PHOENIX | Phoenix
Filmische Qualität:   
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Trystan Pütter, Michael Maertens, Imogen Kogge, Felix Römer, Uwe Preuss
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2014
Auf DVD: 2/2015


José García
Foto: Piffl Medien

Mit entstelltem Gesicht kommt Nelly (Nina Hoss) aus Auschwitz nach Berlin zurück. Ihre Freundin aus Vorkriegstagen Lene (Nina Kunzendorf) holt sie vom Krankenhaus ab, wo sich Nelly einer Gesichtsoperation unterzogen hat. Lene hofft, dass Nelly in Berlin ihr Vermögen zurückverlangt und dann mit ihr nach Palästina auswandert. Aber Nelly hat ein einziges Ziel: Sie sucht ihren Mann Johnny, ihre große Liebe. Als sie ihn findet, erkennt er jedoch nicht mehr als eine gewisse Ähnlichkeit. Johnny schlägt Nelly vor, die Rolle seiner totgeglaubten Frau zu spielen, um sich so das Erbe ihrer Familie zu sichern.

Berlin im Jahre 1945. Keiner fragt nach der Vergangenheit, alle wollen nur nach vorne schauen. In einer bewegenden Szene erklärt ihr Mann Nelly, dass niemand nach ihren Erlebnissen im KZ fragen wird, was für sie einen schweren Schlag bedeutet. Nelly will keinen Neuanfang, aber die Vergangenheit lässt sie nicht los. Sie will wissen, ob sie ihr Mann, der sie durch sein Festhalten an der Ehe so lange vor Verfolgung schützen konnte, am Ende doch noch verraten hat. Am Ende hat Nelly ihre Stimme zurück, aber auch eine eintätowierte Nummer auf dem Unterarm. Nicht als Vogel Phönix wird sie aus der Asche, sondern auf perverse Weise in Auschwitz wiedergeboren.


Interview mit Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold sowie mit Schauspielerin Nina Kunzendorf


Der Filmtitel „Phoenix“ bezieht sich auf den Club, in dem Nelly ihren Mann Johnny wiedersieht. Aber spielt er nicht auch auf den Vogel Phönix an, der aus seiner eigenen Asche wiedergeboren wird?

Christian Petzold: „Phoenix“ hatte ich als Arbeitstitel verwendet. Ich war aber zunächst damit nicht zufrieden, weil er nicht die Metapher für die Figur der Nelly ist. Denn Nelly kommt nicht wie ein Phönix aus der Asche. Ganz im Gegenteil. Als wir gedreht haben, erinnerte mich jedoch dieser Club an einen Frauenschoss, an Geburt, Wiedergeburt, so dass ich dachte: Das ist doch ein guter Titel. Sie, das Gespenst, die Überlebende, die keine Identität hat, die nicht erkannt wird, läuft durch ein Berlin, das Phönix ist. Der Ursprung des Filmes ist übrigens der französische Roman „Der Asche entstiegen“ von Montheilet aus dem Ende der vierziger Jahre. Allerdings kann man in ein Land wie Frankreich zurückkehren, das seine Strukturen erhalten hat. Nelly kommt aber in ein Land, das keine Struktur mehr hat. Das ist der Unterschied zu dem Roman.


„Phoenix“ erzählt von der Suche Nellys nach Johnny. Er handelt aber auch von zwei sehr verschiedenen Freundinnen: Lene setzt auf Entschädigung. Nelly will kein Geld, sie will ihre Identität zurück. Führt dies zu einem Gegensatz zwischen ihnen?

Nina Kunzendorf: Die beiden bewegen sich in entgegengesetzte Richtungen. Nelly hat ihre Identität verloren. Sie klammert sich an die Hoffnung, wieder heil zu werden, wenn sie nur Johnny wiederfindet. Sie möchte ihr altes Leben zurück. Lene dagegen sucht den Neuanfang, den Abschied von einem Leben, das es nicht mehr geben kann. Sie schafft Perspektiven, sucht aktiv die Veränderung, auch die räumliche, sie sieht ihre Zukunft in Palästina.

Christian Petzold: Lene ist die Anwältin, sozusagen die Protestantin, die Ordentliche. Und Nelly ist die Unordentliche, die nachts umherzieht, für die das Geldverdienen nicht so wichtig war. Lene liebt an Nelly das Ungebändigte, das Wahnsinnige. Nelly liebt wiederum an Lene die Ordnung.


Lene hat während des Krieges das Grauen nicht unmittelbar erlebt. Könnten auch auf sie die Schuldgefühle der Überlebenden zutreffen?

Christian Petzold: Das ist wichtig. Lene spricht auch darüber, dass sie die Schuld der Überlebenden hat. Sie kommt im Auto, sie war in London und in der Schweiz. Sie muss sich eine Rechtfertigung dafür geben, dass sie noch lebt.

Nina Kunzendorf: Bestimmt. Beim Spielen war das allerdings nicht so präsent für mich. Lene hat eine ganz klare Haltung zum Leben, sie bezieht Stellung. Ihrem Schuldgefühl begegnet sie, indem sie konkret und konstruktiv handelt. Das stand für mich im Vordergrund. Sie widmet ihre Zeit und ihre Kraft der Arbeit für die Jewish Agency, auch während des Krieges schon, von London aus. Sie setzt sich für Menschen ein, sie konfrontiert sich mit dem geschehenen Unrecht und hilft. Das tut sie auf eine sehr pragmatische, lösungsorientierte Weise. Lene sieht genau hin. Wie in der Szene im Film, wo sie durch die Lupe schaut – das war für mich immer im übertragenen Sinn ein Bild für diese Figur.


Auch über Johnny hat Lene eine ganz andere Meinung als ihre Freundin. Nelly verklärt ihn, obwohl sie natürlich auch der Frage nachgeht, ob er sie verraten hat. Aber für Lene steht es fest ...

Nina Kunzendorf: Weil sie die Hintergründe kennt. Sie kennt die Papiere, die Scheidungsunterlagen. Es geht nicht um persönliche Animositäten, um eine „Meinung“. In Lenes Augen ist Johnny ein Verräter. Nelly kann und möchte das nicht sehen, nicht glauben.

Christian Petzold: Johnny arbeitet die Vergangenheit auf eine sehr perverse Art und Weise auf. Denn er baut die Geschichte der Nelly wieder auf, um sie zu Geld zu machen. Beim Drehen ist mir erst klargeworden, dass dies mit der „Stunde Null“ der Bundesrepublik zu tun hat. Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen immer versuchen, für die Schuld mit Geld zu bezahlen. Wir kümmern uns nicht um die Schuld, sondern wir bezahlen einfach.


Ist in diesem Zusammenhang auch Johnnys Aussage zu verstehen, die Freunde werden keine Fragen zu dem KZ stellen?

Christian Petzold: Beim Drehen habe ich das Schrecken in Ninas (Hoss) Augen gemerkt, als dieser Satz gesprochen wurde. Denn es bedeutet: „Nur wenn Du so bist, wie Du früher gewesen bist, akzeptieren wir Dich.“ Sie will ja werden, wie sie früher gewesen ist. Dann wird sie akzeptiert. Aber ihr Leid wird negiert. So ist sie in einer unmöglichen Situation. Es ist so, als wäre Nelly in Auschwitz auf perverse Art und Weise neu geboren. Lene fährt sie ins Krankenhaus, als wäre sie eine Mutter, die gebären wird. Als sie das Krankenhaus verlässt, ist Nelly wie ein kleines Kind in Lenes Haus. In der Pubertät schleicht sich nachts aus dem Haus, um die Welt kennenzulernen.


Über Lene erfährt allerdings der Zuschauer nicht viel ...

Nina Kunzendorf: Gerade das mochte ich, weil es Raum für Phantasie lässt. Sowohl als Schauspielerin, als auch als Zuschauerin mag ich es gerne, wenn nicht die ganze Biografie, das ganze Wesen einer Figur offen auf dem Tisch liegt. Ich schätze es, wenn ich etwas entdecken kann, wenn ich Leerstellen füllen darf. Ich nähere mich einer Figur weniger über eine detaillierte Biografie, sondern vielmehr über ihre Haltung zum Leben, darüber, wie sie handelt, wie sie sich zu den Dingen, zu den Menschen stellt.


Jedenfalls merkt der Zuschauer, dass zwischen ihnen ein starkes Band besteht. Wie ist diese Beziehung?

Nina Kunzendorf: Es ist eine tiefe, sehr innige Freundschaft. Manchmal hat man das Glück im Leben, dass man so einen Lebensmenschen hat, eine Freundschaft, die sehr lange, vielleicht sogar ein Leben lang hält und die Wandlungen, die man im Leben so geht, mitmacht. Für Lene ist Nelly so ein Herzensmensch, ein Lebensmensch. Lene hat den Absprung aus Deutschland rechtzeitig geschafft. Sie ist nach London und in die Schweiz gegangen und hat von dort aus weiter geholfen und gearbeitet – und Nelly hat sich dagegen und für die Liebe zu Johnny entschieden. Das war der erste Bruch. Später, nach dem unerwarteten Wiedersehen, versucht Lene ein zweites Mal, Nelly zu retten und zu sagen: „Komm mit mir, komm ins Leben, lass uns etwas Neues anfangen.“ Nelly entscheidet sich erneut anders, und in Lenes Augen gegen sie: Lene ist eine Verlassene.
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