VERFEHLUNG | Verfehlung
Filmische Qualität:   
Regie: Gerd Schneider
Darsteller: Sebastian Blomberg, Kai Schumann, Jan Messutat, Sandra Borgmann, Valerie Koch, Rade Radovic, Hartmut Becker
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 95 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: U
im Kino: 3/2015


José García
Foto: Camino

Auf der noch schwarzen Leinwand hört der Zuschauer eine Off-Stimme leise beten. Sie gehört Jakob Völz (Sebastian Blomberg), einem katholischen Priester. Der dafür etwas ungewöhnliche Ort: eine Umkleidekabine vor einem Fußballspiel unter Freunden. Nach dem Spiel gehen die drei befreundeten, jungen Geistlichen in die Kneipe. Oliver (Jan Messutat) möchte mit Jakob und Dominik (Kai Schumann) seine Ernennung zum stellvertretenden Generalvikar feiern. Dabei stellt er Jakob auch eine Beförderung in Aussicht: Nach vier Jahren als Gefängnisseelsorger könnte er sich einer neuen Herausforderung etwa als Stadtdechant stellen.

Aus heiterem Himmel erscheinen am Sonntag darauf vor dem Gottesdienst in der gut gefüllten Kirche, den Jakob und Dominik gemeinsam feiern wollen, zwei Polizisten in der Sakristei. Ein Junge hat Dominik wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Der junge Priester kommt in Untersuchungshaft – in dasselbe Gefängnis, in dem Jakob als Seelsorger arbeitet. Jakob geht davon aus, dass die Anschuldigungen falsch sind. Oliver will es mit ganzer Kraft, weil die Angelegenheit sonst seine Karriere behindern würde. Allerdings nagt nach und nach der Zweifel an Jakob, insbesondere nachdem er Vera Rubin (Sandra Borgmann), die Mutter des vermeintlichen Opfers Mike, getroffen hat. Nun sucht er die Aussprache mit Dominik, bis dieser gesteht: „Es war im Grunde gar nichts. Es ist einfach passiert“. Jakob versucht, seine Oberen zum Handeln zu bewegen. Aber sowohl Oliver als auch Kardinal Schöller (Hartmut Becker) lassen ihn abblitzen: „Die Kirche ist eine Mutter und eine Mutter schlägt man nicht“, sagt der Kardinal. Oliver will mit Geld die Mutter des Opfers zum Schweigen bringen. Jakob sieht sich in einem Zwiespalt zwischen Loyalität und Liebe zur Wahrheit. Die Entscheidung liegt allein bei ihm.

Regisseur Gerd Schneider, der selbst Priesteramtskandidat war, ehe er sich für ein Regiestudium entschied, legt sein Augenmerk nicht auf den eigentlichen sexuellen Missbrauch, sondern auf den Umgang der katholischen Kirche mit den „Missbrauchsfällen“. Über den Missbrauch selbst erfährt der Zuschauer eher wenig: Mike ist inzwischen so verstört, dass er sich selbst Verletzungen zufügt. Der kroatische, alleinerziehende Vater eines zweiten missbrauchten Jungen zerbricht daran und verfällt dem Alkohol. Laut Verleih-Informationen ist Schneiders Film „eine intensive Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Verhalten der katholischen Kirche bei Missbrauchsfällen. Von Innen heraus erzählt, geht der Film der Frage auf den Grund, warum so viele geschwiegen haben, die eigentlich hätten handeln müssen.“ Regisseur Schneider selbst führt dazu aus, ihm sei es „wichtig zu erzählen, dass es kein System der Vertuschung gibt, aber das Vertuschen durchaus systematische Züge hat. Angst, Unvermögen und vorauseilender Gehorsam haben ein Klima geschaffen, in dem diese ungeheuren Vorgänge stattfinden konnten.“

Diese vorgefertigte Meinung fließt insbesondere in die Figurenzeichnung ein: Als Zentralfigur, durch die der Zuschauer auf die Ereignisse schaut, gestaltet Sebastian Blomberg – der kürzlich für seine Darstellung in „Zeit der Kannibalen“ den Preis der deutschen Filmkritik erhielt – Jakob als zwischen Loyalität, Vertrauen und Zweifeln innerlich zerrissenen Mann, dessen Grundfeste wegzubrechen drohen. Umso blasser bleiben gegenüber ihm die zwei anderen Hauptprotagonisten: Oliver entspricht vollends dem Klischee eines Karrieristen. Dominiks Figurenzeichnung bleibt völlig diffus: Ein Monster ist er offensichtlich nicht. Er war bislang beliebt und engagiert. Gerd Schneider macht keine Anstalten, ihn dem Zuschauer näherzubringen.

Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen, ob er nun in der Familie – wo er am häufigsten passiert –, in Schulen, Internaten oder Sportvereinen stattfindet. Wenn aber ein katholischer Priester einen Minderjährigen sexuell missbraucht, ist dies außerdem noch ein Zeichen des Scheiterns – nicht nur, weil die Kirche eine hohe Sexualmoral predigt (oder predigen sollte), sondern vor allem darum, weil er an seiner Berufung Verrat geübt hat. Denn sie verlangt Enthaltsamkeit nicht bloß als negative Eigenschaft, sondern als gelungene Integration in die Persönlichkeit eines Priesters. Ein katholischer Geistlicher soll zölibatär leben, damit er sein ganzes Ich in den Dienst der Kirche stellten kann, weil in seinem Leben nur für eine Liebe, für die Liebe Gottes, Platz sein soll. Daher die „Null-Toleranz“-Politik im Kampf gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, die Papst Franziskus von Benedikt XVI. übernahm. In „Verfehlung“ ist allerdings an keiner Stelle davon die Rede.

In Schneiders Film gibt es denn auch aus dem kirchlichen Bereich eine einzige positiv besetzte Figur: Jakob. Positiv besetzt ist der innerlich zerrissene Priester freilich nur deshalb, weil er sich letztlich gegen das System entscheidet. Mit „Verfehlung“ vertritt Gerd Schneider die These, dass alle anderen Kleriker die Vertuschung mittragen: der Karrierist Oliver genauso wie der Kardinal, dessen Figur ins Karikaturhafte kippt, oder auch der joviale alte Prälat, von dem Jakob zufällig erfährt, dass er schon immer von Dominiks Neigung wusste und es einfach auf die leichte Schulter nahm. Innerhalb des Systems, so suggeriert „Verfehlung“, sei niemand willens, die Missbräuche abzustellen. Eine ziemlich einseitige Aussage.
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