MR. MAY UND DAS FLÜSTERN DER EWIGKEIT | Still Life
Filmische Qualität:   
Regie: Uberto Pasolini
Darsteller: Eddie Marsan, Joanne Froggatt, Andrew Buchan, Karen Drury, Tim Potter, Paul Anderson
Land, Jahr: Großbritannien / Italien 2013
Laufzeit: 87 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2014
Auf DVD: 1/2015


José García
Foto: Piffl Medien

John May (Eddie Marsan) arbeitet in einem besonderen Ein-Mann-Amt bei der Londoner Stadtverwaltung: Als „Funeral Officer“ kümmert sich um eine würdevolle Beisetzung einsam verstorbener Menschen. Meistens steht er mutterseelenallein im Kirchenschiff einer katholischen, einer orthodoxen oder auch einer anglikanischen Kirche. Bei der Beisetzung hält er die selbstverfasste Trauerrede, ganz unabhängig davon, ob noch jemand außer ihm anwesend ist. Der stets mit weißem Hemd und graugepunkteter schwarzer Krawatte korrekt gekleidete Mr. May bearbeitet die Trauerfälle nicht nur sorgfältig, indem er etwa anhand von Fotos und anderen Unterlagen akribisch nach möglichen Verwandten oder Freunden des Verstorbenen sucht. Darüber hinaus lernt ihn der Zuschauer als penibel ordnungsliebenden Menschen kennen. Dafür reicht es aus zuzuschauen, wie Mr. May seinen Mantel auf den Bügel hängt oder einen Apfel in einem Stück schält. Der Beamte ist nicht nur ein sehr zurückhaltender, sondern auch ein einsamer Mensch. Er lebt allein, Freunde scheint er auch keine zu haben. Im Film „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ unterstreicht dies Drehbuchautor und Regisseur Uberto Pasolini mit leicht melancholischer Musik.

Mr. Mays Leben scheint zu einem gewissen Stillstand gekommen zu sein, was auch der Originaltitel des Filmes „Still Life“ ausdrückt. Auch dramaturgisch muss etwas geschehen, nachdem in langsamem Erzählrhythmus die Hauptfigur eingeführt wurde. Vorangetrieben wird die Handlung, als Mr. May in den Vorruhestand versetzt werden soll. Gerade seine äußerst akribische Arbeitsweise macht ihn zu einem allzu großen Kostenfaktor. Die Stelle soll wegrationalisiert werden. Bevor er seinen Stuhl räumt, möchte Mr. May jedoch einen letzten Fall zum Abschluss bringen: Billy Stoke starb einsam in einer verwahrlosten Wohnung direkt gegenüber von John Mays Appartement, ohne dass sich die beiden kannten. John May stürzt sich auf diese seine letzte Aufgabe im Amt. Er sucht nach Spuren und erfährt von der Existenz von Billys Tochter Kelly (Joanne Froggatt), die in der Nähe von London lebt. Der Spezialist für Trauerfälle interessiert sich endlich für Lebende. Denn die Gespräche mit Kelly eröffnen ihm eine neue Sicht auf das Leben.

Drehbuchautor und Regisseur Uberto Pasolini setzt sparsame Dialoge und einen gemächlichen Erzählrhythmus ein, um die Veränderungen im Leben von John May zu verdeutlichen. Dabei spielen kleine Details eine wichtige Rolle: Der Zuschauer erlebt beispielsweise Mr. May erstmals ohne Krawatte. Auch die Farben werden wärmer. Herrschten zu Beginn blaue-graue Töne, so bekommt der Film allmählich eine wärmere Farbgebung. Insgesamt trägt die Kameraführung für die Anmutung von „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ Bedeutendes bei. Uberto Pasolini und sein Kameramann Stefano Falivene bevorzugen ganz ruhige Einstellungen, insbesondere zu Beginn. Dazu führt Regisseur Pasolini aus: „Die Kamera ist fast immer unbewegt“. Erst als John May mit anderen Menschen in Kontakt kommt, wird eine beweglichere Kamera eingesetzt: Mr. May „wird filmisch mit den anderen Menschen auf eine neue Weise verbunden. Das sind Details, aber solche Überlegungen haben mit geholfen, die Einstellungen und die Kameraperspektiven zu bestimmen.“ So gelingt Kameramann Falivene beispielsweise ein eindrückliches Bild von Mr. May mit zwei Obdachlosen, das ebenfalls von der Verwandlung des einst Menschenscheuen zeugt. Neben der Kameraarbeit ist das Produktionsdesign ebenso gelungen wie die meistens zurückhaltende Musik von Rachel Portman.

Obwohl Joanne Froggatt ihre Kelly behutsam gestaltet, lebt Pasolinis Film insbesondere von der Darstellung des John May durch Eddie Marsan, ja „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ ist eher ein filmisches Porträt als ein handlungsorientierter Film. Eddie Marsan, der bereits zweimal mit dem Britisch Independent Film Award und dem London Critics Circle Award als Bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde und nun hier seine erste Hauptrolle in einem Kinofilm spielt, füllt die ganze Leinwand mit seiner wunderbar beherrschten Körpersprache aus. Trotz seiner Eigenbrötelei wird Mr. May durch Marsans Spiel zu einer Figur, die aller karikaturhaften Charakterzeichnung zum Trotz beim Zuschauer sofort Empathie weckt. Eddie Marsan macht Mr. Mays wirkliches Interesse für andere Menschen in jedem Augenblick glaubwürdig.

So steht „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ in der britischen Tradition der alltäglichen Helden, etwa in den Filmen von Mike Leigh („Happy-Go-Lucky“, 2008 oder „Another Year“, 2010). Ähnlich Mike Leigh setzt Uberto Pasolini ebenfalls auf einen britischen Humor mit feinen Zwischentönen, um von tiefgreifenden Fragen wie der Suche nach dem Glück in einem einfachen Leben mit ihrem unscheinbaren Alltag auf unaufdringliche Weise zu erzählen. Ein großer „kleiner Film“, der lange nachwirkt.

„Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ wurde 2013 auf dem Filmfestival von Venedig mit dem Regiepreis der Sektion Orizzonti und in Edinburgh mit dem Preis für den Besten Hauptdarsteller ausgezeichnet.
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