WIR SIND DIE NEUEN | Wir sind die Neuen
Filmische Qualität:   
Regie: Ralf Westhoff
Darsteller: Gisela Schneeberger, Heiner Lauterbach, Michael Wittenborn, Claudia Eisinger, Karoline Schuch, Patrick Güldenberg, Julia Koschitz, Katharina Marie Schubert, André Jung, Gustav Peter Wöhler
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 91 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: D
im Kino: 7/2014
Auf DVD: 12/2014


José García
Foto: X-Verleih

Die alleinstehende Anne (Gisela Schneeberger) muss wegen Eigenbedarfs der Vermieterin aus ihrer Wohnung heraus. Weil sich die Biologin ihr Leben lang mehr für den Schutz von Schleiereulen als für die eigene Alterssicherung interessierte, kann sie sich nun um die Sechzig keine Wohnung in München mehr leisten. Da kommt die streitbare Frau, die ihr Mann vor Jahren wegen einer Jüngeren sitzen ließ, auf den Gedanken, statt ins Altersheim zu ziehen doch lieber ihre ehemalige Studenten-WG wieder aufleben lassen. Bald findet sie denn auch zwei ihrer einstigen Mitbewohner, die zusammen mit ihr bereit sind, die Reise „zurück in die Zeit vor den gescheiterten Entwürfen“ zu machen. Der geschiedene Eddi (Heiner Lauterbach), der noch immer gegen den Kapitalismus wettert und am liebsten „Revoluzzer“-Hemden trägt, sowie Rechtsanwalt Johannes (Michael Wittenborn), der sich weiterhin sanft-intellektuell gibt und sich mit Frauen noch immer schwer tut, finden die Idee, nicht mehr allein leben zu müssen, genauso gut wie Anne.

Verhältnismäßig schnell haben sie auch eine Wohnung in einem Münchener Altbau gefunden, die sie alsbald beziehen. Den Studenten aus der WG direkt über ihnen stellen sie sich mit einem „Hallo, wir sind die Neuen“ vor. Annes Sorge („Hoffentlich kiffen die nicht ständig. Das habe ich echt hinter mir“) erweist sich sehr schnell als völlig unbegründet. Denn die Jura-Studenten Katharina (Claudia Eisinger) und Thorsten (Patrick Güldenberg) sowie Kunstgeschichtsstudentin Barbara (Karoline Schuch) bereiten sich krampfhaft auf ihr Examen vor. In Sachen Planung ist Barbara ganz vorne: Sie hat einen Verlobten und fiebert bereits ihrer Hochzeit entgegen. Kurzum: Die Jüngeren können keine Unruhe und keinen Lärm, und schon gar nicht laute Nachbarn – erstaunlich, wie hellhörig so ein Altbau in einem Spielfilm sein kann – gebrauchen. Ihre größte Sorge besteht darin, das Examen nicht zu schaffen. Denn „dann werde ich so enden wie ihr“, so Katharina zu den Mitgliedern der Alten-WG. Politische oder sonstige Diskussionen kennen sie nicht. Ihr Lebensentwurf scheint dem der neuen Nachbarn völlig entgegengesetzt zu sein. Was Barbara auf den Punkt bringt: „Wir sind keine Gleichgesinnten. Wir sind die Ablösung“.

Bereits aus den wiedergegebenen Zitaten kann ersehen werden, dass Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Ralf Westhoff vor allem größten Wert auf die pointiert scharfzüngigen Dialoge legt. Die Kehrseite: „Wir sind die Neuen“ wirkt dialoglastig, insbesondere auch weil sich die Inszenierung auf Fernsehniveau hält. Die Dramaturgie folgt absehbar einem klassischen Dreiakt-Aufbau, der wenig Platz für Überraschungen bietet. Drehbuchautor und Regisseur Westhoff streift zwar einige gesellschaftliche Fragen wie explodierende Mietpreise in den Städten, ein auf Leistung fokussiertes Bildungssystem oder auch Altersarmut. Diese durchaus interessanten Themen werden jedoch zugunsten der komödiantischen Effekte eher beiläufig behandelt. Dazu führt Drehbuchautor und Regisseur Ralf Westhoff aus, er wollte „einen inhaltlich wichtigen Film“ machen, „bei dem man trotzdem Spaß hat. Das war der Anspruch. Die größere Herausforderung dabei ist der Humor, die ernsten Themen sind leicht zu finden.“

Der Humor bezieht seine Kraft insbesondere aus dem Aufeinandertreffen von mit umgekehrten Vorzeichen vorgestellten Generationen. Lustig wirkt diese Konfrontation, weil die Älteren mit geradezu jugendlichen Eigenschaften gezeichnet werden: Sie leben scheinbar sorglos in den Tag hinein, diskutieren stundenlang und sagen dem Alkohol oft gerne zu. Demgegenüber erscheinen die Jüngeren als regelrechte Spießer, die sich nur um ihre Karriereplanung kümmern. Für welche Seite der Drehbuchautor und Regisseur Partei ergreift, wird nicht nur aus der Handlung, sondern auch aus der Figurenentwicklung deutlich. Wirken die jüngeren Charaktere holzschnittartig, deren Entwicklung eher dem Drehbuch geschuldet scheint, so zeichnet Ralf Westhoff die „Älteren“ nuancierter. Gisela Schneeberger, Michael Wittenborn und Heiner Lauterbach füllen diese Figuren auch mit Leben. Auch sie müssen sich im Laufe der Handlung fragen, ob ihre Überzeugungen wirklich Bestand hatten, ob sich ihr WG-Ideal auch in hohem Alter überhaupt realisieren lässt.

Auch wenn „Wir sind die Neuen“ nicht das ganze Potenzial erschöpft, gelingt es Ralf Westhoff vor allem dank der glänzenden Dialoge, aus der Gegenüberstellung dieser so unterschiedlichen Generationen einen Film zu machen, der zum Nachdenken über Lebensentwürfe anregt. Dadurch, dass jede Generation im Aufeinandertreffen mit der jeweils anderen Altersgruppe ihre eigenen Lebensvorstellungen in Frage stellen muss, werden sowohl die „Alten“ als auch die „Jungen“ dazu gezwungen, über den Sinn ihres jeweiligen Lebensentwurfs, über den Stellenwert von Karriere und Freiheit nachzudenken. Die komödiantische Anmutung, der herrliche Dialogwitz von „Wir sind die Neuen“ lässt aber diese tiefgründigen Lebensfragen mit einer bei aller Gesellschaftskritik so doch spürbaren Leichtigkeit Revue passieren. Deshalb überzeugt der neue Spielfilm von Ralf Westhoff trotz Schwächen letztlich in der Verknüpfung seiner dramatischen und komödiantischen Elemente.
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