|
||||||||||||||||||||
José GarcÃa Foto: universum Die 2003 in London lebende Philomena Lee (Judi Dench) sehnt sich nach dem Sohn, den sie fünfzig Jahre zuvor zur Adoption freigab. Als junge, ledige Schwangere war sie Anfang der fünfziger Jahre von ihrem Vater in das irische Kloster Roscrea abgeschoben worden, wo sie Anthony zur Welt brachte. Mit drei Jahren wird ihr Sohn Anthony von Adoptiveltern abgeholt. Zwar wurde Philomena damals â wie sie selbst später deutlich macht â nicht gezwungen, das Schriftstück zu unterzeichnen, in dem sie erklärt, dass sie niemals nach ihrem Sohn suchen wird. Sie hat jedoch ein halbes Jahnhundert lang jeden Tag an ihn gedacht. Als Philomenas Tochter Jane den bekannten Journalisten Martin Sixsmith (Steve Coogan) zufällig kennenlernt, erzählt sie ihm davon. Sixsmith hat gerade seine Arbeit als Regierungsberater verloren und überlegt, ein Buch zu schreiben. So kommt der Journalist auf seine âStoryâ. Gemeinsam beginnt das ungleiche Duo eine Suche, die in Irland ihren Anfang nimmt und sie in die Vereinigten Staaten führen wird. âVerfluchte Katholikenâ, ruft in einem bestimmten Augenblick Martin Sixsmith auf. Dieser Aufschrei bringt die Kluft zwischen ihm und Philomena auf den Punkt. Denn die ältere Dame hält weiterhin an ihrem katholischen Glauben fest â die echte Philomena Lee wurde am 9. Februar vom Papst Franziskus empfangen. Der Gegensatz zwischen dem intellektuellen, zynischen Journalisten und der einfachen, warmherzigen älteren Frau steht im Mittelpunkt des Spielfilms âPhilomenaâ, bei dem Stephen Frears nach einem auf Martin Sixsmiths Tatsachenroman âThe Lost Child of Philomena Lee: A Mother, Her Son and A Fifty-Year Searchâ beruhenden Drehbuch von Steve Coogan und Jeff Pope Regie führt. Der Journalist kann nicht verstehen, wie Philomena nach all dem, was sie erlebt hat, weiterhin an Gott und die Kirche glauben kann. Auf diese oder ähnliche âTheodizeeâ-Fragen antwortet sie mit einem Achselzucken: âVerfluchter Idiotâ. Denn trotz ihrer vordergründigen Einfalt vermag sie ihm zu entgegnen, dass Journalismus âden Menschen schadenâ kann. Woraufhin Sixsmith keine Antwort hat. Obwohl âPhilomenaâ über lange Strecken die Waage zwischen beiden kaum überbrückbaren Einstellungen hält, ja seine Spannung geradezu aus diesen Gegensätzen bezieht, ergreifen die Filmemacher doch noch am Ende Partei. In einem Gespräch zwischen dem Journalisten und der damals für die Adoptionen zuständigen, inzwischen sehr gealterten Schwester Hildegard â das aber laut aktuellen Angaben der Schwester Julie Rose vom Kloster Roscrea auf dem englischen Online-Portal âprotectthepope.comâ in der Wirklichkeit nie stattfand, weil Schwester Hildegard bereits 1995 starb und Martin Sixsmith die Recherchen für sein Buch im Jahre 2004 begann â findet ein sehr bezeichnender Dialog statt. Die Nonne weist darauf hin, dass sie selbst ihr Keuschheitsgelübde eingehalten, während âdiese Mädchen ihre Fleischeslust nicht kontrolliertâ hätten, woraufhin der Journalist antwortet: âSie meinen, sie hatten Sexâ. Ãber die Absicht hinaus, die alte Nonne lächerlich zu machen (Schwester Julie Rose berichtet, dass während einer Probevorführung in dieser Szene Entsetzenslaute zu hören gewesen seien), zeugt die flapsige Antwort des fiktiven Martin Sixsmith von der Unfähigkeit oder der mangelnden Bereitschaft, sich in die Lage von ledigen Müttern Anfang der fünfziger Jahre hineinzuversetzen. Anachronismus kommt in Spielfilmen wie in Romanen nicht selten vor: Vergangene Zeiten werden aus heutiger Sicht be- und allzu oft auch verurteilt. Dies ist bei âPhilomenaâ jedoch umso bedauerlicher, als diese Ereignisse lediglich sechzig Jahre zurückliegen. Abgesehen davon, dass dieser Anachronismus aus der nicht unerheblichen AnmaÃung herrührt, âwir heuteâ wüssten alles besser als vergangene Generationen, hätten Drehbuch-Mitautor Steve Coogan und Regisseur Stephen Frears wissen müssen, dass in dieser Zeit âSex habenâ schwerwiegende Konsequenzen nach sich zog. In ihrem Film streift es sogar Philomena Lee selbst, als sie davon berichtet, ihr Vater habe sie nicht nur ins Kloster abgeschoben, sondern auch âsich geschämt, und allen erzählt, ich sei totâ. Dass Heime für âgefallene Mädchenâ oder solche Kloster wie Roscrea die einzige Zuflucht für eine ledige Mutter waren, gehört ebenfalls zur Allgemeinbildung, was den Filmemachern allerdings offenbar entgangen ist. Stattdessen inszenieren sie die Arbeit der Mädchen im Kloster als Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. AuÃerdem erhebt der Film schwerwiegende Vorwürfe gegen die Schwestern: Das Kloster Roscrea soll absichtlich Unterlagen vernichtet haben, um âseine unchristlichen Geschäftspraktiken zu vertuschen: Für 1000 Pfund konnten wohlhabende Amerikaner im Kloster ein Kind kaufen.â Dazu erklärt Schwester Julie Rose: Die Behauptung, das Kloster habe Dokumente mutwillig zerstört oder Informationen zurückgehalten, entbehre jeglicher Grundlage. âIm Gegensatz zur Darstellung im Film half Schwester Hildegard vielen Müttern, ihre Kinder nach Jahren zu finden.â Ebenso sei unrichtig, dass die Nonnen für Adoptionen jemals Zahlungen erhalten hätten. Es ist bedauerlich, dass in ihrem Streben nach Dramatisierung der Ereignisse die Filmemacher es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Denn dadurch verliert ein hervorragend gespielter, in vielen Momenten berührender Film, der darüber hinaus dank seinem trockenen Humor nicht ins Rührselige abdriftet, erheblich an Glaubwürdigkeit. |
||||||||||||||||||||
|