ZEHNTE SOMMER, DER | Der zehnte Sommer
Filmische Qualität:   
Regie: Jörg Grünler
Darsteller: Katharina Böhm, Kai Wiesinger, Erika Marozsán, Martin Stührk, Michelle Barthel, Pino Severino-Geysen
Land, Jahr: Deutschland 2003
Laufzeit: 97 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: U


JOSÉ GARCÍA
Foto: Arsenal

In einer kleinen Stadt am Niederrhein erlebt Kalli Spielplatz seinen „zehnten Sommer”: just zu Beginn der Sommerferien wird er neun. Der mit goldener Krone und rotem Umhang geschmückte „König Kalli“ fährt mit seinem glänzend neuen Roller durch die Kleinstadt und nimmt die Huldigungen seines „Volkes“ entgegen. Die Ferien fangen gut an, obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil Sommerferien im Jahre 1960 weder Italien noch Spanien, weder Fernsehen noch Computerspiele bedeutet, eher „der Zauber, einfach aus wenig viel zu machen”, wie sich Regisseur Jörg Grünler ausdrückt.

Zusammen mit seinen „Blutsbrüdern“ Polli und Walter gründet Kalli einen geheimen Zoo, für den er den echten Affen Kappu bekommt. In seinem zehnten Sommer entdeckt Kalli in der Nachbarstochter Franzi seine erste Liebe, die vor deren strenger Mutter unbedingt verborgen bleiben soll. Doch nicht nur die Kinder haben ihre Geheimnisse vor den Erwachsenen – so stellt Kalli fest, dass sein kriegsversehrter Vater heimlich zur attraktiven Nachbarin Almut Hilgers geht, einer Frau von zweifelhaftem Ruf.

Der auf Dieter Bongartz‘ Roman „Der zehnte Sommer des Kalli Spielplatz“ basierende und von Kinderdarsteller Martin Stührk als Kalli hervorragend gespielte Spielfilm versetzt den Zuschauer auch mit seiner bewusst altmodischen Erzählstruktur in die frühen sechziger Jahre zurück, in eine vordergründig intakte Zeit. Doch so heil, wie sie vorgibt, war diese Welt der „vor 68” nicht – suggeriert der Film.

Unter der schönen Oberfläche eines Kinderfilmes rechnet Roman- und Drehbuchautor Dieter Bongartz mit seiner eigenen Kindheit ab: „Viele Geschichten, in denen ich kindlichen Helden begegne, führen mich in die Welt meiner eigenen Kindheit zurück. In ‚Der zehnte Sommer‘ war das aber auch dramatisch notwendig, weil die Geschichte aus dem Konflikt zwischen der kleinbürgerlich-bornierten Lebensweise und einer offeneren Einstellung lebt. Die Handlung musste in einem engen, katholischen Milieu angesiedelt werden.“

Die zentrale Rolle in diesem „Konflikt“ spielt die verrufene Frau Hilfers als „schwer aushaltbarer Kontrast zum alles erdrückenden Mief der frühen 60er Jahre” (Bongartz). Wenn auch „Frau Hilfers und ihre Töchter“ dem Zuschauer aus der Sicht eines gerade Neunjährigen begegnen, der sie sich in seiner Phantasie als schöne Burgfräuleins ausmalt, so besteht für den Erwachsenen doch kein Zweifel, welches Gewerbe sie eigentlich betreiben.

Frau Hilfers „und ihre Töchter“ füllen das Klischee der gutherzigen Hure genauso aus wie Franzis Mutter das der streng Erziehenden. Damit es – nach den Vorstellungen der Filmemacher – richtig „eng katholisch“ wird, bedarf es jedoch eines weiteren Klischees: das des unsympathischen Priesters. Die in der Inszenierung weitgehend unterschwellige Gesellschaftskritik wird an dieser Figur überdeutlich, ja besonders plump, wenn dem Geistlichen nichts Geringeres als eine Verletzung des Beichtgeheimnisses vorgeworfen wird. Beteuerten Regisseur und Drehbuchautor nach der Filmvorführung bei der Berlinale 2003, der Vorwurf „Priesterpetze“ könne auch als Phantasie Kallis ausgelegt werden, so spricht die Dramaturgie jedoch eindeutig gegen eine solche Deutung. Überdies wird die „Petze“ als zur Wirklichkeitsebene zugehörig inszeniert.

Dies ist umso mehr besonders ärgerlich, als der ausgezeichnet ausgestattete „Der zehnte Sommer“ in der Rahmenhandlung um Kallis Sommerferien für Kinder durchaus Unterhaltungswert besitzt.
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