FAMILY BUSINESS | Family Business
Filmische Qualität:   
Regie: Christiane Büchner
Darsteller: (Mitwirkende): Jowita und Andrzej Sobolak sowie Anne Pacht und ihre Töchter Ulrike und Birgit
Land, Jahr: Deutschland 2015
Laufzeit: 89 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 2/2016


José García
Foto: RealFiction

Polnische Haushaltshilfen sind in Deutschland zu einem Massenphänomen geworden. Wenn sich die eigenen Familienangehörigen nicht in der Lage sehen, einen älteren Menschen zu pflegen, übernimmt häufig diese Aufgabe eine Hausangestellte aus dem Nachbarland. Darüber hat nun Christiane Büchner den Dokumentarfilm „Family Business“ gedreht. Dazu führt sie aus: „Fast jeder in Deutschland kennt Familien, die eine Polin beschäftigen. Jeder in Polen kennt in seinem direkten Umfeld Frauen (selten auch Männer), die in deutschen Familien arbeiten. Und beide Seiten wissen dazu viele Geschichten zu erzählen.“ Christiane Büchner erzählt exemplarisch eine solche Geschichte aus den beiden Perspektiven.

In der Nähe von Lublin führen Jowita und Andrzej Sobolak durch das längst noch nicht fertige Haus. Eigentlich ist das Haus noch eher eine Baustelle. Aber sie möchten ihr Eigenheim ohne Bankkredit bauen. Dafür nehmen sie Einiges in Kauf, beispielsweise auch längere Trennungszeiten. Denn Jowita Sobolak hat sich bei einer deutsch-polnischen Agentur angemeldet, die polnische Betreuerinnen für pflegebedürftige Menschen in Deutschland legal vermittelt. Das Filmteam begleitet sie nicht nur auf dem Rundgang durch ihr unfertiges Haus, wo etwa die 13-jährige Tochter sehnsüchtig auf ein eigenes Zimmer wartet, sondern auch bei Lehrgängen über die Betreuung älterer Menschen. Denn mit der Pflege hat Jowita noch keinerlei Erfahrung.

Ortswechsel. In Bochum lebt die 88-jährige Anne Pacht in ihrem Einfamilienhaus. Nachdem sie verwitwet ist, versuchen ihre Töchter Ulrike und Birgit, sich um sie zu kümmern. Da sie aber beide berufstätig sind und ihre eigene Familie mit Kindern haben, kommen sie bald an ihre Grenzen. Weil ihre Mutter Anne unbedingt zu Hause bleiben möchte, bleibt ihnen nur noch eine Möglichkeit: Wie etwa 200 000 andere Familien in Deutschland eine Haushaltshilfe aus Osteuropa einzustellen.

Die Kamera begleitet aber zunächst einmal Jowita bei ihrem Abschied von Mann und Tochter sowie auf dem Weg mit dem Bus nach Bochum. Während der Reise fragt sie sich, ob die alte Dame sie akzeptieren wird. Für Anne Pacht gestaltet sich das Zusammenleben mit der polnischen Haushaltshilfe nicht gerade einfach, denn so richtig in ihrem Leben einordnen kann sie, bei der erste Anzeichen von Demenz festzustellen sind, Jowita nicht. Anne meckert über Jowitas Kochkünste und erst recht über deren Rauchpausen. Sie klagt über deren mangelhafte Deutschkenntnisse: „Sie ist nicht meine Kragenweite. Wenn sie keine Ausbildung hatte, kann sie keine Bildung haben.“ Die Tage werden zäh und lang für Jowita, die Sehnsucht nach ihrer Familie spürt und sich in das Leben der alten Dame auch nicht ganz einzufühlen vermag. Und hier soll sie zunächst einmal zwei Monate bleiben: „Zwei Monate sind eine lange Zeit“.

Endlich sind die zwei Monate vorbei. Wie gesetzlich vorgeschrieben, muss Jowita dann für wieder zwei Monate nach Hause zurück. Sie wird von einer ebenfalls aus Polen stammenden Haushaltshilfe abgelöst. Anja spricht nicht nur besser Deutsch. Sie hat darüber hinaus mehr Erfahrung mit der Betreuung Pflegebedürftiger. Dementsprechend tritt sie selbstbewusst auf – auch gegenüber Jowita. So möchte Anja die Ablösung nicht im zwei-Monate-Rhythmus, sondern monatlich gestalten, was nicht zuletzt höhere Reisekosten verursachen würde. Als Jowita wieder nach Bochum reist, erkennt sie Anne nicht wieder. So schwierig hatte sie sich den Job nebst Begleiterscheinungen offenkundig nicht vorgestellt.

Obwohl sich „Family Business“ zu Beginn eher auf das Leben der polnischen Familie konzentriert, spielt sich Büchners Film fast ausschließlich in Annes Haus ab. Die meiste Filmzeit sind außerdem allein die zwei Frauen zu sehen, wobei Christiane Büchner die eigentlichen Pflegearbeiten ausspart, so dass der Film niemals voyeuristisch wirkt. „Family Business“ stellt vielmehr die psychologischen Aspekte der Beziehung zwischen der pflegebedürftigen Deutschen und der polnischen Haushaltshilfe in den Mittelpunkt. Nicht ausgespart werden hingegen die finanziellen Belange: „Für Jowita ist Annes Wohnung ein Arbeitsplatz“, führt Christiane Büchner aus. „Für Anne ist Jowita mal eine Art Gast, mal eine Hausangestellte. Ihre Rolle ist für sie verwirrend. Wie soll sie sich zu ihr verhalten? Annes Töchter sind beide berufstätig. Sie geben den täglichen Teil der Pflege an Jowita ab und wissen bald viel weniger vom Alltag ihrer Mutter als Jowita.“ Hin und wieder spricht Jowita in die Kamera, um ihre Sicht der Situation und ihre Gemütsverfassung zu verdeutlichen.
Bei der Verleihung des Prädikats „besonders wertvoll“ erklärt die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW: „Ob Sprachbarrieren, kulturelle Andersartigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten ob der Haushaltsführung – der Zuschauer ist direkt mit eingebunden und erlebt so direkt viele heitere, anstrengende, schwierige, aber auch berührende Momente. Dies verdankt der Film einer großen und stets spürbaren Vertrautheit zwischen der Regisseurin und den Menschen, die sie begleitet. Trotz der großen Nähe beobachtet Büchner nur und mischt sich nicht ein. Das Thema hätte aktueller nicht gewählt sein können.“

„Family Business“ erweist sich als ein auf den ersten Blick unspektakulärer Film, der durch die von einem sparsamen Einsatz von Filmmusik unterstützten, sorgfältig gewählten Bildeinstellungen eine beobachtende Position einnimmt. Aber auch die Situationskomik bricht sich immer wieder Bahn, so dass Büchners Film kurzweilig wirkt.
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