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JOSà GARCÃA Foto: Kairos ![]() Auf die sehr eigenwillige Mischung von langsamem Tempo und ruheloser Kamera im Kino der Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne muss sich der Zuschauer erst einlassen. Ihr früherer Spielfilm âRosettaâ, mit dem sie im Jahre 1999 die Goldene Palme in Cannes gewannen, hetzte einem jungen, am Rande der Gesellschaft lebenden Mädchen unablässig, atemlos hinterher. In ihrem neuen Film âDer Sohnâ (âLe Filsâ) sind sie noch einen Schritt weiter gegangen, erklärt Jean-Pierre Dardenne: âIn âRosettaâ ist die Kamera viel mehr dem Boden verhaftet, hier wirkt sie leichtfüÃiger, als könnte sie fliegen.â Wegen der zittrigen Handkamera und des Verzichts auf Filmmusik werden die Dardenne-Brüder immer wieder mit der dänischen Bewegung des so genannten âDogma 95-Manifestesâ in Verbindung gebracht, weil zu den âDogmaâ-Prinzipien das Drehen mit Handkamera, ohne Requisiten, ohne Soundtrack und ohne künstliches Licht sowie die Improvisation der Schauspieler gehören. Die belgischen Regisseure bestreiten indes eine Verwandtschaft: âIch sehe wenig Gemeinsamkeiten, denn die âDogmaâ-Leute arbeiten viel mit kleinen Digitalkameras und ausschlieÃlich mit natürlichem Licht, während in unseren Filmen die Ausleuchtung und das Spiel mit dem Licht äuÃerst wichtige Elemente sind.â Ihren Stil in eine Schublade zu stecken, bietet wenig Aussicht auf Erfolg â bei kaum einem anderen Filmemacher trifft besser der strapazierte Begriff Autorenkino zu. Wie ein Puzzle muss sich der Zuschauer die Bausteine der Handlung von âDer Sohnâ zurechtlegen: Olivier lehnt unter einem Vorwand die Bewerbung eines auf Bewährung entlassenen Jugendlichen brüsk ab, nimmt ihn jedoch scheinbar genauso unmotiviert bald darauf als Lehrling an. Den Schlüssel für dieses Verhalten liefert ein Gespräch Oliviers mit seiner geschiedenen Frau Magali: fünf Jahre zuvor hatte derselbe Junge, damals erst elf Jahre alt, Oliviers und Magalis Sohn erwürgt. âEr hat unseren Sohn getötet und du willst ihn ausbilden? Niemand würde das tunâ, sagt Magali zu ihm. âIch weiÃâ, lautet die lakonische Antwort. Darauf sie: âWarum tust du es dann?â Olivier: âIch weià es nichtâ. In seinem Spielfilmdebüt âDas zweite Malâ (1995) erzählt der italienische Regisseur Mimmo Calopresti mit völlig unspektakulären Mitteln von einem Wirtschaftsprofessor aus einer norditalienischen Stadt, der völlig aus der Bahn gerät, als er unvermittelt derselben ehemaligen Terroristin wieder begegnet, die ihm acht Jahre zuvor eine Kugel in den Kopf geschossen hatte. âDas zweite Malâ wurde zu einer psychologischen Studie des Opfers, das die Motive einer Täterin zu ergründen versucht, die ihn bei der âzweiten Begegnungâ nicht einmal wieder erkennt. Auch der Jugendliche, dessen Name Francis wir ebenfalls beim Gespräch zwischen Olivier und Magali erfahren haben, erkennt in seinem neuen Lehrmeister nicht den Vater seines Opfers. Im Unterschied zu Caloprestis âDas zweite Malâ baut âDer Sohnâ eine intensive Beziehung zwischen Olivier und dem noch ahnungslosen Francis auf, der den Meister sogar bittet, sein Bewährungshelfer zu werden. Im groÃartig minimalistischen Spiel Olivier Gourmets, das ihm für die Rolle des Olivier den âPreis für den besten männlichen Darstellerâ bei dem Filmfestival Cannes 2002 einbrachte, bleiben seine Motive, seine Gedanken bis zuletzt verborgen. Doch indem sich Olivier einer nahe liegenden Rache verweigert, geht âDer Sohnâ einen Schritt weiter als Caloprestis Film. Dadurch, dass der Verlust des eigenen Sohnes mittels Vergebung überwunden wird, liefern die Dardenne-Brüder mit ihrem atmosphärisch dichten Spielfilm eine wunderbare Lektion in Sachen Menschlichkeit. |
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