BERLINALE 2015 - GENERATION | Berlinale 2015 - Generation
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Die 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin bestehen nicht nur aus dem „Wettbewerb“, bei dem es um die Verleihung des goldenen und der silbernen Bären geht. Zur Berlinale gehören ebenfalls elf weitere Sektionen, die zehn Tage lang eine schier unüberschaubare Zahl an Filmen aus allen Ländern präsentieren. In einer dieser Sektionen werden unter dem Oberbegriff „Generation“ in den zwei voneinander unabhängigen Wettbewerben „Kplus“ und „14plus“ Kurz- und Langfilme vorgestellt, die sich an Kinder bis 14 Jahren respektive an 14- bis 18-jährige Jugendliche wenden. Die diesjährigen „Kplus“- und „14plus“-Wettbewerbe bestehen aus jeweils 14 Langfilmen, zu denen Kurzfilme in unterschiedlicher Länge hinzukommen.


Schwierige Kindheit und klassische Kinderfilme

Der „Kplus“-Wettbewerb bietet die Gelegenheit, über den mitteleuropäischen Tellerrand zu schauen, um die Bedingungen einer Kindheit in anderen Teilen der Welt kennenzulernen. Diese erweisen sich meistens als ziemlich hart. So zeigt der türkische Beitrag „Schneepiraten“ („Kar Korsalari“) von Faruk Hacihafizoglu den alltäglichen Kampf von drei etwa elfjährigen Jungen, um Kohlenreste zu ergattern. Denn der Winter in der verlorenen Gegend ist hart. Im Jahre 1981 angesiedelt, scheinen in „Schneepiraten“ die Auswirkurgen der Militärdiktatur immer wieder durch: „Generäle an der Wand, Kohle im Ofen“ lautet beispielsweise die Parole eines Gastwirts, der sich wegen seiner Regimefreundlichkeit im Gegensatz zu den Familien der Kinder keine Sorge um den Brennstoff zu machen braucht. Wie nebenbei verdeutlicht Regisseur Hacihafizoglu auch die Diskriminierung der Kurden. Dennoch finden die drei Protagonisten Gelegenheit, Späße zu treiben und Glücksmomente zu finden.

Einen schwierigen Weg haben zwei junge Brüder im Spielfilm „Der Weg zum Fluss“ („Jia Zai Shui Cao Feng Mao De Di Fang“) des jungen chinesischen Regisseurs Li Ruijun zurückzulegen. Sie gehören der kleinen Minderheit der Yuguren an, die in Zentralchina ihr traditionelles Leben gegen die Folgen der Zivilisation zu behaupten suchen: Die Kinder machen sich auf Kamelen auf den Weg durch eine wüstenartige Landschaft zu ihren Eltern, weil sich die Familie auf der Suche nach Weideland trennte. Trotz der exotischen Handlungsorte erzählt „Der Weg zum Fluss“ auch eine universelle Geschichte: Zwei zunächst miteinander zerstrittene Brüder, die zueinander finden.

Eine schwierige Kindheit hat auch die heranwachsende Katelijne in den Niederlanden des Jahres 1988 im Spielfilm „Konfetti Ernte“ („Dorsvloer vol Confetti“) zu bestehen. Denn ihre Familie lebt nach den strengen Regeln einer (wohl freikirchlichen) protestantischen Gemeinschaft. Ihre Mutter lächelt nie, in der Schule wird ihr eingetrichtert, dass überall, etwa in der Musik oder in Büchern der Teufel steckt. Katelijne möchte sich von all dem befreien. Eigentümlich, dass der einzige Kinderfilm, der in einem expliziten christlichen Milieu angesiedelt ist, diese Gemeinschaft überaus abstoßend zeichnet, während in anderen Filmen der Buddhismus in einem viel günstigeren Licht gezeigt wird.

Das „Kplus“-Programm bietet darüber hinaus klassisches Erzählkino, so etwa den irischen Film „So wie ich bin“ („Your’re Ugly Too“) von Mark Noonan, der die schwierige Beziehung zwischen der etwa elfjährigen Stacey, die beide Eltern verloren hat, und ihrem Onkel Will schildert, der vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde, damit er sich um Stacey kümmern kann. Im australischen Beitrag „Papierflieger“ („Paper Planes“) erzählt Robert Connolly vom 11-jährigen Dylan, der an der Papierflieger-Weltmeisterschaft in Tokio teilnimmt. Freundschaft und die Vater-Sohn-Beziehung stehen im Vordergrund dieses klassischen Kinderfilmes. Für die ganz Kleinen bietet der wunderschön gezeichnete, dänische Zeichentrickfilm „Mini und die Fahrradmücken“ („Cykelmyggen og Minibillen“) einen Einblick in die Welt der Insekten. Ein Film, der ebenfalls vor allem von Freundschaft erzählt.


