach ausgiebigen Recherchen im Spielsucht-Milieu selbst verfasste Drehbuch wirkt häufig wie eine Versuchsanordnung, als wolle sie mit filmischen Mitteln der Frage nachgehen: Was macht eine Sucht, auch wenn sie eine nicht-stoffgebundene Abhängigkeit ist, aus einem Menschen? Wie kann jemand geschützt werden, der droht, in die Sucht zu geraten?

Deshalb wirken einige Situationen zu sehr "drehbuchgesteuert" und deshalb nicht ganz glaubwürdig, etwa dass Ben an einen Kleinkriminellen gerät, der in genau derselben "Branche" Spielautomatenbetrug wie sein Vater arbeitet. Dementsprechend agieren Nebenfiguren wie Bardo oder auch Dosie als Bardame mit Herz arg holzschnittartig.

Dennoch überzeugen die Schauspieler in den drei Hauptrollen. Selbst Christian Wolff kann seiner wiederum schematischen Figur des Demenzkranken die eine oder andere Nuance abgewinnen. Vor allem aber Hanno Koffler verkörpert Adam mit einer ganzen Palette an Gefühlen und Empfindungen, obwohl der Spieler mit der Taxifahrer-Tarnung zunächst als kalt und abgebrüht auftritt. Aber der Kerl mit der harten Schale beginnt schon gegenüber Dosie allmählich Gefühle zu zeigen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater wird nach und nach die Zuneigung deutlich, die er noch für ihn hegt.

Komplizierter gestaltet sich Adams Beziehung zu seinem pubertierenden Sohn Ben. Um das Misstrauen, das ihr Verhältnis prägt, die Wut, die Ben zunächst gegen seine Vater spürt, sowie Adams Sorge wegen der Botengänge Bens für den Kleinkriminellen zu verdeutlichen, brauchen Hanno Koffler und der Jungschauspieler Matti Schmidt-Schaller nicht viele Worte zu machen. Blicke und kleine Gesten, die von Marco Brauns Kamera sehr nah verfolgt werden, reichen dazu vollkommen aus. Die unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Empfindungen der drei Hauptfiguren zueinander geben auch den Rhythmus im Film von Mia Maariel Meyer vor. Über das Thesenhafte hinaus gelingt es ihr dank der schauspielerischen Leistungen, von drei Generationen am Rande der Gesellschaft zu erzählen.
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