IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS | Im Labyrinth des Schweigens
Filmische Qualität:   
Regie: Giulio Ricciarelli
Darsteller: Alexander Fehling, André Szymanski, Gert Voss, Friederike Becht, Johann von Bülow, Hansi Jochmann, Johannes Krisch
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 100 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 11/2014
Auf DVD: 5/2015


José García
Foto: Universal

Im Jahr 1958 ist Deutschland mit dem Wirtschaftswunder nach dem Wiederaufbau vollauf beschäftigt. Der frisch gebackene Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) behandelt eigentlich Verkehrsdelikte – bis der Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski) darauf hinweist, dass ein Freund einen Lehrer als ehemaligen Auschwitz-Aufseher identifiziert hat. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten beginnt Radmann zu ermitteln. Rückendeckung bekommt er aber vom Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss). Bald gerät Radmann in ein Labyrinth aus Unwissenheit und Verdrängung. Von Auschwitz haben die einen nie gehört. Die anderen wollen es einfach vergessen.

Regisseur Giulio Ricciarelli und seine Mit-Autorin Elisabeth Bartel erzählen aus der Sicht eines jungen Staatsanwalts, der eigentlich eine Verdichtung aus den drei jungen Staatsanwälten Joachim Kügler, Georg Friedrich Vogel und Gerhard Wiese ist, die tatsächlich an den Auschwitz-Prozessen mitwirkten. Der eigentliche Betreiber der Prozesse Fritz Bauer bleibt eher im Hintergrund. Johann Radmann wird damit zur Identifikationsfigur für den Zuschauer, der eine frische, unverstellte Sicht auf die Aufarbeitung der Ereignisse bietet. Gleichzeitig lässt der hervorragend gespielte, fotografierte und ausgestattete Film den Zeitgeist Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre lebendig werden.


Interview mit Regisseur Giulio Ricciarelli und Hauptdarsteller Alexander Fehling


Eine zentrale Aussage in Ihrem Film ist, dass in den fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre Auschwitz in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt war ...

Giulio Ricciarelli: Wirklich erschreckend, dass gerade junge Menschen nichts davon wussten. Um das zu verifizieren, sprach ich Gerhard Wiese darauf an, der als dritter Staatsanwalt Fritz Bauer bei den Ermittlungen unterstützte. Er war während des Krieges auf dem Gymnasium, wurde mit 17 Jahren Flakhelfer und kam in russische Kriegsgefangenschaft. Eines Tages hing am Schwarzen Brett ein Artikel über das Lager Auschwitz, der von allen deutschen Kriegsgefangenen als Propaganda abgetan wurde. Danach hörte er nie mehr davon, bis er Ende der fünfziger Jahre zur Staatsanwaltschaft kam. In der Gesellschaft herrschte Konsens, darüber zu schweigen. Auch die überlebenden Opfer haben geschwiegen.


Was bedeutete dies für Sie, um sich in Ihre Figur hineinzudenken?

Alexander Fehling: Ich konnte es anfangs nicht glauben. Gerade meine Generation (ich bin 33) hat sich wie selbstverständlich damit auseinandergesetzt. Ich habe eine Weile gebraucht, um beim Spielen nicht immer den Horror mitzudenken, um Auschwitz einfach als Begriff, als Wort zu nehmen, das damals eine andere Bedeutung als heute hatte. Mein Weg bestand darin, Bücher über die Zeit zu lesen, mich mit der Biografie von Fritz Bauer auseinanderzusetzen. Ich habe auch mit Staatsanwalt Gerhard Wiese gesprochen, der ungefähr in meinem Alter war, als er in der Ermittlergruppe mitarbeitete. Schritt für Schritt habe ich das Thema für mich eingekreist.


Wie beurteilen Sie die Auschwitz-Prozesse?

Giulio Ricciarelli: Sie haben dieses Land verändert, und eine historische Bedeutung. Wenn man aber sieht, dass 17 Leute mit zum Teil zu milden Strafen verurteilt wurden, ist das in keinster Weise adäquat. Das haben wir auch zum Inhalt des Filmes gemacht. Fritz Bauer wollte ja keine Rache. Er wollte, dass die junge Generation davon erfährt, damit es nie mehr passiert. Er verfolgte einen pädagogisch-humanistischen Ansatz.

