EPHRAIM UND DAS LAMM | Lamb
Filmische Qualität:   
Regie: Yared Zeleke
Darsteller: Rediat Amare, Kidist Siyum, Welela Assefa, Surafel Teka, Rahel Teshome, Indris Mohamed
Land, Jahr: Äthiopien/Frankreich/Deutschland/Norwegen /Katar 2015
Laufzeit: 94 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 11/2015


José García
Foto: Neue Visionen

Nach dem Tod der Mutter lebt der neunjährige Ephraim (Rediat Amare) zusammen mit seinem Vater Abraham (Indris Mohamed) in einem kleinen Dorf im Norden Äthiopiens. Um der Dürre zu entgehen, möchte Ephraims Vater Arbeit in Addis Abeba suchen. Doch vorher bringt er seinen Sohn zusammen mit dessen geliebtem Lamm Chuni bei Verwandten unter. Ephraim fühlt sich in der neuen Umgebung fremd, zumal sein Onkel Solomon (Surafel Teka) Ephraims Leidenschaft für das liebevolle Zubereiten köstlicher Speisen als „Frauenarbeit“ verspottet. Ephraim soll lieber auf dem Feld arbeiten. In der rebellischen Tsion (Kidist Siyum) findet Ephraim allerdings eine Seelenverwandte. Denn sie liest lieber Zeitung und denkt über neue Ideen des Landbaus nach, als sich einen Ehemann zu suchen. Als der Onkel von Ephraim fordert, dass er Chuni für das anstehende Fest des Heiligen Kreuzes opfern soll, entschließt sich der Neunjährige, mit seinen Kochkünsten genug Geld für eine Fahrkarte zu verdienen, um mit Chuni zurück nach Hause zu fahren.

Drehbuchautor und Regisseur Yared Zeleke erzählt eine allgemein gültige Geschichte über einen einsamen Jungen, der sich in der Fremde einem Neuanfang stellt. Dennoch erlaubt „Ephraim und das Lamm“ auch Einblicke in die äthiopische Gesellschaft, so etwa in das von der äthiopisch-orthodoxen Kirche geprägte Fest. Andererseits schildert der Film auch ein Land zwischen Tradition und Moderne: Vertritt Ephraims Onkel die traditionellen Einstellungen, so ist Ephraims Cousine Tsion Ausdruck einer moderneren Auffassung in der Rolle der Frau. Zu der eigentlich geradlinigen Inszenierung gesellen sich manche märchenhafte und Traumelemente hinzu, etwa im sogenannten „verbotenen Wald“ oder auch in Ephraims Traum von seiner Familie. Yared Zeleke gelingt es, eine universelle Erzählung mit den Eigenheiten eines für Europäer noch immer exotischen Landes zu verknüpfen.

Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Yared Zeleke


Worum geht es eigentlich in „Ephraim und das Lamm“? Was für eine Rolle spielt das Lamm?

Als ich die Story vor fünf Jahren zu schreiben anfing, ging es mir vor allem um die Frage: Wie geht ein Junge mit dem Verlust um? Ephraims Beziehung zum Lamm ist auch eine Metapher für die Vergangenheit. Denn das Lamm ist das Einzige, was er aus der Vergangenheit hat retten können. Für den Jungen ist das Lamm ein treuer Freund, für die Familie lediglich Nahrung.

Ephraim verliert nicht nur die Mutter, sondern später auch den Vater, der in Addis Abeba Arbeit sucht und ihn bei seinem Cousin unterbringt... Erinnert das Lamm ihn an dieses Leben mit seinen Eltern?

Ja, genau. So kann man es auch ausdrücken.

Einem Europäer fällt in Ihrem Film insbesondere die Dürre auf, die für eine Hungerkatastrophe verantwortlich ist, bei der Ephraims Mutter stirbt. Ist es heute noch so in Äthiopien, dass solche Dürrezeiten eine dramatische Rolle spielen?

Dieses Jahr ist wieder eine sehr starke Dürreperiode mit einer Hungersnot in der Folge. Aber in Europa hören Sie nichts darüber in den Nachrichten. Die äthiopische Regierung hat mit Hilfe der von der deutschen Regierung bereitgestellten Mittel ein Hilfsprogramm in die Wege geleitet. Damit können auch die Bauern Nahrungsmittel erhalten. Auch wenn es sich um eine regelrechte Naturkatastrophe handelt, ist es nicht so, dass die Menschen daran sterben – wie noch in den 1980er Jahren. Allerdings verendet schon das Vieh. Äthiopien ist ein sehr großes Land, etwa dreimal so groß wie Deutschland. Das Land hat die zweitgrößte Bevölkerungszahl in Afrika. Wie im Film zu sehen, sind einige Gegenden grün, aber der Norden und der Osten werden immer trockener. Wenn es in Deutschland lange Zeit nicht regnet, ändert dies kaum etwas. Bei uns aber hat das immer starke Auswirkungen.

