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José GarcÃa Foto: MFA+ Im Vorspann sind Sterne zu sehen. Mateusz liebt die Sterne. Oft lehnt er nachts am Fenster und blickt in die Tiefen des Universums. Aber Mateusz leidet unter einer zerebralen Bewegungsstörung und kann seinen Körper nicht kontrollieren. Er hat keine Möglichkeit, sich mitzuteilen, der Umwelt und insbesondere seiner Familie klarzumachen, dass er keineswegs zurückgeblieben oder gar schwachsinnig ist. Die Familie, vor allem seine Mutter (Dorota Kolak) hat resigniert, seitdem eine Ãrztin bei Mateusz (Kamil Tkacz) die folgenreiche Fehldiagnose stellte: âEr ist Gemüse. Sie werden nie mit ihm kommunizieren können.â Damals â im Jahre 1987 in Polenâ war der Junge etwa sechs Jahre alt. âIn meinem Kopf ein Universumâ erzählt nach einer wahren Begebenheit Mateuszâ Geschichte in Kapiteln. Regisseur Maciej Pieprzyca setzt an den Anfang eines jeden Kapitels eine Zwischentafel mit einem Symbolzeichen, das sich dem Zuschauer zunächst einmal nicht erschlieÃt. Dies zwingt ihn dazu, das Einzige zu tun, was auch Mateusz tun kann: beobachten, wie seine Off-Stimme betont. Denn Pieprzyca lässt mittels dieser Off-Kommentare Mateusz die Geschichte aus seiner eigenen Perspektive erzählen. So erfährt der Zuschauer etwa, wie sehr den Jungen die herabsetzenden Bemerkungen seiner Schwester Matylda (Helena Sujecka) kränken, oder wie er sich aus seiner beobachtenden Position für die weiblichen Reize der Nachbarin interessiert. Weniger zu interessieren scheinen Mateusz freilich die Fernsehnachrichten, die immer wieder in der Wohnung zu hören sind. Ende der neunziger Jahre werden sie vor allem vom Erstarken der noch verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc mit Lech Walesa dominiert. Die tiefgreifenden Veränderungen in Polen und im Weltgeschehen im Jahre 1989 spielen für Mateusz eigentlich gar keine Rolle. Für ihn ist 1989 das Jahr, an dem sein Vater (Arkadiusz Jakubik) stirbt, als dieser betrunken von einem Baugerüst stürzt. Das ist für Mateusz besonders bitter, weil sein Vater der einzige war, der nicht nur an eine Heilung des Jungen glaubte, sondern ihn auch als wirklichen Menschen ansah. Von ihm erbte Mateusz die Liebe zu den Sternen, von ihm erhielt er auch das Fernrohr, um ins Universum zu blicken. Seine Mutter liebt zwar Mateusz sehr und pflegt ihn aufopferungsvoll, aber sie behandelt ihn eher wie ein Objekt. Besonders deutlich macht dies Regisseur Maciej Pieprzyca an einer Episode: Als seine Mutter eine bestimmte Brosche im ganzen Haus sucht, sieht dies Mateusz als die lang erwartete Gelegenheit an, ihr zu zeigen, dass er keineswegs âGemüseâ ist. Denn der Junge weiÃ, dass sich besagte Brosche unter dem Sofa befindet. Mateuszâ heftige Bewegungen, dorthin zu robben, missversteht allerdings die Mutter. Statt zu triumphieren, sieht sich Mateusz noch stärker fixiert. Dass sich Mateuszâ Leben und das seiner Familie eigentlich in zwei Paralleluniversen abspielen, verdeutlicht Kameramann Pawel Dyllus mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Kunstgriff. In jeweils einer Einstellung zeigt er durch die offenen Türen zwei nebeneinanderliegende Zimmer: Auf der einen Seite Mateusz, auf der anderen Seite andere Familienmitglieder. Obwohl âIn meinem Kopf ein Universumâ fast ausschlieÃlich in Innenräumen gedreht ist, geht die Kamera hin und wieder ins Freie. So erlebt Mateusz (nun von Dawid Ogrodnik dargestellt) wunderbare Momente der Freundschaft, wenn ihm die hübsche Nachbarin Anka (Anna Kaczmarczyk) im Garten aus einem Buch vorliest oder im Schnee tollt. Das sind aber nur kurze Augenblicke, die auch ein jähes Ende finden, als Anka wegzieht. Auch bei Mateusz steht eine Ortsveränderung an. Nachdem sich seine Mutter einen Bandscheibenvorfall zugezogen hat, wird Mateusz in eine Einrichtung für geistig Behinderte verlegt. Dort begegnet er der Praktikantin Magda (Kataryna Zawadzka), in die er sich verliebt â bis Mateusz herausfindet, dass sie ihn nur instrumentalisiert. Aber dort erscheint eines Tages eine Logopädin, deren Methode es Mateusz endlich ermöglicht, mit der AuÃenwelt zu kommunizieren. âIn meinem Kopf ein Universumâ erinnert an Filme wie âSchmetterling und Taucherglockeâ (Julian Schnabel, 2007), der von der Kommunikation eines am âLocked-in-Syndromâ leidenden Mannes handelte, oder noch stärker an âDie Sprache des Herzensâ (siehe Filmarchiv), der die Geschichte der blindtauben Marie Heurtin erzählt: Im ausgehenden 19. Jahrhundert lernt die stumm und blind Geborene von einer Ordensschwester eine Zeichensprache, mit der sie mit der AuÃenwelt kommunizieren kann. Was âIn meinem Kopf ein Universumâ von diesen Filmen unterscheidet, ist der betont sachliche, ja trockene Erzählton, mit dem Regisseur Pieprzyca jede Rührseligkeit umschifft. Dazu trägt ebenfalls ein lakonischer Humor bei, der sich durch den ganzen Film zieht, beispielsweise als Mateusz nach einem Wutanfall im Heim einen Helm tragen muss, was er mit den Worten kommentiert, er sei in den âKreis der Boxerâ aufgenommen worden. Dadurch wird die an sich schreckliche Geschichte eines jungen Mannes, der in seinen Bemühungen, sich mittzuteilen und Liebe zu erfahren, immer wieder harte Rückschläge erfährt, zu einem berührenden, aber auch spannenden, humorvollen und lebensbejahenden Film, der den Zuschauer hoffnungsvoll stimmt. Wenn dann im Nachspann dokumentarische Bilder den echten Mateusz zeigen, wird dem Zuschauer die auÃergewöhnliche schauspielerische Leistung der Darsteller Kamil Tkacz und Dawid Ogrodnik besonders deutlich. |
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