VIRGIN MOUNTAIN | Fúsi
Filmische Qualität:   
Regie: Dagur Kári Pétursson
Darsteller: Gunnar Jónsson, Ilmur Kristjánsdóttir, Sigurjón Kjartansson, Franziska Una Dagsdóttir, Margrét Helga Jóhannsdóttir, Arnar Jónsson, Thórir Saemundsson
Land, Jahr: Island / Dänemark 2015
Laufzeit: 94 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 11/2015
Auf DVD: 4/2016


José García
Foto: Alamode

Der Mittvierziger Fúsi (Gunnar Jónsson) lebt noch bei seiner Mutter (Margrét Helga Jóhannsdóttir) in einer Kleinstadt auf Island. Fúsi hatte noch nie eine Freundin, er hat beispielsweise auch noch nie die nordeuropäische Insel verlassen. In seiner Freizeit stellt er zusammen mit seinem Kumpel Mordur (Sigurjón Kjartansson) großformatig Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nach oder beschäftigt sich mit ferngesteuerten Autos. Fúsi arbeitet in der Gepäckabfertigung am Flughafen, wo er das Mobbing seiner Kollegen mit engelsgleicher Geduld erträgt. Denn Fúsi ist vor allem ein herzensguter Mensch. Das erkennt etwa auch die kleine Hera (Franziska Una Dagsdóttir), die ein Stockwerk weiter unten einzieht. Doch das Mädchen fasst – skeptisch beobachtet von ihrem Vater – schnell Zutrauen zu dem gutmütigen Fúsi und freut sich, wenigstens einen neuen Spielgefährten zu haben. Selbst wenn sie alles andere als erfreut ist, dass sich unter all seinen Soldaten keine einzige Barbie-Puppe befindet.

Aus seiner Routine bricht Fúsi aus, als er zum Geburtstag einen Gutschein für einen Tanzkurs geschenkt bekommt. Obwohl er eigentlich am Tanzkurs nicht teilnimmt, lernt er vor der Tanzschule die junge Sjöfn (Ilmur Kristjansdóttir) kennen, die er nach Hause bringt. Fúsi lässt sich sogar überreden, es beim nächsten Mal doch noch mit dem Tanzen zu versuchen. Bald unternehmen sie einiges gemeinsam, so dass er sich entschließt, zusammen mit Sjöfn eine Ägyptenreise zu unternehmen. Die junge Frau fühlt sich aber vor den Kopf gestoßen. Dabei kommt auch noch heraus, dass sie ihn angelogen hat: Sie arbeitet in Wirklichkeit statt als Floristin längst bei der Müllabfuhr. Als Fúsi erfährt, dass Sjöfn an Depressionen leidet, steckt er seine gesamte Kraft darin, sie wieder aufzupäppeln. Er nimmt sich sogar frei, um ihre Schichten bei der Müllabfuhr zu übernehmen, damit ihr nicht gekündigt wird.

Mit einer sehr direkten Kameraführung, die stets sehr nah an den Figuren bleibt, zeichnet Drehbuchautor und Regisseur Dagur Kári das Porträt eines Mannes, der zunächst wie ein großes Kind wirken mag, sich aber einfach als gutmütiger Riese herausstellt. Dagur Kári spielt gerne mit den Klischees, beispielsweise über die Liebeskomödie. Obwohl in Island angesiedelt, erzählt „Virgin Mountain“ aber eine allgemein gültige, universale Geschichte mit der einen oder anderen überraschenden Wendung. Schön ist es beispielsweise zuzusehen, was Fúsi alles für die Frau zu tun bereit ist, in die er sich verliebt hat.


Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Dagur Kári Pétursson

Fúsi ist keine alltägliche Figur in einem Film. Zurückgeblieben ist er sicher nicht. Ist er vielleicht ein großes Kind? Wie würden Sie ihn bezeichnen?

Fúsi ist ein ausgewachsener Mann, aber aus irgendwelchem Grund hat er es nicht geschafft, wirklich aus der Kindheit herauszutreten. Am Anfang könnte man denken, er sei einfach gestrickt oder naiv. Nach einer Weile wird aber dem Zuschauer klar, dass Fúsi einfach einen guten Charakter hat, und dass dies hilft, über viele Schwierigkeiten im Leben hinwegzukommen.

Könnte es auch sein, dass er immer in den Tag hinein gelebt hat, ohne Lebensentscheidungen zu treffen?