Jugendfilme: Kinder und Jugendliche in einer widrigen Welt

Auf den ersten Blick verwundert es, dass die Protagonisten der eindrucksvollsten Spielfilme des „14plus“-Wettbewerbs jünger als das Zielpublikum sind. Sie schildern jedoch so schwere Schicksale, dass diese Filme für Kinder kaum geeignet erscheinen. So erzählt Sergio Mazza im argentinischen Spielfilm „El Gurí“ („The Kid“) vom 10-jährigen Gonzalo, dessen Mutter plötzlich verschwunden ist. Der Junge muss sich allein um seine kleine Schwester, noch ein Baby, und um die apathische, senile Urgroßmutter kümmern. Sergio Mazza schafft es, auf spannende Weise den Zuschauer nach und nach in die Gemeinschaft eines kleinen Dorfes einzuführen, bis Gonzalo – und mit ihm der Zuschauer – die Wahrheit über seine Mutter erfährt. Im afghanischen Film „Mina Walking“ (Regie: Yosef Baraki) kümmert sich die 12-jährige Mina rührend um ihren dementen Großvater. Weil ihre Mutter von den Taliban ermordet wurde und sein Vater drogenabhängig ist, muss sie für den Unterhalt der Familie sorgen. Regisseur Baraki zeichnet das Porträt eines starken Mädchens in einer männerdominierten Welt, das sich allerdings ihrem Schicksal kaum entziehen kann.

Wie so mancher Beitrag in der Sektion für Kinder- und Jugendfilme der Berlinale 2015 ist die Handlung des kanadischen Films „Corbo“ von Mathieu Denis in der Vergangenheit angesiedelt: Im Jahre 1966 schlittert der Schüler Jean Corbo in eine terroristische Organisation hinein, die für die Rechte der Arbeiter sowie für die Unabhängigkeit des frankophonen Kanadas kämpft. Mit einer feucht-fröhlichen Hochzeitsfeier beginnt der schwedische Spielfilm „Flocken“ („Flocking“) von Beata Gårdeler. Doch die Stimmung schlägt jäh um, als die 17-jährige Jennifer behauptet, ein Schulkamerad habe sie vergewaltigt. Obwohl das Streben, alles detailgenau auflösen zu wollen, die Filmaussage eigentlich konterkariert, zeichnet Regisseurin Gårdeler meisterhaft das Psychogramm eines kleinen Dorfes, das Zusammenhalt darin zu finden glaubt, dass nicht der Beschuldigte, sondern die „Nestbeschmutzerin“ und deren Familie ausgegrenzt wird.

Wenn auch der etwa 17-jährige Ayoub im niederländischen Beitrag „Prins“ („Prince“) von Sam de Jong nicht mit einem solch tragischen Erlebnis konfrontiert wird, so ist sein Leben ebenfalls gar nicht so einfach: Der drogenabhängige Vater verließ die Familie, und trifft sich mit Ayoub nur, um von ihm Geld zu erbitten. Die wechselnden Männerbekanntschaften der Mutter machen es ihm auch nicht leichter. Ayoub vertrödelt seine Zeit mit den Freunden im aseptischen Neubaugebiet. Er hat sich in die schöne Nachbarin Laura verliebt, die aber mit einem der schweren Jungs aus der Vorstadt zusammen ist. Durch den Umgang mit einem richtigen Kriminellen hofft Ayoub, Laura zu imponieren. Damit gerät er aber auch in die Drogenwelt.

Nicht alle am „14plus“-Wettbewerb teilnehmenden Filme handeln von tragischen Schicksalen oder von einem Leben am Rande der Legalität. So erzählt etwa der russische Film „14+“ eine klassische Liebesgeschichte. In den ersten Filmbildern verdeutlicht Regisseur Andrey Zaytsev die Anonymität der Großstadt: In einer schnellgeschnittenen Sequenz wechseln sich riesige Wohnblocks und ein dichter Verkehr. Die Ausgangssituation ist der in „Prins“ ähnlich: Der unscheinbare Alex verliebt sich in Vika, die aber von den Schlägern des Vororts „beschützt“ wird. Irgendwann einmal setzen sich aber ihre Gefühle durch. Für den Beginn der Liebesgeschichte lässt sich Regisseur Zaytsev eine hübsche Idee einfallen: Alex, Vika und ihre Freunde drehen eigenständige „Filme im Film“. Obwohl „14+“ eine ansprechende Geschichte über die erste Liebe schildert, fragt es sich, ob zur Liebe zwischen 14-Jährigen der „erste Sex“ unbedingt wie selbstverständlich dazu gehören muss.

Wie in früheren Jahren lassen sich die Kinder- und Jugendfilme der Berlinale 2015 kaum auf einen Nenner bringen. Auffällig ist es auf der einen Seite, dass etliche von ihnen in der Vergangenheit angesiedelt sind. Darüber hinaus handeln sie häufig von schwierigen Lebensverhältnissen. Ins Auge springt außerdem, dass die neuen Medien oder die sozialen Netzwerke in diesen Filmen kaum eine Rolle spielen. Zwar handelt der japanische „14plus“-Film „Wonderful World End“ von einer jungen Videobloggerin. Dies ist jedoch lediglich der Ausgangspunkt für eine Freundschaftserzählung. Eine Thematisierung des Einflusses, den etwa das Internet auf Jugendliche ausübt, den zuletzt die Tatortfolge „Das verkaufte Lächeln“ in den Mittelpunkt stellte, sucht man bei den diesjährigen „Kplus“- und „14plus“-Filmen vergebens.
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