NICHOLAS NICKLEBY | Nicholas Nickleby
Filmische Qualität:   
Regie: Douglas McGrath
Darsteller: Charlie Hunnam, Jamie Bell, Christopher Plummer, Jim Broadbent, Juliet Stevenson, Nathan Lane, Anne Hathaway, Tom Courtenay
Land, Jahr: USA / Großbritannien / Deutschland / Niederlande 2002
Laufzeit: 132 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: -


JOSÉ GARCÍA
Foto: Solofilm

Charles Dickens (1812 –1870) gehört zu den großen Erzählern des 19. Jahrhunderts, dessen Werke – „Oliver Twist“, „David Cooperfield“, „Eine Geschichte zweier Städte“, „Weihnachtsgeschichte“ – seit den Anfängen des Kinos immer wieder verfilmt werden. Sogar für 2005 wird bereits jetzt eine weitere „Oliver Twist“-Verfilmung angekündigt, bei der Roman Polanski Regie führen und die er produzieren wird. Ein wesentlicher Grund für die Bevorzugung Dickenscher Stoffe für die große Leinwand liegt sicherlich in den zutiefst menschlichen Fragen, die Dickens in seinen Romanen anspricht. Darüber hinaus eignet sich Charles Dickens Erzählfluss hervorragend für das Medium Film.

„Nicholas Nickleby“ (1839) war nach „Die Pickwickier“ und „Oliver Twist“ der dritte Roman von Charles Dickens. Wie schon in „Oliver Twist“ geißelt der englische Romancier in „Nicholas Nickleby“ eine der hässlichsten Folgen der Industrialisierung: Kindermisshandlungen. Zu den Lehr- und Wanderjahren des 19jährigen Nicholas Nickleby gehören die Erlebnisse als Hilfslehrer in einem Internat namens „Dotheboys Hall“, in das unerwünschte Kinder abgeschoben wurden. Als Vorbild für diese vom sadistischen Mr. Squeers geleitete „Erziehungsanstalt“ diente eine Schule in Yorkshire, die Dickens im Jahre 1838 besuchte. Dort waren mehrere Kinder infolge der Misshandlungen gestorben oder erblindet.

Die Adaption für die Kinoleinwand eines mehr als 700-seitigen Romans, der in der Theater-Fassung der Royal-Shakespeare-Company neuneinhalb Stunden in Anspruch nahm, erforderte deutliche Kürzungen der Nebenhandlungen sowie Einschnitte in der Entfaltung einiger Figuren. Andererseits erleichtert das Episodenhafte an Dickens Romanen – sie wurden zumeist als Fortsetzungsromane veröffentlicht – deren Adaption für ein Kinodrehbuch.

Obwohl in „Nicholas Nickleby“ etwa Nicholas’ Mutter im Gegensatz zum Roman zu einer Randfigur verkommt, kann die Filmdrehbuch-Version im Großen und Ganzen als durchaus gelungen bezeichnet werden: der Spielfilm bleibt dem Kern der Vorlage treu. Denn er konzentriert sich auf den zentralen Konflikt zwischen Nicholas und seinem Onkel Ralph, an den sich Nicholas mit seiner Mutter und seiner Schwester Kate nach dem Tod des Vaters wendet. Dank der ausgezeichneten Darstellung des lediglich um sein Geld besorgten, einem Mr. Scrooge aus der „Weihnachtsgeschichte“ nicht unähnlichen, verbitterten alten Mannes zieht Christopher Plummer in diesem Ensemblefilm die meiste Aufmerksamkeit auf sich.

Abgekürzt, glücklicherweise aber nicht ausgelassen wurden die Theater-Episoden mit der Theatertruppe von Vincent Crummles. Denn sie bringen nicht nur Abwechselung im Drama, sondern spiegeln auch die große Liebe wider, die Dickens zeit seines Lebens für das Theater hegte. Andererseits animiert diese Literaturverfilmung zum Lesen des Romans, um die Fülle der Charaktere und Schauplätze im Original zu genießen.

„Nicholas Nickleby“ lebt nicht nur von der durchgängig guten Schauspielkunst und der unauffällig und dennoch wirkungsvollen Schauspieler-Führung durch Regisseur Douglas McGrath, sondern insbesondere auch von der sorgfältigen Ausstattung und Kameraführung. Der Gegensatz zwischen der ländlichen Idylle und der bedrückenden Atmosphäre in einer Stadt zu Beginn der Industrialisierung kommt besonders in der Szene zum Ausdruck, als Nicholas, Kate und die Mutter in London eintreffen, inklusive makabre Elemente wie das Schild eines Bestattungsunternehmers, das einen Sarg mit drei toten Babys zeigt – wie die Filmemacher betonen, stammt das authentische Schild aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts.

Die warmen und hellen Farben auf dem Land kontrastieren mit dem Grau in Grau Londons und den dunklen Tönen im Internat. „Nicholas Nickleby“ besticht durch seine „klassische“, lineare Erzählweise ohne Spezialeffekte und ohne Zeitsprünge, die in den letzten zehn Jahren zum meist eingesetzten Erzählmuster im Kino geworden sind. Eine Erzählweise, die zum klassischen Sujet des Kampfes zwischen guten und egoistischen Menschen wunderbar passt.
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