Alexander Fehling: Die Prozesse warfen zwar einen Blick auf die Vergangenheit. Sie öffneten aber auch eine Tür in die Zukunft, der Welt zu zeigen, dass Deutschland etwas tut. Natürlich können wir nichts rückgängig machen, aber wir setzen uns damit auseinander. Fritz Bauer sagte zwar, dass es nicht vorrangig darum geht, die Täter zu bestrafen, sondern darum, dass die Überlebenden gehört werden. Damit meinte er jedoch sicherlich nicht, dass die Verurteilung nicht wichtig wäre. Aber es ging nicht nur um Bestrafung, um zu sagen: „Jetzt haben wir bestraft, und nun ist es gut“.


Wäre nicht naheliegend gewesen, Fritz Bauer in den Mittelpunkt des Filmes zu stellen?

Giulio Ricciarelli: Wir haben uns das auch gefragt. Aber wenn man eine historische Figur in den Mittelpunkt stellt, dann wird oft einfach ihr Leben nacherzählt. Wir sind in allem, was ihn betrifft, historisch sehr genau. Wenn er beispielsweise eine Opferaussage liest, ist sie auch authentisch. Ich finde, wir werden dem Geist von Fritz Bauer gerecht, indem wir die emotionale Reise des jungen Staatsanwalts, der für das junge Deutschland steht, erzählen. Wenn am Ende Fritz Bauer zu Johann Radmann sagt: „Ich bin stolz auf Sie“, dann sagt der alte jüdische Generalstaatsanwalt der jungen Generation: „Ich bin stolz, dass Ihr diesen Schritt macht“.

Alexander Fehling: Johann Radmann ist eine fiktive Figur, ein Konglomerat aus den drei jungen Staatsanwälten Joachim Kügler, Georg Friedrich Vogel und Gerhard Wiese. Die zwei ersten waren von Anfang an dabei, Wiese stieß später dazu. Die Chance einer fiktiven Figur besteht darin, dass sie eine Tragfläche bildet, um durch die Widersprüchlichkeiten und die verschiedenen Perspektiven zu diesem Thema zu führen.


Ist er auch ein typischer Staatsanwalt aus dieser Zeit? Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Alexander Fehling: Er ist ein sehr engagierter, unbefleckter und offener Mensch, der Verantwortung übernehmen will. Er ist auch ehrgeizig. Er will sich nicht die ganze Zeit mit Verkehrsdelikten beschäftigen. Als junger Mensch sucht er seinen Platz im Leben. Johann Radmann kommt aber an einen Punkt, wo er sein Bild verändern muss. Das ist etwas Urmenschliches, etwas, was mir in meinem Leben auch immer wieder passiert.


Was gab für Sie den Ausschlag, diese Geschichte heute noch zu erzählen?

Giulio Ricciarelli: Als Filmemacher möchte ich Geschichten erzählen. Als ich auf der Suche nach einem starken Stoff für meinen ersten langen Spielfilm war, kam ich damit in Berührung. Obwohl ich in der Schule sehr viel von der Shoa gehört hatte, wusste ich sehr wenig über die Auschwitz-Prozesse. Ich war überzeugt, dass es sich lohnt, davon zu erzählen, auch weil es sich um ein universelles Thema handelt: Wie geht ein Land mit seiner Schuld um?


Bei seinem Besuch in Auschwitz sagt Johann Radmann, er wisse nicht, wie er sich verhalten hätte. Ist dies auch eine Grundaussage des Films?

Giulio Ricciarelli: Wenn er sagt: „Ich weiß nicht, was ich getan hätte“, ist das die maximale Demut. Ich bete dafür, dass ich nie in eine solche Situation komme und dass ich, sollte ich das doch, die richtige Entscheidung treffe. Interessanterweise hatten die Menschen, die im Widerstand waren, oft eine klare geistige Haltung, ein starkes inneres Leitsystem, das sie immun machte: Sie waren zum Beispiel Christen oder Kommunisten.

Alexander Fehling: Am Anfang seiner Reise glaubt Johann Radmann zu wissen, was er getan hätte. Er glaubt zu wissen, was richtig und falsch ist. Er muss an diesen Punkt der Demut kommen, wo er merkt, dass es sich nicht um Ja/Nein-Fragen handelt, dass sie sehr komplex sind. Was nicht heißt, dass diese schrecklichen Verhaltensweisen begründet wären. Er kommt von seinem hohen Ross hinunter. Johann Radmann begreift, dass wir nicht davor gefeit sind.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren