FRAU DES POLIZISTEN, DIE | Die Frau des Polizisten
Filmische Qualität:   
Regie: Philip Gröning
Darsteller: David Zimmerschied, Alexandra Finder, Pia und Chiara Kleemann, Horst Rehberg
Land, Jahr: Deutschland 2013
Laufzeit: 172 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 3/2014
Auf DVD: 1/2015


José García
Foto: 3L Filmverleih

Eine kleine Familie in einer Kleinstadt: Uwe (David Zimmerschied) arbeitet als Streifenpolizist. Seine Frau Christine (Alexandra Finder) kümmert sich um den Haushalt und um die gemeinsame Tochter, die etwa vierjährige Clara (Pia und Chiara Kleemann). Mutter und Tochter verbringen viel Zeit zusammen. Christine erschließt der kleinen Clara die Geheimnisse der Natur, etwa an einem Fluss oder auch im kleinen Hof, wo die Mutter ein paar Steinplatten ablöst, damit sie gemeinsam etwas pflanzen können. Tiere mag die Kleine natürlich auch. Sie will unbedingt den Fuchs sehen, der nachts durch die Siedlung schleicht. Als Clara einen Regenwurm zwischen den gepflanzten Samen entdeckt, gießt sie Wasser auf den Wurm – mit dem Ergebnis, dass sie ihn fast ertränkt.

Dieser Wunsch zu helfen und dabei fast zu zerstören, kennzeichnet auch die Beziehung zwischen den Eheleuten. Uwe ist eigentlich ein guter Ehemann und Vater. Viel bekommt der Zuschauer zwar von seiner Arbeit als Polizist nicht zu sehen. Ein Gefühl der Überforderung vermittelt er allerdings schon. Da ist beispielsweise eine nächtliche Szene, in der ein Auto ein Reh überfahren hat. Uwe muss das noch lebende Wild mit einem Schuss erlösen und dann den Tierkadaver zur Seite schaffen.

Regisseur und Drehbuchautor Philip Gröning und seine Mit-Autorin Carola Diekmann teilen den fast dreistündigen Spielfilm „Die Frau des Polizisten“ in 59 Kapitel auf. Jedes Kapitel beginnt mit einer Schwarzblende: „Anfang Kapitel 1“ heißt es da beispielsweise. Es endet mit der schwarzen Leinwand und der Aufschrift „Ende Kapitel 1“. Darauf folgt wiederum eine schwarze Aufblende mit der Überschrift „Anfang Kapitel 2“. Diese Kapiteleinteilung erweckt manchmal den Eindruck einer willkürlichen Anordnung, weil sie kaum eine dramaturgische Entwicklung unterstützt. Das Leben der Familie wirkt meistens harmonisch. Zwischendurch bricht sich jedoch die Gewalt Bahn. Anfangs ist es lediglich ein spielerisches Kräftemessen: Kapitel 6 zeigt Uwe und Christine beim Armdrücken. Er lässt sie zunächst einmal gewinnen, aber dann zeigt Uwe doch noch seine Kraft. Etwas später sind bei Christine blaue Flecken zu sehen. Dass Uwe ohne stichhaltigen Grund ausrasten kann, hat der Zuschauer bereits gesehen. Aber die Gewalt bricht urplötzlich in die Zweierbeziehung hinein. Dazu führt Philip Gröning aus: „Er schlägt sie. Aus Überforderung, aus Hass, aus Nähe heraus, aus der irrsinnigen Ohnmacht über ein Leben, das sich über ihn gelegt hat, als sei er nicht da. Aus Ohnmacht über die Nähe, die er zu ihr will, aus Ohnmacht über die Nähe zwischen Mutter und Kind, in die er nicht eindringen kann, nicht wirklich.“

Dass es in „Die Frau des Polizisten“ keine dramaturgische Zuspitzung gibt, ist freilich eine bewusste Entscheidung der Drehbuchautoren wie die Tatsache, dass Uwe eine ambivalente Figur ist, dass im Film nicht zwischen dem bösen Täter und dem guten Opfer unterschieden wird. Einmal sagt Christine zu Uwe: „Du bist doch eigentlich ein Guter!“ Obwohl er sie schlägt, sucht sie weiterhin seine Nähe. Denn – das zeigen die meisten Kapitel – der junge Polizist könnte eigentlich ein ganz guter Ehemann und Vater sein. Die Absage an eine lineare Handlung mag für den Zuschauer sperrig wirken. Ähnliches gilt für die doppelten Schwarzblenden, die bei 59 Kapiteln auf Dauer etwas ermüdend. Ermattend wirken ebenfalls die immer wieder von oben oder durch Öffnungen gefilmten Einstellungen der von Philip Gröning selbst geführten Kamera mit ausgewählten Bildausschnitten, an denen der Wille zur Kunstform deutlich wird.

Irritierend nimmt sich außerdem die Figur des „alten Mannes“ aus, der mit dem eigentlichen Handlungsstrang der Kleinfamilie offenbar in keinem Zusammenhang steht. Der Zuschauer sieht ihn zunächst in einer schneebedeckten Landschaft, dann meistens in der Küche einer schäbigen Wohnung. Zu ihm erklärt Regisseur Philip Gröning: „Der alte Mann ist ein Rätsel, für mich selber auch. Die Rolle bleibt mehrdeutig, muss es bleiben. Er könnte der Vater des Polizisten sein. Oder andere sehen ihn als den Polizisten selbst, als alten Mann, allein, zurückschauend. Der klassische griechische Chor kommentiert die Handlung. In diesem Fall ist der alte Mann wie ein schweigender Chor. In ihm zeigt sich, wie sich die Gesellschaft zu häuslicher Gewalt verhält. Passiv. Schweigend.“

„Die Frau des Polizisten“ ist nicht nur wegen seiner fast experimentellen Form ein ungewöhnlicher Film. Auch inhaltlich betreibt er nicht nur keine Schwarzweißmalerei im Hinblick auf die häusliche Gewalt. Darüber hinaus handelt Grönings Film nicht bloß von der ambivalenten Beziehung zwischen Uwe und Christine. In „Die Frau des Polizisten“ spielt ebenso die Beziehung zwischen Mutter und Tochter eine zentrale Rolle. Über seinen Film sagt Regisseur Philip Gröning: „,Die Frau des Polizisten‘ ist ein Film über die Tugend der Liebe, Tugend der Neugier, Tugend der Freude. Die Frau tut, was immer sie kann, um die Seele ihres Kindes zu schützen, sie intakt zu halten, wachsen zu lassen. Dem Kind Liebe zu lehren. Aber in dem Maße, in dem die Gewalt anwächst, versinkt die Frau.“

Dank der natürlich agierenden Schauspieler, die der Regisseur beeindruckend führt, gelingt Philip Gröning trotz der weitschweifigen-anstrengenden äußeren Form ein eindringliches Porträt einer Kleinfamilie, in der sich Augenblicke der Gewalt an solche der Nähe und Geborgenheit übergangslos reihen.
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