Ein interessanter Aspekt in „Ephraim und das Lamm“ ist das friedliche Zusammenleben verschiedener Religionen. Die meisten Menschen sind ja Christen, aber einmal taucht auch ein muslimisches Mädchen auf, und Ephraim selbst ist Jude. Gibt es in Äthiopien heute dieses friedliche Miteinander der Religionen?

Ich bin sehr stolz auf unsere religiöse Vielfalt. Wir sind eins der ältesten christlich geprägten Länder der Erde – noch vor der Erhebung des Christentums als Staatsreligion in Europa. Die meisten Menschen – so wie auch ich – sind Christen, aber etwa 34 Prozent sind Muslime, überwiegend Sufi, also eine sehr spirituelle Richtung des Islams. Im Norden leben Juden, und im Süden haben wir Anhänger animistischer Religionen. Auch wenn die Christen die Mehrheit ausmachen, ist die Bevölkerung religiös sehr gemischt. Diese Mischung findet in den Familien selbst statt. Ich habe beispielsweise einen Onkel, der Mohamed heißt, aber Christ ist. Denn sein Vater war Muslim und die Mutter eine Christin.

In Europa hat dies früher in Bosnien gut funktioniert. Allerdings bringt zurzeit Saudi Arabien viel Geld in das Land und damit auch eine etwas radikale Richtung des Islams, den Wahhabismus. Können Sie etwas Ähnliches auch in Äthiopien beobachten?

Das ist auch in Äthiopien ein neues Problem. Die meisten Muslime sind Sufis, aber nun kommen Wahhabiten, die den Sufismus ablehnen. Als ich ein kleiner Junge war, trugen die muslimischen Frauen in Äthiopien kein Kopftuch. Äußerlich konnte man christliche und muslimische Mädchen nicht unterscheiden. Nun investiert Saudi Arabien in Äthiopien, weil wir ein armes Land sind. Und auf einmal beginnt ein Teil der Frauen, Kopftücher zu tragen. „Ephraim und das Lamm“ sagt auch: „Wir brauchen uns in der Frage der religiösen Vielfalt nicht zu ändern. In anderen gesellschaftlichen Aspekten schon, aber in dieser Frage nicht.“

Gilt dies auch in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen? Ephraims Onkel hat sehr klare Vorstellungen, was Frauen tun und als was Männer arbeiten. So darf etwa Ephraim nicht kochen ...

In der äthiopischen Gesellschaft wird den Ältesten Respekt entgegengebracht, unabhängig davon, ob es sich um Männer oder Frauen handelt. Im Film ist es die Oma, Emama Belinesh, die wortwörtlich die Peitsche führt.

Wie ist die Lage des Filmschaffens in Äthiopien? Ist es leicht, in Äthiopien Filme zu drehen?

Leider ist es sehr schwer. Es gibt keine finanzielle Unterstützung, keine Institutionen. Darüber hinaus haben die Menschen Angst vor Kameras. Überall ist es schwer, Filme zu drehen. Aber in einem Land wie Äthiopien ist es schier unmöglich.

Wie haben Sie dann die kleinen Rollen, etwa die Jungs auf dem Markt oder die Verwandten besetzt?

Die meisten von ihnen kommen aus dem Dorf. Lange Zeit haben wir mit Kameras geprobt, um Vertrauen aufzubauen. Die älteren sollen einfach beispielsweise eine Kaffeezeremonie abhalten, wie sie es sonst immer tun. Ich habe sechs Monate lang 7 000 Menschen gecastet, teils in Addis Abeba, teils im Dorf. Ich hatte die Finanzierung fürs Drehen bekommen und musste es einfach schaffen.

Gibt es überhaupt ein Kino in einem solchen kleinen Dorf? Wissen die Dorfbewohner überhaupt, was ein Film ist?

Nein, überhaupt nicht. Sie haben nicht einmal Strom. Dazu kam es, dass die Menschen aus dem Filmteam aus verschiedenen Ländern stammen: aus Frankreich, aus Deutschland, aus Kenia. Für uns sind Menschen aus Schwarzafrika, etwa Kenia, so fremd wie Europäer. Für die Dorfbewohner waren all diese Menschen wie Außerirdische.

Werden Sie trotz der Schwierigkeiten weiterhin Filme drehen? Wie lange dauert es, bis ein neues Drehbuch fertig ist und die Finanzierung steht, so dass sie anfangen können zu drehen?

Hoffentlich nicht wieder fünf Jahre wie bei „Ephraim und das Lamm“. Der Film lief auf dem Filmfestival in Toronto sowie in Cannes, er wurde auch für den Oscar eingereicht und in zwanzig Ländern verkauft. Dies ist eine sehr ungewöhnliche Situation, ich habe viel Glück gehabt. Für das Drehbuch veranschlage ich sechs Monate. Wenn es abgeschlossen ist, kann es mit der Finanzierung schnell gehen. Denn nach diesen Erfolgen ist vieles möglich geworden, was früher unmöglich war.
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