Sein Leben ist zwar eingeschränkt, aber er ist darüber glücklich. Es hat sich eine Blase um ihn herum gebildet, aber in diesem Raum bewegt er sich ganz zufrieden. Der Film handelt davon, wie der Zufall oder das Schicksal sein Leben verändert. Ich meine, jeder Zuschauer kann dies nachvollziehen, weil wohl jeder in seinem Leben so etwas einmal erlebt hat. Wenn etwas Ähnliches geschieht, muss das Leben neu ausgerichtet werden.

Nun lernt er Sjöfn kennen. Sie erweckt den Eindruck, ein sehr einsamer Mensch zu sein. Darüber hinaus macht sie sich etwas vor. Denn statt in einem Blumenladen zu arbeiten, wie sie vorgibt, arbeitet sie wirklich bei der Müllabfuhr. Wie würden Sie Sjöfn beschreiben?

Für mich war es sehr wichtig, mit Klischees zu arbeiten und Klischees entgegenzuwirken. Der Zuschauer erwartet eine Liebesgeschichte, aber all diese romantischen Geschichten folgen immer einem ähnlichen Schema. Ich wollte jedoch nicht eine weitere Liebesgeschichte erzählen, sondern der Handlung eine besondere Wendung geben.

In Mitteleuropa denken wir: Island, das ist ein kaltes Land, da gibt es sicher viele einsame Menschen. Und dabei leben gerade in Berlin sehr viele Menschen allein. Sind das auch nur Klischees?

Einsamkeit ist ein universelles Thema. Insofern könnte der Film auch woanders spielen. Bei „Virgin Mountain“ geht es nicht speziell um Island, sondern um die globale Frage der Einsamkeit, die in vielen Ländern wirklich zu einem Problem geworden ist. Insofern könnte „Virgin Mountain“ in so gut wie jedem anderen Land angesiedelt sein.

Gibt es dennoch etwas Spezifisches für Island in „Virgin Mountain“?

Weil der Film in Island spielt, hat er natürlich irgendwie eine isländische Anmutung. Wäre er woanders angesiedelt, beispielsweise in Afrika, so sähe er sicher anders aus. Aber mir ist die Geschichte, mir sind die Charaktere wichtig, in die ich mich vertiefe. Das Isländische scheint im Setting zwar durch, nicht aber in der Charakterentwicklung.

Gehört die unmittelbare Kamera, die immer sehr nah an den Figuren bleibt, zum Konzept, um diese Figuren zu entwickeln?

In „Virgin Mountain“ war es besonders wichtig, sehr nah bei der Hauptfigur zu bleiben. Zwar hätten um sie herum andere Geschichten entwickelt werden können, aber dies hätte vom Hauptcharakter abgelenkt. Ich wollte jedoch bei meinem Hauptdarsteller bleiben. Gerade weil Gunnar Jónsson Fúsi sehr ehrlich und authentisch spielt, sollte „Virgin Mountain“ ein Film aus einem Guss sein. Alle andere Aspekte des Filmemachens sowie mögliche Nebenhandlungen sollten in den Hintergrund treten.

Wenn man davon ausgeht, dass Island knapp 350 000 Einwohner hat, ist es sehr bemerkenswert, was das Land nicht nur im Sport, sondern etwa auch im Filmbereich alles leistet. Wie steht es zurzeit mit der isländischen Filmproduktion?

Dieses Jahr war ein Rekordjahr für den isländischen Film. Von den neun bis elf in Island produzierten Filmen haben drei oder vier einen internationalen Verleih gefunden. Darüber hinaus haben sie allein dieses Jahr eine ganze Reihe, etwa 70, internationale Preise und Auszeichnungen gewonnen. Es war vielleicht der beste Jahrgang in der Geschichte des isländischen Kinos.

Ihr erster Film „Nói Albinói“ kann eher als isländischer Film bezeichnet werden, „Virgin Mountain“ hat eine universelle Handlung. Wie wird Ihr nächster Film sein?

Zurzeit habe ich Ideen für zwei oder drei Filme, der eine wäre in Island, ein anderer in Dänemark angesiedelt. Für mich ist aber das Land, in dem ein Film spielt, gar nicht wichtig. Mir geht es vor allem um die Charaktere. Allerdings handelt es sich noch nicht um konkrete Projekte.
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