BERLINALE 2015 - WETTBEWERB | Berlinale 2015 - Wettbewerb
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Die Berlinale 2015 präsentierte in zwölf verschiedenen Sektionen mehr als 400 Filme. Am offiziellen Wettbewerb – dem Herzstück der Berlinale – nahmen insgesamt 23 Filme teil, vier davon „außer Konkurrenz“. Unabhängig davon, dass die Filme viel zu unterschiedlich sind, um sie miteinander zu vergleichen, können die Entscheidungen einer siebenköpfigen Jury immer nur als etwas Subjektives angesehen werden. Nachfolgend eine ebenfalls subjektive Sicht auf den diesjährigen Berlinale-Wettbewerb.

Gute Filme außer Konkurrenz

Die Filme, die wohl deshalb außer Konkurrenz gezeigt wurden, weil sie als für ein Filmfestival zu kommerziell angesehen werden, überzeugten durchweg. In „Mr. Holmes“ zeichnet Regisseur Bill Condon das Porträt eines gealterten Sherlock Holmes (Ian McKellen) dreißig Jahre, nachdem er sich ins Private zurückgezogen hatte. Zwischen dem Meisterdetektiv und dem kleinen Sohn (Milo Parker) seiner Haushälterin entwickelt sich eine schöne Freundschaft. Durch die Neugier des Jungen arbeitet Holmes seinen letzten Fall, den er damals nicht lösen konnte, wieder auf. Zu diesen zwei Zeitebenen kommt eine weitere Dimension in Form eines Films im Film: Sherlock Holmes ist noch zu seinen Lebzeiten zu einer Kunstfigur geworden. Ein Großteil des feinen Humors in „Mr. Holmes“ geht auf die Versuche des Detektivs zurück, das falsche Image zurechtzurücken.

Wim Wenders wurde während der Berlinale 2015 nicht nur mit dem „Goldenen Ehrenbären“ für sein Lebenswerk geehrt. Der deutsche Regisseur präsentierte auch seinen neuesten Film „Every Thing Will Be Fine“, in dem der junge Schriftsteller Tomas (James Franco) einen kleinen Jungen überfährt. Sowohl er als auch die Kindesmutter (Charlotte Gainsbourg) sind am Boden zerstört. Fällt der Schriftsteller in eine Depression, so überwindet die Mutter ihre Trauer im Gebet kniend auf einer Kirchenbank. Die Handlung erstreckt sich auf etwa zwölf Jahre, bis sich der inzwischen zu einem Jugendlichen herangewachsene Bruder des beim Unfall getöteten Kindes mit Tomas versöhnt. In ruhigem Rhythmus und mit schönen Bildern der kanadischen Landschaft schildert Wenders eine universelle Geschichte über Verlust, Schuld und Aussöhnung. In einem deutlich höheren Tempo erzählt Oliver Hirschbiegel nach einem Drehbuch von Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer das Schicksal des Hitler-Attentäters Georg Elser. In ebenfalls herausragenden Bildern (Kamera: Judith Hoffmann) zeigt „Elser“ nicht nur die Vorbereitungen auf das Bombenattentat im Münchener Bürgerbräukeller am 8. November 1939. Der Film zeichnet außerdem ein fein nuanciertes Porträt von Georg Elser, wozu das hervorragende Spiel von Elser-Darsteller Christian Friedel wesentlich beiträgt.

Als letzter Film außer Konkurrenz – und wohl als versöhnlicher Abschluss – zeigte das Wettbewerbsprogramm Kenneth Branaghs „Cinderella“. Die Neuverfilmung des bekannten Märchens „Aschenputtel“ besticht insbesondere durch seine visuellen Eigenschaften, durch die bunten Kostüme und das gelungene Szenenbild sowie durch die Spezialeffekte. Der berühmte Shakespeare-Regisseur konnte auf eine hervorragende Schauspielerriege zurückgreifen: Lily James als Cinderella, Cate Blanchett als Stiefmutter, Derek Jacobi als König und Helena Bonham Carter als schusselige gute Fee verwandeln den Film in ein wunderschönes Kinomärchen mit ein paar nachdenklichen Momenten. „Cinderella“ wurde übrigens als einziger Film bei einer Pressevorführung mit Szenenapplaus bedacht.

Trockene Kost im Kampf um die Bären

Eröffnet wurde der Wettbewerb mit Isabel Coixets „Nobody Wants the Night“. Darin reist Josephine Peary (Juliette Binoche) im Jahre 1908 ihrem Mann, dem Entdecker Robert Peary, nach, als dieser im Begriff ist, den Nordpol zu erreichen. Mit fast zwei Stunden Filmdauer ist Coixets Film in seinen Bildern vom ewigen Eis einfach zu repetitiv. Als eigenartig nimmt es sich außerdem aus, dass in einem Film, der für die Rechte der Eskimos eintritt, die Rolle der Eskimofrau von der japanischen Schauspielerin Rinko Kikuchi gespielt wird. Werner Herzogs „Queen oft he Desert“ zeichnet das Leben von Gertrude Bell (Nicole Kidman) als „dem wahren Lawrence von Arabien“ nach. Dem Film gelingt es in seinen zwei Stunden Dauer jedoch nicht, diese Persönlichkeit für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Bei den beiden Filmen, in dem „starke Frauen“ im Mittelpunkt stehen, stellt sich der Eindruck ein, dass eine viel straffere Handlung eine stimmige Erzählung hätte ergeben können.

