BETHLEHEM | Bethlehem
Filmische Qualität:   
Regie: Yuval Adler
Darsteller: Shadi Mar’i, Tsahi Halevy, Hitham Omari, Tarek Copti, Michal Shtemler, Hisham Suliman, George Isandar
Land, Jahr: Israel / Belgien /Deutschland 2013
Laufzeit: 96 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G +
im Kino: 1/2014
Auf DVD: 9/2014


José García
Foto: RealFiction

Eine Mutprobe unter Jugendlichen, bei der eine Kalaschnikow eine zentrale Rolle spielt, führt den einen Protagonisten von Yuval Adlers Spielfilm „Bethlehem“ ein: Der 17-jährige Sanfur (Shadi Mar’i) möchte endlich aus dem Schatten seines großen Bruders, des gesuchten palästinensischen Untergrundkämpfers Ibrahim (Hisham Suliman), treten. Um Ibrahims Aufenthaltsort herauszufinden und ihn festnehmen oder gar eliminieren zu können, rekrutierte der israelische Geheimdienstoffizier Razi (Tsahi Halevy) – die zweite Hauptfigur in „Bethlehem“ – Sanfur bereits als 15-Jährigen als Informanten. Im Laufe dieser zwei Jahre hat Razi zu seinem jugendlich aufbrausenden Informanten eine fast väterliche Zuneigung entwickelt. Der 17-Jährige fühlt sich allerdings zunehmend innerlich zerrissen: Um die Forderungen des israelischen Agenten zu erfüllen und gleichzeitig seinem Bruder gegenüber loyal zu bleiben, muss er denn ein Doppelleben führen. Die komplexe Beziehung zwischen Razi und Sanfur steht im Mittelpunkt von „Bethlehem“.

Den Nahostkonflikt inszenierten vor etwa einem Jahrzehnt mehrere Filme –„Rana’s Wedding“ (2002) und „Paradise Now“ (2005) von Hany Abu-Assad sowie Eran Riklis’ „Die syrische Braut“ (2004) – als Drama mit beinah dokumentarischer Strenge. Kürzlich wählte der deutsch-iranische Regisseur Ali Samadi Ahad mit „45 Minuten bis Ramallah“ (siehe Filmarchiv) den Weg einer grotesken Satire mit einer gehörigen Portion Slapstick, um den ganz alltäglichen Wahnsinn im Nahen Osten zu verdeutlichen. Regisseur Yuval Adler und sein Drehbuch-Mitautor Ali Waked inszenieren „Bethlehem“ als einen Thriller, unter dessen Oberfläche ein Drama lauert. Denn die Handlung wird von der Jagd des israelischen Geheimdienstes auf den palästinensischen Untergrundkämpfer Ibrahim vorangetrieben. Als Razis Vorgesetzte entdecken, dass Sanfur von seinem Bruder mehr weiß, als sie zunächst angenommen hatten, erteilen sie dem Agenten den Befehl, bei einem geplanten Anschlag auf Ibrahim auch Sanfur zu opfern. Um aber in dieser Situation sein Versprechen gegenüber dem 17-Jährigen („Ich lasse Dich nicht im Stich“) einzulösen, muss Razi seine Kompetenzen überschreiten.

Das Drehbuch zu „Bethlehem“ wurde von dem israelischen Regisseur Yuval Adler und dem arabischen Journalisten Ali Waked verfasst. „Ich bin israelischer Jude“, so Adler, „und habe beim militärischen Nachrichtendienst gedient. Ali ist Moslem und hat viele Jahre als Journalist und Aktivist in Ramallah und Gaza gearbeitet.“ In ihre Recherchen konnten sie sowohl Interviews mit Mitgliedern des israelischen Geheimdienstes Shabak als auch Aussagen von Mitgliedern der palästinensischen al-Aqsa-Brigaden einbeziehen. Der Film erzählt von Anfang an aus dieser doppelten Perspektive: Auf der einen Seite steht die verdeckte Arbeit des israelischen Geheimdienstes, auf der anderen Seite die palästinensischen Untergrundorganisationen, wobei die Drehbuchautoren nicht mit Kritik an den beteiligten Parteien sparen: Die teilweise fragwürdigen Methoden des israelischen Geheimdienstes werden ebenso angeprangert wie die engstirnigen, miteinander verfeindeten palästinensischen Hamas- und al-Aqsa-Brigaden.

Mitten in diesem ausweglosen, von Selbstmordattentaten und Militäraktionen geprägten Konflikt versuchen Razi und Sanfur eine Normalität in ihrer Vater-Sohn-Beziehung vorzugaukeln, die es unter diesen Umständen gar nicht geben kann. Denn sowohl der labile, gewalttätige Sanfur als auch der Agent, der in seinen Kompetenten die Grenze überschreitet, weil er den Jungen einfach gern hat und deshalb beschützen will, verraten ihre jeweilige Seite. Dennoch wissen sie, dass dieses Spiel mit dem Feuer nicht ewig weitergehen kann.

„Bethlehem“ baut seine Geschichte auf zerrissenen Charakteren auf. Obwohl Razis Zuneigung für den Jungen echt ist, und Sanfur in Razi eine Vaterfigur oder den Ersatz für den im Untergrund lebenden großen Bruder sieht, sind die beiden gezwungen, ein doppeltes Verstellungsspiel zu spielen. „Als Regisseur habe ich versucht, ihre unvereinbaren Standpunkte miteinander zu verknüpfen, ohne Partei zu ergreifen, und ohne zu urteilen“, erklärt Regisseur Yuval Adler dazu. Auch dem Zuschauer fällt es nicht leicht, mit diesen Charakteren mitzuempfinden. In dieser Charakterzeichnung besteht indes die besondere Stärke von „Bethlehem“, nicht vorwiegend in der sich steigernden Spannung und in den von Kameramann Yaron Scharf solide eingefangenen Actionszenen.

Dank seiner unterschiedlichen Erzählperspektiven und der komplexen Charaktere verdeutlicht „Bethlehem“ mit teilweise dokumentarischer Strenge die Ausweglosigkeit des israelisch-palästinensischen Konfliktes, bei dem die Grenzen zwischen Tätern und Opfern trotz oder gerade wegen der festgefahrenen Fronten einfach verschwimmen.

Yuval Adlers „Bethlehem“ wurde von Israel für den Oscar als bester nicht-englischsprachiger Film offiziell eingereicht. Beim israelischen Filmpreis konnte Adlers Film in sechs Sparten (darunter Bester Film) gewinnen. Darüber hinaus wurde „Bethlehem“ bei den 70. Filmfestspielen Venedig mit dem vom Verband der Filmkritiker Europas und des Mittelmeeres verliehenen Preis ausgezeichnet.
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