LOUDER THAN BOMBS | Louder than bombs
Filmische Qualität:   
Regie: Joachim Trier
Darsteller: Isabelle Huppert, Gabriel Byrne, Jesse Eisenberg, Devin Druid, Amy Ryan, Rachel Brosnahan, David Strathairn
Land, Jahr: Dänemark, Norwegen, Frankreich, USA 2014
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 1/2016
Auf DVD: 5/2016


José Garcia
Foto: MFA +

Der Spielfilm „Louder than Bombs“ beginnt drei Jahre nach dem tödlichen Verkehrsunfall der renommierten Kriegsfotografin Isabelle Reed (Isabelle Huppert). Nun sollen in einer Ausstellung ihre wichtigsten Werke gewürdigt werden. Um die Bilder für die Retrospektive auszusuchen, kehrt ihr ältester Sohn Jonah (Jesse Eisenberg) erstmals seit der Geburt seiner kleinen Tochter ins Elternhaus zurück. Sein Vater Gene (Gabriel Byrne) hatte einst seine Schauspielkarriere wegen der Familie an den Nagel gehängt, und führt seitdem ein ziemlich graues Berufsleben als Lehrer an einem Gymnasium. Obwohl er am plötzlichen Tod seiner Frau schwer trägt, lässt er sich auf eine kurze Affäre mit seiner Kollegin Hannah (Amy Ryan) ein – was ihm allerdings seine innere Leere nur noch schmerzhafter bewusst macht. Schwer zu tragen hat Gene freilich auch am Auseinanderleben von seinem jüngsten Sohn Conrad (Devin Druid). Der 15-Jährige kapselt sich immer mehr ab und verbringt seine gesamte Freizeit bei Computerspielen. Mit seinem Vater redet er überhaupt nicht.

Der instabile Zusammenhalt in der Familie droht vollends aus dem Gleichgewicht zu geraten, als Isabelles langjähriger Kollege Richard (David Strathairn) ankündigt, anlässlich der Retrospektive einen Artikel über die Kriegsfotografin in der „New York Times“ veröffentlichen zu wollen. Darin möchte er auch die wahren Hintergründe von Isabelles Tod ansprechen. Die Ankündigung versetzt insbesondere Gene in Aufruhr, weil Conrad die Umstände des Todes seiner Mutter noch nicht kennt. Sie wurden dem damals 12-Jährigen zum Schutz verschwiegen. Gene hofft, dass Jonah die Aufgabe übernimmt, seinen jüngeren Bruder vor Erscheinen des Artikels aufzuklären, zumal Conrad den älteren Bruder bewundert. Allerdings ist Jonahs Lage alles andere als bewundernswert: Mit seiner Vaterschaft scheint er genauso wenig klarzukommen wie mit seiner akademischen Laufbahn, die ganz anders verläuft, als er zunächst erwartet hatte. In dieser labilen Situation sucht er bei seiner ehemaligen College-Liebe Erin (Rachel Brosnahan) Trost und Ruhe.

Für ihre eher konventionelle Familien- und Trauerbewältigungsgeschichte suchen Regisseur Joachim Trier und sein Mit-Drehbuchautor Eskil Vogt eine unkonventionelle Erzählstruktur. „Louder than Bombs“ greift immer wieder auf Rückblenden zurück, etwa eines Interviews mit Isabelle, das für die Ausstellung als Dokumentation dienen soll. Dabei kommentiert sie selbst aus dem Off die Rückblenden über ihre Arbeit als Kriegsfotografin sowie über ihr Privatleben. Darüber hinaus erzählt der norwegische Regisseur aus mehreren Perspektiven, so etwa eine Szene einmal aus der Sicht Genes und später aus dem Blickwinkel seines jüngsten Sohnes: Eine Handlung Conrads – sich auf das Grab eines Unbekannten auf dem Friedhof zu werfen – wirkt aus der ersten Sicht zunächst unverständlich, ergibt aber aus dem zweiten Blickwinkel einen gewissen Sinn. Einen weiteren Kniff setzt Regisseur Trier ein, um die unterschiedlichen Welten zu veranschaulichen, in denen Conrad und sein Vater leben. Da sein Sohn die ganze Zeit bei Videospielen am Computer sitzt, versucht Gene dadurch Conrad in seiner Welt zu begegnen, dass er sich im Computerspiel „World of Warcraft“ eine Identität, einen Avatar, verschafft. Doch das Ergebnis ist aus Genes Sicht niederschmetternd: Kaum begegnen sich die beiden Avatare, so wird der des Vaters durch Conrads alter Ego erledigt. Gene findet – so die Schlussfolgerung aus diesem Videospiel-Einschub – keinen Zugang zur Welt seines halbwüchsigen Sohnes.

Obwohl diesen von Regisseur Joachim Trier eingesetzten Kunstgriffen teilweise etwas Willkürliches anhaftet, dienen sie dazu, nach und nach verschiedene Aspekte der drei Hauptcharaktere zu enthüllen. Dadurch setzt „Louder than Bombs“ nicht nur die jeweilige Persönlichkeit der drei Familienmitglieder zusammen. Sie werden darüber hinaus in Beziehung zum abwesenden Familienmitglied, zur von Isabelle in der Familie hinterlassenen Lücke, gesetzt.

Den Darstellern gelingt es, das Psychogramm der jeweiligen Figur herauszuarbeiten. In den Rückblenden schafft Isabelle Huppert eine ausgeprägte Leinwandpräsenz, die dazu führt, dass paradoxerweise die abwesende Isabelle Reed die Hauptperson in „Louder than Bombs” bleibt. Demgegenüber spielen sowohl Gabriel Byrne als Jesse Eisenberg sehr zurückgenommen. Beide Charaktere wirken passiv, aber auf unterschiedliche Art und Weise: Lähmt Gene der Schmerz über den Verlust der geliebten Ehefrau, so fühlt sich Jonah eher rat- und orientierungslos gegenüber den unerwarteten Belastungen im Familien- und Berufsleben. Die beiden Schauspieler spiegeln diese Gefühle authentisch wider. Eine besondere Erwähnung verdient außerdem der junge Devin Druid, der den verschlossenen Jugendlichen ebenfalls glaubwürdig darstellt, mitsamt zaghaften Liebeserklärungen an eine Schulfreundin.

„Louder than Bombs“ stellt die nach einem tragischen Unglück auftretenden Kommunikationsprobleme in einer Familie in den Mittelpunkt. Dabei spielen Gefühle und unterschiedliche Erinnerungen eine Rolle. Obwohl sich dies keineswegs originell ausnimmt, schafft es Regisseur Joachim Trier, durch eine originelle Dramaturgie und dank der gut aufgelegten Schauspieler dem Zuschauer die Charaktere nahezubringen. Darüber hinaus verknüpft er die Trauerbewältigung und das langsame Sich-annähern der Familienmitglieder mit kurzen Reflexionen über den Beruf des Kriegsfotografen.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren