A MOST WANTED MAN | A Most Wanted Man
Filmische Qualität:   
Regie: Anton Corbijn
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Grigoriy Dobrygin, Robin Wright, Nina Hoss, Homayoun Ershadi, Daniel Brühl, Martin Wuttke, Herbert Grönemeyer
Land, Jahr: Großbritannien/ USA/ Deutschland 2013
Laufzeit: 121 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2014
Auf DVD: 2/2015


José García
Foto: Senator

Als der halb-russische, halb-tschetschenische Flüchtling Issa Karpov (Grigory Dobrygin) in Hamburg auftaucht, versetzt er die geheimdienstlichen Behörden in höchste Aufruhr. Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle, er starb am 2. Februar), Leiter einer offiziell nicht existenten Anti-Terror-Einheit, lässt den jungen Mann observieren. Denn er könnte ihn zu Dr. Faisal Abdulla (Homayoun Ershadi) führen, den Bachmann verdächtigt, Terrororganisationen mit Geldmitteln zu unterstützen. Der Chef des deutschen Geheimdienstes Dieter Mohr (Rainer Bock) und CIA-Agentin Martha Sullivan (Robin Wright) sind von Anfang an nur daran interessiert, Issa Karpov festzunehmen. Die idealistische Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) will Issa helfen, in Deutschland Asyl zu beantragen. Der undurchsichtige Banker Thomas Brue (Willem Dafoe) ist vor allem an Issas Erbe interessiert.

Basierend auf John Le Carrés Spionage-Roman „A Most Wanted Man“ (Deutsch: „Marionetten“, 2008) zeichnet Regisseur Anton Corbijn ein Bild der Geheimdienste, die nach dem 11. September von Misstrauen durchsetzt sind und sich gegenseitig bekämpfen. „A Most Wanted Man“ stellt allerdings auch moralische Fragen im Zusammenhang mit der Terroristenbekämpfung insbesondere anhand der komplexen Figur Günther Bachmanns, den Philip Seymour Hoffman mit einer breiten Palette an Nuancen verkörpert. Kameramann Benoît Delhomme gelingt es außerdem, großartige Bilder von Hamburg einzufangen.



Interview mit Produzent Malte Grunert und Darsteller Rainer Bock zu „A Most Wanted Man“


Handelt „A Most Wanted Man“ davon, wie sich die unterschiedlichen Geheimdienste in die Quere kommen?

Malte Grunert: Dieser Satz beschreibt zwar die Handlung. Jenseits der politischen Themen, die John Le Carré immer behandelt, gibt es aber eine andere Ebene: das menschliche Scheitern. Die von Le Carré sehr gut beschriebenen Figuren versuchen, vor dem politischen Hintergrund das Richtige zu tun. Irgendwann einmal wechselt die Perspektive, man sieht das Gesamtbild und merkt, es sind kleine Schachfiguren in einem viel größeren Spiel. Nichts von dem, was sie tun, ist dafür entscheidend, ob sie am Ende Erfolg haben oder scheitern. In der Regel scheitern sie, weil das Leben so ist.

Rainer Bock: Natürlich geht es um das Kompetenzgerangel der verschiedenen Geheimdienste. Allerdings werden zutiefst menschliche Probleme behandelt: Was ist Gut und Böse? Wenn ich mich in den Dienst des vermeintlich Guten stelle, drohe ich selber böse zu werden. Wie kann ich das verhindern? Es ist traumhaft zu beobachten, wie Günther Bachmann ringt. Auch er tut viel Unrecht. Er spielt auf der Klaviatur der Gefühle und beherrscht das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche wie kaum ein anderer. Man spürt dahinter trotzdem eine unglaubliche Verbitterung über das Unrecht, dass ihm früher in Beirut angetan wurde. Das so vielschichtig und tief zu zeigen, ist die große Schauspielkunst von Philip Seymour Hoffman.


Im Hintergrund von Le Carrés Roman steht Mohammed Attas Vorbereitungszelle für den 11. September in Hamburg. Spiegelt der Film eine gewisse Paranoia wider?

Malte Grunert: Es geht um eine paranoide Welt nach dem 11. September. Eine Welt aus Geheimdiensten und eine politische Welt, die versucht, den durch eine Unaufmerksamkeit der Geheimdienste gemachten Fehler mit einer Überreaktion zu korrigieren. Eine Welt, in der plötzlich mit großem Misstrauen auf ganze Gruppen geschaut wird. Dies funktioniert exemplarisch in Hamburg, weil Atta jahrelang von Hamburg aus den Anschlag vorbereitet hat.

Rainer Bock: Die Ereignisse vom 11. September sind ein Anlass, erschüttert zu sein und sich Fragen zu stellen, wie sich eine Gesellschaft schützen soll. Ich bin der festen Überzeugung, dass man das nicht kann. Vielleicht ist es eine Illusion, aber die Konflikte und die Ungerechtigkeit, die es in der Welt tatsächlich gibt, müssen gelöst werden. Dann wird dem Terrorismus der Boden entzogen. Der Film zeigt, was für ein Apparat ausgelöst wird, nur weil ein junger Mann mit einem Rucksack durch Hamburg geht. Wenn man alle jungen Männer mit Bart und Rucksack beobachten würde, dann wäre der DDR-Überwachungsstaat ein Witz dagegen. Natürlich möchte ich nicht weggebombt werden, wenn ich auf die Straße gehe. Ich bin froh, dass es irgendwelche Mächte gibt, die mich beschützen. Aber übersteigen sie ihre Kompetenzen? Wie viel Unfreiheit müssen wir dafür in Kauf nehmen? Was bedeutet für einen Menschen, Position zu beziehen? In dieser Frage unterscheidet sich der Film zutiefst wohltuend von Genrefilmen. „A Most Wanted Man“ ist ein tief psychologischer Film über die menschliche Auseinandersetzung mit der Einsamkeit, die mit einer solchen Berufswahl zusammenhängt.


Im Mittelpunkt des Filmes steht zwar Günter Bachmann. Sie verkörpern seinen Gegenpart, den Geheimdienstspezialisten Dieter Mohr. Wie haben Sie diese Figur gestaltet?

Rainer Bock: Die Figur bot keine großen Möglichkeit, ihn psychologisch vielschichtig zu zeigen. Er ist ein sehr ehrgeiziger, kalter Pragmatiker, der den Auftrag, dieses Land zu schützen, sehr ernst nimmt. Im Drehbuch waren keine gefühlsmäßigen Bindungen zu irgendjemand angelegt. Dieter Mohr ist sehr weit entfernt von Empathie. Er lässt sich gut lenken. Im Film heißt es, dass die von Robin Wright gespielte CIA-Frau Martha Sullivan ihm gegenüber über Weisungsbefugnis verfügt. Der Mann ist gut zu handeln und versteht seinen Beruf.


Wie würden Sie die titelgebende Figur Issa Karpov beschreiben?

Malte Grunert: Issa Karpov ist die titelgebende Figur, aber gleichzeitig auch eine Projektionsfläche. Eine Figur, in der die unterschiedlichen Parteien das sehen, was sie sehen wollen. Für einige ist er Terrorist und Dschihadist, andere sehen in ihm eine Chance, sich selber neu zu erfinden. Für wiederum andere ist er Opfer, ein unschuldiger junger Mann. Issa Karpov ist für alle das, was gerade passt.

Rainer Bock: Für Dieter Mohr reichen gegen ihn Indizien aus, denn es gibt kaum Beweise. Günther Bachmann sieht viel weiter, er könnte vor so viel Dummheit, Karpov aus dem Verkehr ziehen zu wollen, schreien. Meine private Sicht auf diese Figur ist ambivalent. Das macht der Film sehr geschickt. Wie wissen bis zum Schluss nicht, ob alle seine Absichten ehrenwert sind. Der Zuschauer hat große Sympathie für ihn, für diesen gepeinigten, gequälten Mann. Trotzdem wird man konfrontiert mit eigenen Vorurteilen. Dafür ist die Figur großartig geschrieben und auch von Grigory Dobrygin gespielt. Er hält fabelhaft die Waage.


Sie sind ja spät zum Kino gekommen, nachdem Sie jahrzehntelang Theater spielten. Nun sind Sie nach Michael Hanekes „Das weiße Band“ sehr gefragt. Ist das nicht außergewöhnlich?

Rainer Bock: Ich staune auch. Ich bin am Theater groß geworden, habe es geliebt, in einem festen Ensemble zu arbeiten. Ich hatte den klassischen Weg von der Provinz in die Großstadt gemacht. Als ich in größere Häuser kam, bekam ich erste zaghafte Anfragen fürs Kino. Als dann mein Sohn geboren wurde, war es für mich das Wichtigste, zu Hause zu sein. Es war ein Wunschkind, das nach langer, langer Zeit wider Erwarten kam. Ich wollte das Kind erleben. Ich kenne so viele Kollegen, die sich anders entschieden haben, die jetzt nur noch Alimente zahlen. Das wollte ich nicht. Aber es waren zunächst kleine Rollen. Dann kam in der Tat „Das weiße Band“. Das hat bei einigen Menschen Begehrlichkeiten geweckt und bei mir auch.
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