WOLKEN VON SILS MARIA, DIE | Clouds of Sils Maria
Filmische Qualität:   
Regie: Olivier Assayas
Darsteller: Juliette Binoche, Kristen Stewart, Lars Eidinger, Chloë Grace Moretz, Hanns Zischler, Angela Winkler
Land, Jahr: Frankreich 2014
Laufzeit: 123 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 12/2014
Auf DVD: 8/2015


José García
Foto: NFP

Die Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche) erhält auf dem Höhepunkt ihrer Karriere das Angebot, in der Wiederaufführung des Theaterstückes zu spielen, mit dem sie zwanzig Jahre zuvor ihren Durchbruch feierte. Damals spielte sie Sigrid, eine verführerische junge Frau, die auf ihre Vorgesetzte Helena eine besondere Faszination ausübt und sie in den Selbstmord treibt. Nun soll Maria nach dem Wunsch des Regisseurs Klaus Diesterweg (Lars Eidinger) die ältere Helena verkörpern. Als Sigrid ist die skandalsüchtige Hollywood-Neuentdeckung Jo-Ann Ellis (Chloe Grace Moretz) vorgesehen. In Sils Maria, einem abgeschiedenen Alpental, probt Maria das Stück mit ihrer Assistentin Valentine (Kristen Stewart), ehe sie die endgültige Entscheidung trifft, ob sie die Rolle annimmt.

In Sils Maria, wo sich die Wolken wie eine Schlange durch die Berge schlingen, drehte Arnold Fanck 1924 „Das Wolkenphänomen von Majola“, von dem in „Die Wolken von Sils Maria“ einige Abschnitte zu sehen sind. Die Konfrontation zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart dieser Landschaft dienen als Metapher für die Auseinandersetzung über das Altern und den Kampf zwischen den Generationen, zu dem die hervorragende Schauspielleistung von Juliette Binoche und Kristen Stewart sowie die punktgenauen Dialoge wesentlich beitragen. Der vielschichtige Film von Olivier Assayas erweist sich darüber hinaus als anregendes Spiel über Theater beziehungsweise Kunst und Wirklichkeit.


Lars Eidinger im Interview über den Spielfilm „Die Wolken von Sils Maria“, seine Arbeit mit Juliette Binoche und über Fiktion und Realität

Mit der Fiktion verknüpft „Die Wolken von Sils Maria“ auch Authentisches, etwa Arnold Fancks Dokumentarfilm „Das Wolkenphänomen von Maloja“ oder die Figur von Wilhelm Melchior. Inwieweit spielt diese Vermischung für Sie eine Rolle?

Lars Eidinger: Es ist kein Zufall, dass sich Olivier Assayas für genau diese Schnittmenge interessiert. Ich spiele einen Regisseur, aber ich bin selbst Schauspieler und Regisseur. Unmittelbar vor den Dreharbeiten habe ich „Romeo und Julia“ an der Schaubühne inszeniert. Wenn wir nun im Film eine Probesituation spielen, stellt sich die Frage: Spielt sich eine Probe tatsächlich so ab? Oder löst man sich in der Fiktion von der Realität? Bei jeder Figur gibt es diese Schnittmenge: Die von Juliette Binoche gespielte Maria Enders war in jungen Jahren sehr berühmt, ja sie ist es bis heute. Wie Maria ist Juliette Binoche eine reife Frau, die schauen muss, dass sie nach wie vor gute Angebote bekommt. Chloë Moretz wurde mit Filmen wie „Kick Ass“ bekannt. Hier spielt sie eine Schauspielerin, die sich in erster Linie in Superheldenfilmen einen Namen gemacht hat. Das ist alles Teil des Konzepts.

Woran liegt der Unterschied, etwas zu spielen, was Sie auch in der Realität sind?

Lars Eidinger: Ein Unterschied liegt in der Vorbereitung. Wenn ich einen Chirurgen oder einen Architekten spiele, informiere ich mich, wie Chirurgen oder Architekten arbeiten. Wenn ich einen Regisseur spiele, weiß ich genau, was seine Aufgabe ist. Wenn man sonst sagen würde: „Das ist ja Fiktion“, zum Beispiel bei einem Krimi, bei dem man künstlerische Freiheit beansprucht, habe ich hier als Künstler den Anspruch, den Beruf möglichst authentisch darzustellen. Eine Gefahr für Schauspieler besteht darin, die Figur von sich wegzuhalten. Ich versuche eher Parallelen zu finden, wie ich gewisse Konflikte lösen würde, um das mit den Entscheidungen abzugleichen, die von der Figur getroffen werden.

Ist beispielsweise die Szene, in der Klaus Diesterweg eine Feier aufsucht, um Maria Enders von der Rolle zu überzeugen, ein Beispiel für Realitätsnähe?

