NÄCHSTER HALT: FRUITVALE STATION | Fruitvale Station
Filmische Qualität:   
Regie: Ryan Coogler
Darsteller: Michael B. Jordan, Octavia Spencer, Melonie Diaz, Kevin Durand, Ariana Neal, Ahna O’Reilly
Land, Jahr: USA 2013
Laufzeit: 85 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 5/2014
Auf DVD: 9/2014


José García
Foto: dcm

In den ersten Morgenstunden des Neujahrstages 2009 wurde auf dem Bahnsteig der „Fruitvale Station“ in Oakland, Kalifornien der 22-jährige Oscar Grant III von einer Polizeikugel niedergeschossen. Der junge Mann erlag kurz darauf in einem Krankenhaus seinen Verletzungen. Der Schuss des weißen Bahnpolizisten in den Rücken des jungen schwarzen Mannes wurde von zahlreichen Zeugen mit Mobiltelefon-Kameras festgehalten und anschließend im Internet und in Nachrichtensendungen verbreitet. Anfang 2009 löste die Tötung die schwersten ethnisch motivierten Unruhen in den Vereinigten Staaten seit 1992 aus.

Echte Bilder von einer Demonstration am Neujahr 2013 zeigt das Spielfilmdebüt von Ryan Coogler „Nächster Halt: Fruitvale Station“ im Nachspann. Der Film beginnt jedoch mit nachgestellten Mobiltelefonaufnahmen, die verwackelt und etwas unscharf die Festnahme einiger schwarzer junger Männer einfangen. Plötzlich ist ein Schuss zu hören. Dann fängt in einer Rückblende der letzte Tag im Leben des Oscar Grant (Michael B. Jordan) an: Am Morgen des Silvestertages 2008 hat er sich nach einem Streit um Mitternacht mit seiner Frau Sophina (Melonie Diaz) versöhnt. Oscar bringt sie zur Arbeit und die gemeinsame Tochter Tatiana (Ariana Neal) in den Kindergarten. Eine Kleinfamilie wie viele andere auch – wenn nicht das Päckchen Rauschgift wäre, das der junge Mann gerade noch versteckt hat.

Zu Beginn sprachen Oscar und Sophina über die guten Vorsätze für das neue Jahr. Für ihn steht es fest: Er möchte wieder Arbeit bekommen, nachdem er vor kurzem wegen Unpünktlichkeit seine Stelle im Supermarkt verloren hat – was Sophina allerdings noch nicht weiß. So macht sich Oscar zu seiner ehemaligen Arbeitsstätte auf, um etwas naiv den ehemaligen Boss um eine Neueinstellung zu bitten. Da dieser bereits die Stelle neu besetzt hat, erkennt Oscar, dass sich der Neuanfang ziemlich schwierig gestaltet: „Ich wollte neu anfangen. Aber es funktioniert nicht“, wird er am Abend zu Sophina sagen, als er ihr seine Arbeitslosigkeit gesteht. Dennoch lässt sich der junge Mann nicht entmutigen. Eins steht für ihn auf jeden Fall klar: Ins Gefängnis möchte er nicht zurück, nachdem er Silvester 2007 eine Freiheitsstrafe verbüßte – wie eine ausgiebige Rückblende schildert. Sie verdeutlicht darüber hinaus Oscars Zerwürfnis mit seiner Mutter Wanda (Octavia Spencer), das er nun mit einer Geburtstagsfeier zu überwinden sucht. Obwohl er bereits einen Kunden einbestellt hat, wirft Oscar das Rauschgift weg. Im neuen Jahr will er sich lieber etwas Legales aussuchen. Nach einem Geburtstagsessen für Oscars tief gläubige Mutter geht es auf Wunsch von Sophina mit einigen Freunden nach San Francisco, um das neue Jahr zu begrüßen. Damit sie nicht im Verkehr stecken bleiben, macht die Mutter den Vorschlag, lieber mit dem Zug in die Stadt zu fahren.

War die Tötung Oscar Grants ein Fall rassistisch motivierter Polizeigewalt? Die im wirklichen Leben von der Tat ausgelösten Unruhen deuten darauf hin, dass sie als solche wahrgenommen wurde. Drehbuchautor und Regisseur Ryan Coogler und Produzent Forest Whitaker, der neben seiner Arbeit als Schauspieler als UNESCO-Sonderbotschafter für Frieden und Versöhnung tätig ist, nehmen keine denunziatorische Haltung ein. Dennoch fällt es auf, dass in den Film immer wieder Kommentare über Unterschiede zwischen Weißen und Schwarzen eingestreut werden.

Ins Auge springt darüber hinaus die Bedeutung, die im Film dem Mobiltelefon zugesprochen wird, nicht nur weil die Bahnpolizeiaktion von den Bahnreisenden damit festgehalten wurde. Oscar verbringt diesen Tag größtenteils im Auto und fast immer mit dem Handy in der Hand. Dazu erklärt Regisseur Ryan Coogler: „Vor allem aber hat die Rolle, die Handys und Videokameras in diesem Fall gespielt haben, uns dazu inspiriert, den ganzen Film über ein Auge auf den Umgang mit Mobiltelefonen zu werfen. Wir begannen darüber nachzudenken, welche Rolle diese Dinger in unserem Leben spielen, Obwohl es jetzt über vier Jahre her ist, war Oscar auch schon damals mit seinen Lieben überwiegend übers Handy in Kontakt. Auch am letzten Tag seines Lebens.“

Mit teilweise dokumentarischer Anmutung rekonstruiert „Nächster Halt: Fruitvale Station“ den letzten Tag im Leben eines jungen Mannes. Wenn auch eine solche Detailgenauigkeit manchmal etwas ermüdend wirkt und der Ausgang der Handlung ohnehin bekannt ist, gelingt es Regisseur Coogler, dem Zuschauer einen Einblick in die Persönlichkeit des Oscar Grant zu vermitteln. Michael B. Jordan gestaltet Grant als lieben Familienvater, der sich um seine kleine Tochter kümmert, sowie als besorgten Sohn, der sich mit seiner Mutter endgültig aussöhnen möchte. Und der mit einem Neuanfang hadert, der seine Vergangenheit hinter sich lassen will. Diese Eigenschaften machen aus der Filmfigur einen interessanten und vielschichtigen Charakter. Es fragt sich nur, ob etwa auch angesichts seiner Vergangenheit Oscar Grant III unter der Regie von Ryan Coogler nicht allzu sehr verklärt wird. Ohne dass dies die ihm zugestoßene Tat gerechtfertigt oder die Tat weniger sinnlos gemacht hätte: Mit einer größeren Distanz zur Hauptfigur wäre Cooglers Film überzeugender geworden.

„Nächster Halt: Fruitvale Station“ gewann den Großen Preis der Jury und den Publikumspreis beim Festival von Sundance 2013.
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