Genau das Gegenteil macht Jafar Panahis zu Recht mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichneter Film „Taxi“. Die Entscheidung der Internationalen Jury, den unter Hausarrest gestellten iranischen Regisseur mit dem „Goldenen Bären“ auszuzeichnen, mag zwar auch politisch motiviert sein. Jafar Panahis auf 82 Minuten zusammengeraffte, getürkte Dokumentation, in der er selbst als Taxifahrer agiert, kann jedoch als einer der wenigen Filme bezeichnet werden, der diesen Preis auch verdient haben. Einen halbdokumentarischen Charakter weist ebenfalls Sebastian Schippers „Victoria“ auf, weil der Bankenraub-Thriller in einer einzigen Plansequenz aufgenommen wurde. Obwohl auch hier die erste Stunde des Films etwas zu lang geraten ist, zieht die Unmittelbarkeit der Kamera den Zuschauer in ihren Bann. Folgerichtig erhielt Kameramann Sturla Brandth Grøvlen von der Internationalen Jury den „Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung“ zusammen mit den russischen Kameramännern Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk in Alexej Germans „Pod electricheskimi oblakami“ („Under Electric Clouds“). Germans Film stellt sich als das genaue Gegenteil von „Taxi“ oder „Victoria“ heraus: Die durch und durch stilisierte äußere Erscheinungsform korrespondiert mit einem Inhalt voller Symbolik, zu der jedoch nicht-russische Zuschauer kaum einen Zugang finden. Eine realistische Erscheinung in der Tradition britischer Filme kennzeichnet auch „45 Years“ von Andrew Haigh, der von einem Ehepaar erzählt, das nach 45 Jahren Ehe von der Vergangenheit eingeholt wird. Obwohl insgesamt der Film nicht über Fernsehniveau hinausgeht und den Vergleich mit ähnlichen Filmen nicht standhält, sticht das Spiel der Hauptdarsteller Charlotte Rampling und Tom Courtenay heraus, die jeweils mit dem „Silbernen Bären“ für die Beste Darstellerin respektive für den Besten Darsteller geehrt wurden. Andere, durchaus mit hohen Erwartungen erwartete Filme, etwa Andreas Dresens „Als wir träumten“ oder Terrence Malicks „Knight of Cups“, enttäuschten durchweg.

Pathologische Auswüchse des Glaubens

Am Wettbewerb nahm ein einziger Film teil, der ausdrücklich in einem katholischen Milieu angesiedelt ist. Der mit dem „Silbernen Bären Großen Preis der Jury“ ausgezeichneter „El Club“ von Pablo Larraín handelt von einer Gruppe Priester, die aufgrund verschiedener Verfehlungen, etwa sexueller Missbrauch, in einem Haus am chilenischen Meer unter Aufsicht einer Nonne leben. Ähnlich „Kreuzweg“ bei der letztjährigen Berlinale erzählt „El Club“ weder von der Kirche noch vom Glauben, sondern von pathologische Auswüchsen des Glaubens. Wie die Mutter in „Kreuzweg“ scheinen die Charaktere in „El Club“ einer Psychopathen-Wunderkammer entnommen zu sein. Mit dieser düsteren-gespenstigen Sicht des christlichen Glaubens kontrastieren die Momente des Gebets etwa in Wenders „Every Thing Will Be Fine“ oder auch in „Elser“: Das in voller Länge gezeigte Vaterunser, das der schwer gefolterte Georg Elser in seiner Zelle betet, vermittelt dem Zuschauer, woher er die Kraft nahm, die Peinigungen und die Todesangst in den Krallen der Gestapo durchzustehen.

Zum Verhältnis zwischen Film und Glauben nahm „Elser“-Drehbuchautor und -Produzent Fred Breinersdorfer in seiner Festrede beim Ökumenischen Berlinale-Empfang in der Katholischen Akademie Stellung, die der Autor bezeichnenderweise mit dem Aufruf überschrieb: „Missionieren Sie die Redaktionen!“. Darin führte Breinersdorfer aus: „Ich gebe zu bedenken, ob es nicht sinnvoll wäre, dass auf breiterer Basis die kirchlichen Akademien, die umfassenden Kenntnisse und die vielfältigen Erfahrungen der Kirchenfrauen und -männer nutzend, sehr offen auf Autoren, Regisseure und Redakteure zugehen und inhaltliche Angebote machen. Seminare, Workshops, Reisen, Recherchen und vieles mehr. Missionieren Sie deshalb geschickt die Redaktionen der Fernsehsender. Helfen Sie Verständnis zu schaffen und Allianzen zu bilden zwischen den Kreativen und Redaktionen, um mit Filmen Werte in die Herzen der Menschen zu pflanzen.“

Breinersdorfers Vorschlag sollte keine Sonntagsrede bleiben. Er verdient es, an verantwortlicher Stelle aufgegriffen zu werden. Würde der Glaube als wesentliche Dimension des Menschlichen entsprechende Würdigung in Spielfilmen erfahren, wären die Filmcharaktere ganz gewiss um eine tiefgründige Facette reicher als die meiste Figuren, die in den Filmen des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs auf der Leinwand zu sehen waren.
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