MANNSCHAFT, DIE | Die Mannschaft
Filmische Qualität:   
Regie: Martin Christ, Jens Gronheid und Ulrich Voigt
Darsteller: Joachim Löw, Hansi Flick, Andy Köpke, Oliver Bierhoff und die Spieler der deutschen Nationalmannschaft
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 11/2014


José García
Foto: Constantin

Jetzt wissen wir es. Dass Thomas Müller in der 88. Minute des WM-Achtelfinal-Spiels gegen Algerien (2:1 nach Verlängerung) vor einem Freistoß stolperte, war keine Panne. Es handelte sich vielmehr um eine einstudierte Freistoß-Variante – auch wenn sie im Ernstfall nichts einbrachte. Zwar hatte bereits während der Weltmeisterschaft beispielsweise Toni Kroos darauf hingewiesen. Im Dokumentarfilm „Die Mannschaft“ kann aber der Zuschauer sehen, wie sie im Training geübt wurde. Das gehört allerdings – dies sei vorausgeschickt – zu den wenigen neuen Erkenntnissen, die der Film von Martin Christ, Jens Gronheid und Ulrich Voigt anzubieten hat.

Unter schon als triumphalistisch zu nennender Musik schreitet die deutsche Nationalmannschaft zum Titelgewinn. Auf dem Weg dorthin war der Sieg im Halbfinale-Spiel gegen Brasilien (7:1) insbesondere wegen der unerwarteten Höhe sicherlich ein Meilenstein. Daher ist es folgerichtig, dass die Filmemacher eine schnellgeschnittene Sequenz der deutschen Tore gegen Brasilien an den Anfang stellen.

Sonst berichtet „Die Mannschaft“ von der Fußball-WM einfach chronologisch. Das Unternehmen Weltmeisterschaft beginnt am 21. Mai im Trainingslager in Südtirol. Ein kurzes Interview mit Sami Khedira gibt die Tonlage des Filmes vor: Der Mittelfeldspieler von Real Madrid, der wegen des Champions League-Endspiels am 24. Mai erst später nach Südtirol reiste, wundert sich über die gute Stimmung im Trainingslager. Sie steht in krassem Gegensatz zur Darstellung in den deutschen Medien. Gute Stimmung, Harmonie ist das Schlüsselwort. Nicht umsonst heißt der Dokumentarfilm „Die Mannschaft“. Dessen Botschaft: Nicht die Stars wie Cristiano Ronaldo oder Neymar führen zum WM-Titel, sondern die Geschlossenheit einer harmonischen Mannschaft.

Sicher: Es ist kein Geheimnis, dass in der Vergangenheit der zwischen den Bayern- und den Dortmunder Spielern kaum zu überbrückende Graben der deutschen Nationalmannschaft geschadet hat. Aber: Waren wirklich der Schlüssel zum Erfolg in Brasilien gemeinsame Fahrradtouren in Südtirol und vor allem die von Oliver Bierhoff hochgelobte Abgeschiedenheit von Campo Bahia? Die Ankunft sollte laut dem Manager der deutschen Nationalmannschaft „unbedingt tagsüber“ erfolgen, damit die Spieler die Schönheit und die Ruhe der Gegend richtig schätzen lernten. Das Urlaubsambiente im Basisquartier der Nationalmannschaft wird hier als das entscheidende Moment für den Erfolg angepriesen.

Kaum ein Zuschauer hätte zwar erwartet, dass sich ein Dokumentarfilm über den Gewinn der Fußball-WM mit den gesellschaftlichen Problemen und den Protesten im Gastgeberland oder auch mit den Korruptionsvorwürfen gegenüber der FIFA beschäftigt. Aber ein paar Fragen, etwa zur Fußballtaktik, hätten dem Film gut getan. Lediglich die Frage, die ohnehin während der Weltmeisterschaft aus allen möglichen Blickwinkeln diskutiert wurde, ob Philipp Lahm im Mittelfeld oder als Rechtsverteidiger spielen soll, berührt diesen für die Sportart so entscheidenden Aspekt. Sonst erlaubt der Film hin und wieder schnelle Einblicke in das sogenannte „Workbook“ des Trainergespanns. Nur für Bruchteile von Sekunden sieht der Zuschauer mögliche Mannschaftsaufstellungen und deren Bewegungen auf dem Feld.

„Die Mannschaft“ zeigt sonst in schnellgeschnittenen Sequenzen den immer wieder gleichen Ablauf von An- und Abreise zu den Spielorten. Probleme – so will es „Die Mannschaft“ vermitteln – gab es keine. Spielerisch kommt im Film höchstens nur eine Ahnung davon, dass es ganz anders hätte laufen können, als die Filmemacher die Bilder des Achtelfinale-Spiels gegen Algerien Revue passieren lassen. Die entscheidende Verletzung von Marco Reus und die Nachnominierung von Shkodran Mustafi werden nicht einmal erwähnt. Und überhaupt: Wie wird der Kader zusammengestellt? Nach welchen Kriterien sucht Cheftrainer Joachim Löw das Gleichgewicht innerhalb der Mannschaftsaufstellung, innerhalb des Kaders? Wie werden die drei Spieler, die zwar im Trainingslager dabei waren, später aber nicht nach Brasilien mitfahren durften, ausgesucht oder eben aussortiert? Auf solche Fragen gibt „Die Mannschaft“ keine Antwort.

Schwerer wiegt es allerdings, dass die Filmemacher immer auf Abstand zu den Spielern bleiben. Selbst wenn sie in Großaufnahme im Interview präsentiert werden, erfährt der Zuschauer kaum etwas über die einzelnen Spieler, was er nicht bereits wusste. Da muss schon als weltbewegender Wissensgewinn die Information angesehen werden, dass Miroslav Klose seine Mitbewohner danach aussuchte, dass sie früh schlafen gehen.

Obwohl „Die Mannschaft“ eigentlich ein auf 90 Minuten ausgedehntes Werbevideo des Deutschen Fußball-Bundes ist, hat der Film selbstverständlich auch seine Stärken. Etwa wenn ein paar Spieler unter Anleitung des ehemaligen Nationalspielers Cacau versuchen, ein paar portugiesische Sätze zu lernen. Oder wenn Christoph Kramer als Neuzugang auf einer Fähre ein Lied singen muss, in das dann die anderen Spieler einstimmen. In sportlicher Hinsicht bietet „Die Mannschaft“ auch gestochen scharfe, aus ungewohnter Perspektive aufgenommene Spielzüge und Tore aus den Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Sie werden in einer so guten Qualität dargeboten, dass kein Fernseher dagegen halten kann. Zeitlich machen sie zwar nur einen Bruchteil des 90-minütigen Filmes aus. Sie lassen allerdings das Herz eines jeden Fußballfans höher schlagen.
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