KIRSCHBLÜTEN UND ROTE BOHNEN | An
Filmische Qualität:   
Regie: Naomi Kawase
Darsteller: Kirin Kiki, Masatoshi Nagase, Kyara Uchida, Miyoko Asada, Etsuko Ichihara
Land, Jahr: Japan / Frankreich / Deutschland 2015
Laufzeit: 113 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2016
Auf DVD: 8/2016


José Garcia
Foto: Neue Visionen

Basierend auf Durian Sukegawas gleichnamigem Roman erzählt „Kirschblüten und rote Bohnen“ von einer ungewöhnlichen Freundschaft über Generationen hinweg. Sentaro (Masatoshi Nagase), ein Mann in mittlerem Alter, führt in Tokio eine von blühenden Kirschbäumen umgebene Imbissbude. Von Anfang an wird dem Zuschauer deutlich, dass er es nicht besonders gerne tut. Nicht einmal die mit einer leicht süßen, roten Bohnenpaste gefüllten Pfannkuchen Dorayaki, die er verkauft, mag er. Warum er dort arbeitet, erfährt der Zuschauer im Laufe der Handlung: Damit trägt er die Schulden ab, die er beim Besitzer der Imbissbude gemacht hat. Kein Wunder, dass Sentaro keine große Kundschaft hat. Dennoch kommen immer wieder zu ihm einige Schülerinnen, die ihm aber auf die Nerven gehen. Eine Ausnahme bildet allerdings die stille Wakana (Kyara Uchida). Sie wird von ihrer Mutter vernachlässigt und kümmert sich umso liebevoller um ihren Kanarienvogel.

Eines Tages taucht eine ältere Frau auf, die auf das Schild hinweist, mit dem Sentaro seit Wochen eine Aushilfe sucht. Spontan bewirbt sich Frau Tokue (Kirin Kiki) um die Stelle. Sentaro weist sie aber ab, weil sie seiner Meinung nach den körperlichen Strapazen der Arbeit nicht standhalten kann. Sie lässt aber nicht locker. Sie kommt wieder und bringt einige selbstgemachte Dorayaki mit. Obwohl der Mann sie schnell in den Mülleimer wirft, holt er sie instinktiv wieder heraus. Sie erweisen sich als reine Offenbarung: Tokues Bohnenpaste ist eine regelrechte Köstlichkeit, so dass Sentaro sie letztlich einstellt. Von nun an verbringen die beiden jeden Tag Stunden mit der Zubereitung der Bohnenpaste, denn sie erfordert viel Geduld und Liebe zu den Zutaten. Bald wird die Schlange vor der Dorayaki-Bude immer länger, das Geschäft boomt, und Sentaro findet neuen Lebensmut. Als jedoch Gerüchte über den Ursprung von Tokues verformten Händen die Runde machen, zwingt die Frau des Budenbesitzers Sentaro dazu, Tokue zu kündigen.

So behutsam, wie sich die drei Hauptfiguren annähern, erzählt auch Drehbuchautorin und Regisseurin Naomi Kawase ihre Geschichte voller Poesie. Dabei spielt die Kirschblüte eine symbolische Rolle: Es lohnt sich, lange darauf zu warten, um die Schönheit des kurzen Augenblicks zu genießen. Ähnlich geschieht es mit der langwierigen Zubereitung der roten Bohnenpaste ... und mit dem Leben der Menschen, die lange Zeiten des Leidens durchmachen, aber auch Augenblicke voller Hoffnung und Liebe erleben. Die gleiche Geduld, die „Kirschblüten und rote Bohnen“ auf die Zubereitung der Bohnenpaste verwendet, setzt der Film auch ein, um die Gesichter der drei Protagonisten zu erkunden.

Von Anfang an wird deutlich, dass sowohl Sentaro als auch Tokue viel gelitten und auch Geheimnisse haben. Masatoshi Nagase gestaltet dementsprechend Sentaro als Mann, der sich in sein Schicksal gefügt hat und nur von Tag zu Tag lebt, um seine Pflicht zu erfüllen. Von Tokue, die von Kirik Kiki als ebenso vom Schicksal Gezeichnete gespielt wird, die sich aber eine kindliche Freude an den schönen Dingen des Lebens bewahrt hat, lernt der Mann den Wert der gut getanen Arbeit. Wakana steht zwar etwas im Schatten der beiden Erwachsenen. Kyara Ushida gestaltet sie aber mit einer großen Portion Neugier. Für Regisseurin Noemi Kawase spielt die Natur eine herausragende Rolle, was sich nicht nur in der Aufmerksamkeit zeigt, die sie der Kirschenblüte widmet. Obwohl der Film in Tokio spielt, ist kaum städtisches Leben zu spüren. Dies bildet der Rahmen für eine Freundschaft über die Generationen hinweg, die mit leiser Melancholie und wunderbar poetisch erzählt wird.


Interview mit Drehbuchautorin und Regisseurin Naomi Kawase

Die im deutschen Filmtitel enthaltenen Kirschblüten spielen in Ihrem Film eine ganz wichtige Rolle. Inwieweit ist für Tokue die Kirschblüte und die Natur im Allgemeinen von Bedeutung?

