GROSSE TRIP – WILD, DER | Wild
Filmische Qualität:   
Regie: Jean-Marc Vallée
Darsteller: Reese Witherspoon, Laura Dern, Thomas Sadoski, Michiel Huisman, Gaby Hoffmann, Kevin Rankin, Mo McRae, Keene McRae
Land, Jahr: USA 2014
Laufzeit: 119 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X +
im Kino: 1/2015
Auf DVD: 5/2015


José García
Foto: Twentieth Century Fox

Die junge Frau, die in einem Motel den vollbepackten Rucksack zu stemmen versucht, macht nicht den Eindruck einer erfahrenen Wanderin. Cheryl Strayed (Reese Witherspoon) beginnt damit ihre Wanderung auf dem Pacific Crest Trail, der sich im Westen der Vereinigten Staaten von der mexikanischen bis zur kanadischen Grenze erstreckt. Für die fast 1 800 Kilometer von der Mojave Wüste bis nach Oregon hat sie drei Monate veranschlagt. Gleich am ersten Abend zeigt sich Cheryls Ungeschicklichkeit überdeutlich, als sie ziemlich unbeholfen das Zelt aufzuspannen versucht, und es sich darüber hinaus herausstellt, dass sie die richtige Gaskartusche für den Kocher vergessen hat. Natürlich denkt sie sofort ans Aufgeben, ehe die Tour richtig begonnen hat. Aber so einfach gibt sie nicht auf. Selbst die Angst vor der Dunkelheit überwindet sie in dieser ersten Nacht in der Mojave-Wüste.

Zu dieser strapaziösen Wanderung, bei der sie weitestgehend auf sich allein gestellt ist und tagelang niemandem begegnet, hat sich Cheryl entschlossen, um einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit zu machen. Das Drehbuch von Nick Hornby setzt diese Vergangenheit aus zunächst nur ganz kurzen Rückblenden zusammen, die sich wie Mosaiksteine im Laufe des Spielfilms „Der große Trip – Wild“ zu einem Ganzen zusammenfügen: die innige Beziehung zur Mutter Bobbi (Laura Dern), die den alkoholsüchtigen Ehemann verlassen hatte und dann nach einer kurzen Krebserkrankung gestorben war, das Scheitern ihrer Ehe mit Paul (Thomas Sadoski), nachdem sie ihn öfter betrogen hatte, und schließlich das Abdriften in ein Leben mit immer stärkeren Drogen und sexuellen Ausschweifungen: „Ich habe meine Ehe zerstört und jetzt zerstöre ich mein Leben“.

Die Trekking-Tour, die sie an ihre physischen Grenzen bringt, hilft Cheryl die Vergangenheit aufzuarbeiten und ins Leben zurück zu finden. „Der große Trip – Wild“, bei dem Jean-Marc Vallée Regie führt, basiert auf dem Erfahrungsbericht „Wild – A Journey from Lost to Found“, den die echte Cheryl Strayed nach ihrer Wanderung auf dem Pacific Crest Trail Mitte der neunziger Jahre veröffentlichte.

Obwohl es in „Der große Trip – Wild“ um eine schmerzhafte Selbsterfahrung und Läuterung geht, setzt Regisseur Jean-Marc Vallée einen leichten Erzählton ein, zu dem der feine Humor oder auch die schönen Landschaftsbilder beitragen, die Kameramann Yves Bélanger einfängt, ohne die eindrucksvolle Wildnis in Postkartenbilder umzusetzen. Diese werden vom Soundtrack mit klassisch moderner Musik etwa von Leonard Cohen und insbesondere von Simon & Garfunkel – „El Condor Pasa“, das Cheryl immer wieder teilweise summt, stellt eine Art Leitmotiv während ihrer Wanderung dar – kongenial untermalt.

Humorvolle Momente bietet „Der große Trip – Wild“ insbesondere, wenn der Film Zuschauererwartungen konterkariert. So etwa bei einer Begegnung auf freiem einsamem Feld mit einem Farmer: Sein Angebot und seine Wortwahl werden vom Zuschauer – und auch von der plötzlich aufgeschreckten Cheryl – als anzüglich aufgefasst ... und stellen sich als völlig harmlos heraus. Andere Begegnungen enden anders, als der Zuschauer zunächst gedacht hatte, und lassen den Glauben an das Gute im Menschen aufleben. Zu den glaubwürdigen Figuren führt die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) bei der Verleihung des Prädikats „besonders wertvoll“ aus: „Es geschieht nichts Spektakuläres auf dieser Wanderung, aber Cheryl entwickelt sich auf eine faszinierende Weise auf dieser sowohl äußerlich wie auch innerlich existenziellen Reise. Jean-Marc Vallée ist einer von den Regisseuren, die ihre Figuren sehr authentisch und lebensnah in Szene setzen können und Reese Witherspoon liefert hier eine oscarreife Leistung, weil sie völlig uneitel spielt und eine verblüffende Intimität zulässt.“

In dieser Geschichte einer Erlösung begehrt Cheryl zunächst einmal gegen Gott auf. Sie kommt aber irgendwann einmal zur Einsicht: „Ich bete, dass es einen Gott gibt“. Die Erlösung kommt in Vallées Film aber leise daher – und das ist eine seiner Stärken. Eine weitere Stärke liegt in der perfekten Verknüpfung zwischen den Rückblenden und der Rahmenhandlung, die ein Gleichgewicht zwischen den Verfehlungen der Vergangenheit, der Schuld, und den Strapazen der Trekking-Tour, der Sühne, schafft.

Die Verzahnung von Cheryls innerer und äußerer Reise gelingt insbesondere auch dank der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Reese Witherspoon. Die Schauspielerin, die durch komödiantische Rollen bekannt wurde, sah offenbar in der Verkörperung der Cheryl Strayed die Chance zu einer reiferen Charakterdarstellung. Sie erwarb die Rechte an Strayeds Buch und produzierte „Der große Trip – Wild“ zusammen mit Bruna Papandrea, Miteigentümerin der gemeinsamen Produktionsfirma „Pacific Standard“.

Auf ihrer beschwerlichen Wanderung muss Cheryl nicht nur äußere Hindernisse, sondern vor allem sich selbst überwinden. Dadurch kann sie nicht nur den Verlust ihrer Mutter akzeptieren, sondern auch sich dem Leben stellen und sich selbst läutern. Im Tagebuch ihrer Wanderung zitiert Cheryl Strayed einen Satz von Emily Dickinson: „Wenn dein Mut sich dir verweigert, geh über deinen Mut hinweg“. Dieser Ausspruch stellt eine Zusammenfassung dieser Reise zu sich selbst dar, die ebenso die Geschichte einer Erlösung ist.

„Der große Trip – Wild“ wurde für die diesjährige Oscarverleihung in zwei Kategorien („Beste weibliche Hauptrolle“ und „Beste weibliche Nebenrolle“) nominiert.
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