CALIFORNIA CITY | California City
Filmische Qualität:   
Regie: Bastian Günther
Darsteller: Jay Lewis, Daniel C. Peart, Chelsea Williams
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 80 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2015
Auf DVD: 7/2016


José García
Foto: RealFiction

Ein altes, ramponiertes Plakat begrüßt den Ankommenden – und wohl auch den Zuschauer: „Welcome to California City. Land oft he Sun“. Hier mitten in der Mojave-Wüste sollte in den fünfziger Jahren eine neue Stadt, ja die größte Stadt Kaliforniens entstehen. Nun ja, flächenmäßig ist „Cal City“ die zweitgrößte Stadt des Staates. Nur, dass kaum Menschen dort leben. Überall stehen verlassene Häuser, Ruinen, die wie Reste eines Schiffbruchs aus dem Boden ragen. Anfang der 2000er Jahre wurde wieder einmal ein Versuch unternommen, auf der riesigen Fläche in der Wüste eine Großstadt zu entwickeln. Fertighäuser schossen aus dem Boden. Dann platzte allerdings die Immobilienblase. Aufgrund der Finanzkrise konnten die Besitzer die Kredite nicht bezahlen, mussten ihre Häuser räumen. Die allermeisten von ihnen verschwanden.

Der deutsche Regisseur Bastian Günther hat darüber einen Dokumentarfilm gedreht: „California City“ schließt sich an seinen letzten, halbdokumentarischen Spielfilm „Houston“ (2013) nahtlos an, der aus der Sicht eines von Ulrich Tukur verkörperten Headhunters von der Wirtschaftskrise erzählte. In „California City“ begleitet die Kamera einen namenlosen Experten für Schädlingsbekämpfung. Mit seinem Schutzanzug sucht er ein verlassenes Haus auf. Er sucht nach feuchten Stellen, etwa im ausgetrockneten Schwimmbad, weil solche Pools Brutstätten für Moskitos darstellen. Mit Chemikalien versucht er die Moskitoplage zu bekämpfen. Denn die Moskitos können Erreger von Infektionskrankheiten übertragen. Allerdings sind Wasserstellen in den von Dürre und Trockenheit gezeichneten Landstrich rar gesät.

Das Auge des Kammerjägers wandert über die verlassenen Häuser. Hin und wieder trifft er auf die wenigen hier gebliebenen Menschen, die in der Wüste leben und sich um Weggeworfenes der Weggezogenen kümmern oder etwa Altautos auf der Suche nach Metall zerlegen. Immer wieder trifft er auf den Immobilienmakler, der auf halb verfallene Häuser aufpasst. Mancher von den in der Wüste Lebenden glauben an irgendwelche Verschwörungstheorien („Ich weiß nicht, was sie machen, aber da ist etwas“), die von sonderbaren Explosionen oder Überschallknallen in der Wüste oder auch von geheimnisvollen Experimenten der Militärs handeln. Skurril wird es etwa, wenn der Schädlingsbekämpfer einem Mann begegnet, der ein Bewerbungsvideo für eine Reise zum Mars dreht. Völlig surreal wirkt eine Szene, bei der er auf eine Gruppe von „Mad Max“-Begeisterten trifft. Für den Schädlingsbekämpfungs-Reisenden wird es immer schwieriger, die Verbindung zur Zentrale herzustellen („Womit sind sie beschäftigt, checken sie ihre Facebook-Accounts, schauen sie sich Katzen-Videos an, chatten sie?“). Ähnlich dem Headhunter in Günthers „Houston“ reißt der Kontakt des namenlosen Helden in „California City“ zur Außenwelt immer mehr, dann völlig ab. Um aus der Isolation herauszukommen, wendet er sie an Telefon-Hellseher.

Die Gespräche mit den selbsternannten Hellsehern kreisen um das Glück, was für den Wüstenreisenden auch einen konkreten Namen hat: Immer wieder tauchen vor seinem inneren Auge Bilder seines Glücks an der Seite seiner ehemaligen Freundin Chelsea auf. Es sind grobkörnige Bilder, in denen vergangenes Glück seine Liebessehnsucht heraufbeschwört: „Chelsea, wo bist Du jetzt?“. Das Grübeln über eine verflossene Gemeinsamkeit lässt ihn philosophieren: „Menschen kaufen Sachen, um glücklich zu werden. Damit übertünchen sie ihre unglücklichen Beziehungen.“

„California City“ nimmt sich als eine Mischung aus Dokumentarfilm, Fiktion und Essayfilm aus. Bei der Verleihung des Prädikats „wertvoll“ führt die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) aus, Bastian Günthers Film „kann einer neuen Generation von Hybridfilmen zugerechnet werden, die dominant auf die Form des Dokumentarfilms zurückgreifen, diese aber so stark mit fiktiven Elementen vermischen, dass nicht mehr klar zu erkennen ist, was erfunden und was authentisch ist.“ Überwog in „Houston“ bei allem dokumentarischen Look eindeutig die Spielfilmhandlung, so ist in „California City“ die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem weitgehend fließend. Beispielsweise verkörpert den Namenlosen der Schauspieler Jay Lewis.

Sein Film sei, so Regisseur Bastian Günther, „eine Meditation über Verlust, Krise und deren Auswirkungen, an deren Ende ein Aufbruch steht. Eine Reflexion über uns und unser Leben, immer auch mit einem Sinn für Humor und mit einem Auge für bizarre Momente und Begegnungen.“ Bastian Günther fügt noch hinzu, wenn man in California City gewesen sei, verstehe man voll und ganz, warum der Begriff „Depression“ sowohl in der Medizin als auch in der Wirtschaft Verwendung finde.

In kargen, sonnendurchfluteten Bildern des Verfalls einer eigentlich nie richtig erbauten Stadt, die stark an postapokalyptische Filme erinnern, zeichnet Bastian Günther eine untergegangene Zivilisation. Mit einer überaus anregenden Mischung aus hochauflösenden Digitalbildern und grobkörnigen, verwaschenen 8-mm-Aufnahmen und unter dem Musikeinsatz melancholischer Gitarrenklänge gelingt es dem deutschen Filmemacher, berückende Momentaufnahme der Verwesung zu zeigen, die beinahe an mittelalterliche „Memento mori“-Bilder gemahnen. Diese betrübt-desolate Stimmung, die mit der Depression des Protagonisten einhergeht, wird zu einer Metapher für die Einsamkeit und die Isolation in einer zunehmend individualistischen Gesellschaft, die in der Anhäufung von Gegenständen ihr Glück sucht.
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