Die Sakura-Blüte ist zwar sehr schön, aber sie dauert nur eine sehr kurze Zeit. Denn sie steht lediglich zwei bis drei Tage im Jahr in voller Blüte. Darin spiegelt sich poetisch gesprochen auch das menschliche Leben wider: Es scheint lang, aber eigentlich ist es kurz. Nachdem die prächtigen Kirschblüten abfallen, wächst etwas Grünes. Das ist das Faszinierende dabei, ein Kreislauf, der nie aufhört. Für die japanische Mentalität hat es eine große Bedeutung, dass die Menschen den ganzen langen Winter darauf warten, dass die prächtigen Bäume für kurze Zeit blühen. Mich fasziniert die Wiederbelebungskraft der Natur sehr. Deshalb ist es ein wichtiges Element in „Kirschblüten und rote Bohnen“.

Die Hauptfiguren im Film gehören zu drei verschiedenen Generationen. Was haben sie gemeinsam?

Das Gemeinsame an den drei Figuren besteht darin, dass sie irgendwie in der Gesellschaft Außenseiter sind. Sie Randexistenzen zu nennen, wäre zwar übertrieben, aber etwas außerhalb der Norm stehen sie schon. Darüber hinaus stehen sie jeweils allein mit ihren Problemen, weshalb sie auch einsam sind. Das haben sie miteinander gemeinsam.

Tokue geht dem Zuschauer sehr nahe, weil sie ihr ganzes Leben in der Abgeschiedenheit gelebt hat. Wie beschreiben Sie Tokue? Welche Rolle spielt in ihrem Leben das Herstellen der roten Bohnenpaste?

Tokue hat große Freude am Kreieren. Mit ihren Kochkünsten stellt sie dort, wo vorher nichts existierte, etwas her. Mit dieser Figur wollte ich dem Zuschauer mitteilen, dass man an selbst kreierten Dingen Freude haben kann, ohne dass es einer Beurteilung von außen bedarf, auch wenn es um eine so einfache Sache geht wie die Bohnenpaste. Es ist wichtig, dass sie gut gemacht ist, dass sie schmeckt, dass man diese Freude auch teilt – auch wenn es für einen kurzen Moment ist. Noch wichtiger finde ich aber, dass die Zuschauer erkennen, dass Tokue eine besondere Weisheit besitzt, die sie dann an die beiden Jüngeren weitergibt. Es würde mich sehr freuen, wenn die Zuschauer dies auch spüren.

Der Zuschauer verfolgt die Handlung allerdings eher mit Sentaros Augen. Seine Arbeit in der Imbissbude macht ihm kaum Freude, bis er Tokue kennenlernt. Was lernt er durch den Kontakt mit der älteren Frau?

Sentaro hat in seinem Leben sehr gelitten. Er hat nicht nur Schulden, sondern auch starke Schuldgefühle, auch weil er nicht bei seiner Mutter sein konnte, als sie starb. Tokue gibt ihm aber das Gefühl, dass alleine seine Existenz ausreicht, dass es gut ist, dass es ihn gibt. Sie zeigt ihm auch, dass es nicht nötig ist, als Mensch unbedingt viel erreicht zu haben. Unabhängig davon, ob er viel geleistet oder aber eher Schulden hat, ist es einfach gut, dass es ihn gibt.

Die Besitzerin der Imbissbude stellt als Geschäftsfrau einen deutlichen Kontrast zu den Außenseitern dar. Denn sie ist allein auf Gewinnmaximierung aus. Ist dieser Kontrast typisch für die japanische Gesellschaft?

Ich habe diesen gesellschaftlichen Kontrast bewusst gewählt. Mir ist es aber wichtig, nicht nur die gesellschaftlichen Unterschiede zu zeigen, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn ihnen ein Fremder etwas bringt, wie im Film Tokue, dann würden es die meisten Menschen normalerweise einfach auf den Müll werfen – das tut auch Sentaro im Film. Allerdings fischt er es später aus dem Mülleimer wieder heraus, und er probiert es. Wo wir nicht genau hinschauen, wo wir die Menschen nach Kategorien einteilen, da möchte ich eine neue Sichtweise anbieten. Ich möchte darauf hinweisen, dass man auch diese Außenseiter beachten soll, dass man eine andere Sicht ausprobieren kann.

Wie entschieden Sie sich dazu, gerade diese Geschichte zu verfilmen? Haben Sie eine persönliche Beziehung zu diesen Figuren?

Der Autor des gleichnamigen Romans „Kirschblüten und rote Bohnen“, Durian Sukegawa, schickte mir sein Buch. Ich habe es gelesen und die Story hat mir sehr gut gefallen. Der wichtigste Grund war, dass das Buch etwas erzählt, was man nicht sehen und hören, aber doch fühlen kann. Im Grunde kann man nur Dinge verfilmen, die man sieht. In dem Moment, wo es verfilmt wird, ist es natürlich etwas Sichtbares. Für mich war es eine Herausforderung, unsichtbare Dinge zu gestalten, um sie für den Zuschauer sichtbar zu machen. Leider ist beim Schnitt dann die für mich wichtigste Szene aus dem Roman herausgefallen. Aber so ist es nun einmal bei Romanverfilmungen. Deshalb ist der Film auch etwas anderes als der Roman.
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