ZEIT DER KANNIBALEN | Zeit der Kannibalen
Filmische Qualität:   
Regie: Johannes Naber
Darsteller: Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler, Romesh Rangathan, Steve Ellery, Jaymes Butler
Land, Jahr: Deutschland 2013
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: D, S
im Kino: 5/2014
Auf DVD: 1/2015


José García
Foto: farbfilm

Ein Hotelzimmer irgendwo in Indien. Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) macht Sport auf dem Standfahrrad in seinem Hotelzimmer. Sein Partner Frank Öllers (Devid Striesow) bindet sich derweil den Schlips in seinem Zimmer. Dunkler Anzug, unauffällige Krawatte und Aktentasche mit Laptop – die Unternehmensberater sind für die Besprechung mit dem Manager der indischen Firma ausgestattet, die selbstverständlich in einem Konferenzzimmer im selben Hotel stattfindet. Es geht um die Produktionsverlegung einer 120 Millionen-Euro-Produktionsstätte von Indien nach Pakistan. Was mit den indischen Arbeitskräften geschehen soll, interessiert die „Kannibalen“ nicht. „Ihr verbrennt Witwen. Sie tragen Burkas. Wo ist da das Problem?“, lautet denn auch der zynische Kommentar.

Öllers hat private Probleme: Seine Ehe ist längst zerrüttet, sein kleiner Sohn leidet an schwerer Neurodermitis. Er sucht eine Beförderung, die zu Beginn von Johannes Nabers „Zeit der Kannibalen“ im Raum steht, um nicht mehr immer um den Globus fliegen zu müssen, und dadurch mehr Zeit zu Hause verbringen zu können. Solche Fragen stellen sich Niederländer nicht – ein Privatleben kennt er nicht. Dafür lebt er verschiedene Marotten aus, von denen der Zuschauer die eine oder andere Kostprobe bekommt. Für ihn bedeutet die erwähnte Beförderung einen weiteren Karriereschritt, der in seiner Haltung des Nur für den Job-Lebens ohnehin existentielle Züge annimmt. Befördert wird jedoch weder Öllers noch Niederländer, sondern der dritte im Unternehmensberater-Team, ein gewisser Hellinger, den der Zuschauer nie zu Gesicht bekommt.

Weil Hellinger nun also im Büro sitzt, stößt zu den beiden „Kannibalen“ als Dritte im Bunde eine jüngere Kollegin, Bianca März (Katharina Schüttler mit zurückgekämmten Haar und hochgeschlossenem Business-Hosenanzug). Dass sie sich von den beiden erfahrenen Kollegen keineswegs vereinnahmen lässt, macht sie von Anfang an klar, als sie den Ausdruck „unsere Generation“ mit einem ironischen Lächeln quittiert. Darüber hinaus hat sie sich einen Idealismus bewahrt, über den die zynischen Öllers und Niederländer nur den Kopf schütteln können: „Warum bist Du nicht bei einer NGO?“ Ihre moralischen Zweifeln wecken bei den beiden Turbokapitalisten nur Sarkasmus: „Du hättest eine große Zukunft in der evangelischen Kirche“. Dass sich Bianca März nach außen harmlos gibt, stellt sich allerdings als Berechnung heraus: Sie soll die Kollegen evaluieren, weil sich inzwischen der zum Partner aufgestiegene Hellinger das Leben genommen hat und deshalb die mit der Beförderung verbundene Stelle erneut neu besetzt werden muss. Dann überschlagen sich die Ereignisse: Die Firma wird überraschend verkauft, der neue Besitzer bietet ihnen per Videokonferenz aus Afghanistan die lang ersehnte Partnerschaft an. Währenddessen spitzt sich die Lage außerhalb des Hotels zu. Plötzlich sind in Nigerias Hauptstadt, wohin sie inzwischen geflogen sind, Explosionen und Schüsse sowie Ansagen aus Lautsprecher-Wagen zu hören.

„Zeit der Kannibalen“ spielt sich ausschließlich in geschlossenen Räumen ab. Die wenigen Blicke aus dem Fenster zeigen lediglich so etwas wie Pappmaché-Klötze, die an Häuser erinnern sollen. Die Aussage dieses ungewöhnlichen Stilmittels ist eindeutig: Für Öllers und Niederländer gibt es keine Wirklichkeit außerhalb ihrer geschlossenen Welt. Es zählt einzig und allein das jeweilige Hotel – die Hotelzimmer oder die Konferenzräume, in denen die Sitzungen mit den Kunden stattfinden. Weil sich Business-Hotels in der ganzen Welt zum Verwechseln ähnlich sehen, spielt es überhaupt keine Rolle, in welchem Land sich die Unternehmensberater jeweils aufhalten. Sie interessiert ohnehin überhaupt nicht, was außerhalb des Hotels ist. So zeigen sich die beiden Männer fassungslos, als Bianca auf einmal auf die Straße, in die Stadt will.

Durch das Spiel in überschaubaren Räumen drängt sich der Eindruck des Kammerspiels auf. Dadurch und durch die unauffällige Regie von Johannes Naber kommt den Dialogen und dem Spiel der Darsteller eine zentrale Bedeutung zu. Die Dialoge von Drehbuchautor Stefan Weigl sind mit bissig-pointiertem Zynismus durchsetzt. Den Darstellern gelingt es aber, die Figuren nicht zu bloßen Karikaturen verkommen zu lassen. Trotz ihres teilweise diskriminierenden Verhaltens, obwohl sich Niederländer eigentlich nur mit sich selbst und seinen zahlreichen Neurosen beschäftigt und Öllers zu Zornausbrüchen neigt, wobei schon einmal die Einrichtung eines Hotelzimmers demoliert wird, gestalten sie Sebastian Blomberg und Devid Striesow mit schlagfertigem Humor, was dem Zuschauer die Charaktere liebeswürdig macht. Katharina Schüttler umhüllt ihre Bianca März mit einem gewissen Geheimnis, was die junge Business-Frau für den Zuschauer undurchschaubar macht. Natürlich überzeichnen die drei Darsteller ihre Figuren, ohne dass jedoch „Zeit der Kannibalen“ in eine Farce umkippt. Bei aller Persiflage bleiben Öllers, Niederländer und März glaubwürdige Charaktere, wie sie die Global Economy erschaffen könnte.

Johannes Nabers „Zeit der Kannibalen“ erweist sich als ein mit sarkastischem, ja zynischem Humor gespickter Film über die menschlichen Auswüchse einer globalisierten Wirtschaft, die eine teilweise mit Menschenverachtung gepaarte, maßlose Profitgier über den Menschen stellt.

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