Lars Eidinger: Ja. Ich weiß, dass Regisseure es genauso machen. Sie passen einen privaten Moment ab. Beim Spielen habe ich mich sehr darauf konzentriert. Ich hatte auch das Gefühl, dass Juliette Binoche das ähnlich sieht. Zumindest haben wir uns auf der Ebene getroffen, dass eine solche Begegnung auch etwas vom Flirt hat, weil ein Schauspieler per se sehr auf Bestätigung, auf Beachtung, Wertschätzung oder auch Liebe aus ist. Klaus versteht es, auf elegante und charmante Art und Weise es ihr zu geben.

Nachdem sich Maria Enders und ihre Assistentin einen Superhelden-Film angeschaut haben, streiten sie sich darüber, ob auch in einem solchen Genre echte Emotionen transportiert werden können. Ist das auch eine zusätzliche Ebene, in der über „echte“ und „Pop“-Kultur diskutiert wird?

Lars Eidinger: Sicher macht sich der Regisseur ein Stück weit über ein solches Genre lustig. Trotzdem setzt sich die Assistentin dafür ein, dass dieses Genre gehaltvoller als seine Oberfläche ist. Auch die Figur der Maria Enders lädt dazu ein, sie zu verachten, sie vorzuführen. Dies passiert jedoch nicht. Olivier Assayas zeigt keinen zynischen, sondern einen sehr liebenden Blick auf die Menschen. Er setzt ein großartiges Stilmittel ein: Maria Enders und ihre Assistentin fragen sich Text ab. Plötzlich ist der Zuschauer irritiert: Ist das noch der Text der Figuren oder ist das der Konflikt der Charaktere in dem Film? Sind nicht die Konflikte, die in der Fiktion ausgetragen werden, auch ein Teil der Realität? Juliette Binoche und Kristin Steward sind Schauspieler, die in diesen Szenen Schauspieler spielen, die eine Szene spielen. Diese drei Ebenen schwingen gleichzeitig und machen wahnsinnig viele Räume auf, die die Konflikte äußerst Komplex und vielschichtig machen. Oder wie Katja Ebstein in ihrem Song „Theater“ singt: „Es ist alles nur Theater und ist doch auch Wirklichkeit“.

Sie haben im Theater mehrfach inszeniert. Haben Sie auch daran gedacht, bei einem Kinofilm Regie zu führen?

Lars Eidinger: Ja. Ich habe eine Idee für einen Film. Ich würde gerne selber das Drehbuch schreiben, Regie führen und die Hauptrolle spielen. Allerdings müsste ich ein Jahr lang nichts anderes machen und das fällt mir im Moment nicht so leicht, mir die Zeit zu nehmen. Dennoch habe ich das vor, als Lebenstraum.

Ist es für Sie als relativ jungen Schauspieler eine Hilfe, mit so erfahrenen Schauspielerinnen wie jetzt Juliette Binoche oder 2012 mit Corinna Harfouch (in „Was bleibt“) zusammen zu arbeiten?

Lars Eidinger: Absolut. Ich finde, dass die beiden große Ähnlichkeiten haben. Ich bin ein großer Fan von Corinna Harfouch, auch als Partnerin. Weil Juliette Binoche noch prominenter ist, vermutete ich, mit einem unnahbaren Star zu tun zu haben. Aber es war gar nicht so. Ganz im Gegenteil. Sie hat es mir wahnsinnig leicht gemacht. Sie kam ins Theater vor dem ersten Drehtag und hat sich ein Stück mit mir angeschaut. Dann fragte sie, ob wir gemeinsam etwas essen gehen wollen, um uns kennenzulernen. Das würde man zunächst nicht vermuten. Für mich war ein großes Erlebnis, dass sie als Schauspielerin so überzeugend ist, dass ich teilweise als Kollege auf gewisse Dinge hereingefallen bin. Sie hat in einer Szene mit mir so geflirtet, dass ich dachte, sie sei in mich verknallt. Wirklich! Dann kommt „Danke!“ und diese Stimmung ist weg. Erst dann merkte ich, dass es nur gespielt war. Das muss man erst mal hinkriegen! An einem Filmset, wo man vorbereitet sein müsste, dass das Gegenüber nur spielt! Darüber hinaus gab sie alles, wie ich es – vielleicht mit Ausnahme von Corinna Harfouch – noch nie erleben durfte, damit das Zusammenspiel funktioniert. Sie ist hundertprozentig für den Partner da. Wenn sie aus dem Off anspielt, dann weint sie beispielsweise, auch wenn die Kamera es gar nicht sieht. Aber ich sehe es. Sie gibt mir diese Emotion. Das macht kaum einer. Im Gegenteil: Ich habe Kolleginnen erlebt, die versuchen, einen aus dem Off zu irritieren, damit man nicht so gut ist.

Juliette Binoche hat es einfach nicht nötig ...

Lars Eidinger: Ja, aber es ist großartig zu sehen, dass diese Arbeitsweise, diese Einstellung zum Erfolg führt. Es sind nicht die, die andere schwächen, die nach oben kommen. Die ohne Allüren auskommen, die einfach mit dem Partner spielen, zeigen wahre Größe.
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