KLEINE PRINZ, DER | The Little Prince
Filmische Qualität:   
Regie: Mark Osborne
Darsteller:
Land, Jahr: Frankreich 2015
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Animation
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2015
Auf DVD: 4/2016


José Garcia
Foto: Warner Bros.

„Der kleine Prinz“ („The Little Prince“) von Mark Osborne (Regie) sowie Irena Brignull und Bob Persichetti (Drehbuch) erzählt von einem kleinen, namenlosen Mädchen, das mit seiner alleinerziehenden Mutter in ein neues Haus in einer nicht näher bezeichneten (Vor-)Stadt zieht. Das Mädchen ist bei der Aufnahmeprüfung für eine Eliteschule durchgefallen. Es soll sich deshalb während der Sommerferien auf die Wiederholungsprüfung vorbereiten. Die berufstätige und vielbeschäftigte Mutter hat dafür einen ausgeklügelten Tagesablauf vorbereitet, damit die Kleine den ganzen Prüfungsstoff gründlich lernen kann.

Doch es kommt alles anderes. Denn in der Vorortsiedlung, in der sich die Häuser wie ein Ei dem anderen gleichen, gibt es eine Ausnahme: Ausgerechnet das Nachbarhaus sieht abenteuerlich instabil und verfallen aus. Darin lebt ein alter, als „der Pilot“ bekannter Mann, der ein ums andere Mal versucht, von seinem Garten aus ein klappriges Flugzeug zu starten – was offenbar immer wieder unangenehme Konsequenzen hat.

Ein zufälliger Besuch des namenlosen Mädchens im Garten des Piloten, wo eine wunderbar beschwingte, an das Paris der 1930er–1940er Jahre erinnernde Musik ertönt, stellt den Anfang einer wunderbaren Freundschaft dar. Seite für Seite gibt der alte Mann dem jungen Mädchen eine Erzählung mit schönen Zeichnungen. Auf dem ersten Blatt berichtet der Ich-Erzähler, wie er als Sechsjähriger seine erste Zeichnung vollendet habe. Immer wenn er sie aber den „großen Leuten“ zeigte und sie fragte, ob ihnen das Bild nicht Angst mache, hätten sie geantwortet: „Warum sollen wir vor einem Hut Angst haben?“ Allerdings habe die Zeichnung eine Riesenschlange dargestellt, die einen Elefanten verschlungen habe.

Spätestens jetzt wird dem Zuschauer klar: Dieses eine Blatt ist nichts anderes als die erste Seite von Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“. Die Zeichnung der einen Elefanten verdauenden Schlange, in der fantasielose Erwachsenen lediglich einen Alltagsgegenstand sehen, kennt inzwischen wohl jedermann. Denn das 1943 erstmals veröffentlichte Büchlein wurde inzwischen in mehr als 50 Sprachen übersetzt, und mit mehr als 140 Millionen verkauften Exemplaren gehört es zu den erfolgreichsten Büchern der Welt. Dass Saint-Exupéry als unbekannter namenloser Pilot in einer US-amerikanischen Stadt leben könnte, ist ebenfalls glaubwürdig: „Le petit prince“ erschien zunächst in New York, wo der Autor im Exil lebte – allerdings war er zu dem Zeitpunkt erst 43 Jahre alt und nicht so trottelig-altersschwach wie „der Pilot“ mit der großen Nase und dem langen Bart in Osbornes „Der kleine Prinz“. Immer wieder bekommt das kleine Mädchen eine neue Seite der Erzählung vom kleinen Prinzen. So erfährt es von der Begegnung des notgelandeten Piloten mit dem kleinen Kerl, der von ihm verlangt: „Zeichne mir ein Schaf“, und der die Zeichnung der Schlange sofort als solche erkennt. Er selbst komme von einem kleinen Asteroiden, sagt der kleine Prinz. Auf den nächsten Seiten erfährt das Mädchen von den Reisen des kleinen Prinzen zu anderen Asteroiden und insbesondere von seiner Freundschaft mit dem Fuchs und seiner Liebe zur geheimnisvollen Rose (in der die Kritik Saint-Exupérys Ehefrau Consuelo sieht).

Dank der bemerkenswerten Entscheidung der Filmemacher, die Geschichte des kleinen Prinzen als „Film im Film“ zu erzählen, wird der Zuschauer Zeuge der Entstehung eines der bekanntesten Werke der Weltliteratur. Für das kleine Mädchen, das von seiner Mutter auf Rationalität und Effizienz getrimmt wurde, eröffnet die Begegnung mit der Welt der Fantasie eine neue Welt, wenn sie es auch zunächst ziemlich verwirrt.

Bemerkenswert ist allerdings nicht nur die Dramaturgie von Osbornes Film, die eine klassische, eigentlich allseits bekannte Erzählung in eine Rahmenhandlung einbettet. Auch die Techniken unterscheiden sich grundsätzlich: Die Rahmenhandlung mit dem Piloten und dem Mädchen ist zeitgemäß computeranimiert, die Erzählungen des kleinen Prinzen hingegen in einem altmodisch wirkenden, sehr liebevoll umgesetzten Stop-Motion-Verfahren nach Papierfiguren, die in der Endfassung jedoch teilweise wie antiquierte Holzfiguren wirken.

Auch wenn das letzte Filmdrittel, in dem das Mädchen einen erwachsen gewordenen kleinen Prinzen zur Rückkehr bewegen soll, sich nicht nur von der Romanvorlage entfernt, sondern auch etwas befremdet, erlaubt die dramaturgische Brechung durch die eigenwillige ästhetische Form eine überaus inspirierende Doppelung. So entsteht eine Parallele der Freundschaft zwischen dem kleinen Prinzen und dem Fuchs mit der Freundschaft zwischen dem Piloten und dem Mädchen. Dennoch bleibt in Osbornes Film der Kern der Vorlage bewahrt. Die Freundschaft – zwischen dem kleinen Prinzen und dem Fuchs, zwischen dem kleinen Prinzen und dem Pilot, zwischen dem Pilot und dem kleinen Mädchen – dient dazu, zu existenziellen Einsichten über das Wesentliche im Leben und in der Freundschaft Stellung zu nehmen. Diese werden in dem prägnanten Satz „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar“ („On ne voit bien qu’avec le coeur. L’essentiel est invisible pour les yeux“) ausgedrückt. Mit dem nun anlaufenden „Der kleine Prinz“ ist den Filmemachern im Wesentlichen gelungen, den Geist der Vorlage mit ihrer Kritik an einer fantasielosen, oberflächlichen Erwachsenenwelt in ein modernes Format zu kleiden, und dadurch ihre universale Gültigkeit zu unterstreichen.
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