ELISABETH KÜBLER-ROSS - DEM TOD INS GESICHT SEHEN | Elisabeth Kübler-Ross - dem Tod ins Gesicht sehen
Filmische Qualität:   
Regie: Stefan Haupt
Darsteller: Mitwirkende: Elisabeth Kübler-Ross, Erika Faust-Kübler (†), Eva Bacher-Kübler, Rev. Mwalimu Imara, Audrey K. Gordon, Marianne New, Frances Luethy. Sprecher: Hanspeter Müller, Eleni Haupt
Land, Jahr: Schweiz 2002
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: -


JOSÉ GARCÍA
Foto: Salzgeber

Selten schaffen Dokumentarfilme den Weg auf die große Leinwand. Dass eine filmische Dokumentation über eine Frau, die sich ein Leben lang mit dem Sterben beschäftigt hat, ins Kinoprogramm aufgenommen wird, kommt einer doppelten Sensation gleich. Denn der Tod – oder eher das Sterben – gehört nach wie vor zu den gesellschaftlichen Tabus.

Zu einem unverkrampften Umgang mit dem Tod, zu einer Enttabuisierung des Sterbens trugen gerade die auf ihrer praktischen Arbeit mit Sterbenden basierenden Schriften der Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross, allen voran der Bestseller „Interviews mit Sterbenden” („On Death and Dying”) entschieden bei. Der Schweizer Filmemacher Stefan Haupt interviewte im September 1999 die nach mehreren Schlaganfällen bettlägerige Kübler-Ross in der Abgeschiedenheit der Wüste Arizonas, wohin sich die Ärztin Mitte der neunziger Jahre zurückzog. Die Gespräche mit dem Regisseur bilden den Rahmen für den Film, in den reiches Archivmaterial hinein geschnitten wird: Amateuraufnahmen mit Familienfeiern, Fernsehauftritte sowie Szenen aus Dokumentationen, die Kübler-Ross bei ihrer Arbeit zeigen: wie sie Vorträge und Seminare hält sowie sterbenden Frauen und todgeweihten Kindern beisteht.

Dabei zeichnet Stefan Haupt die Lebensstationen von Elisabeth Kübler-Ross streng chronologisch nach: 1926 als eine von drei Drillingsschwestern in Zürich geboren, studierte sie gegen den Willen ihrer Eltern Medizin. Dabei lernte sie den amerikanischen Arzt Emanuel Ross kennen, den sie im Jahre 1958 heiratete und mit dem sie nach New York übersiedelte. Um diese Zeit zu rekonstruieren, stützt sich Haupt auf Gespräche mit ihren Drillingsschwestern Erika Faust-Kübler – die noch vor der Fertigstellung des Filmes starb – und Eva Bacher-Kübler, die die Vorträge und Workshops von ihrer berühmten Schwester in Europa organisierte.

In der psychiatrischen Abteilung des Manhattan State Hospitals absolvierte Kübler-Ross eine Fachausbildung für Psychiatrie. In New York wurden auch ihre Kinder Kenneth und Barbara geboren. Der entscheidende Durchbruch indes gelingt ihr erst, nachdem die Familie 1965 nach Chicago umzieht: an dessen renommierten Billings Hospital findet sie das Arbeitsfeld, dem sie ihr Leben widmen wird: den Umgang mit den Sterbenden. Ende der sechziger Jahre hatte in der Schulmedizin der Umgang mit sterbenden Patienten gar keinen Platz: „Wenn man in der medizinischen Ausbildung ausschließlich lernt, Menschen zu heilen, zu behandeln und ihr Leben zu verlängern, ist es ganz natürlich, dass man sich beim Sterben eines Patienten wie ein Versager fühlt”. So beschreibt Kübler-Ross selbst die allgemeine Atmosphäre in der Medizin, als sie mit ihrer Sterbebegleitung begann. Die Hospizbewegung sowie die Palliativmedizin haben Elisabeth Kübler-Ross Entscheidendes zu verdanken.

In den Film werden ebenfalls Bilder ihrer ausgedehnten Tätigkeit als weltweit gefragte Referentin eingefügt. Im Wechsel der unterschiedlichen Mitteln – von den Interviews über die Amateurfilme bis zu den Fahraufnahmen durch die Wüste – erzeugt Haupts Dokumentation einen durchgängigen Spannungsbogen, in dem an wohl dosierten Stellen sogar das Lächeln Platz findet. „Elisabeth Kübler-Ross - Dem Tod ins Gesicht sehen” verschweigt nicht die weniger schmeichelhaften Aspekte im Leben der Sterbeforscherin: dass sie ihre Familie aufgab, Ehemann und Kinder verließ, um sich ihrer Arbeit ungebunden zu widmen. Der Film dokumentiert ebenfalls die fragwürdigen Sessionen über Jenseits-Erfahrungen, die sie unter dem Einfluss einer esoterischen Sekte in den siebziger Jahren in Kalifornien veranstaltete.

Auf diese Schattenseiten im Leben von Elisabeth Kübler-Ross geht Filmautor Stefan Haupt im Interview mit der Sterbeforscherin allerdings nicht ein. Die Ehrfurcht vor der lebenden Legende hat ihn offensichtlich davon abgehalten. Ebenso ausgeklammert werden religiöse Fragen: Zwar interviewt der Regisseur Reverend Mwalimu Imara, der als „Elisabeths Mitarbeiter in Chicago und langjähriger Freund” vorgestellt wird. Wie sich jedoch Elisabeth Kübler-Ross eine Zusammenarbeit zwischen Palliativmedizin und Seelsorge vorstellt, erfährt der Zuschauer nicht. Das ist schade, denn damit hätte der ebenso informative wie spannende Dokumentarfilm eine besondere Tiefe gewonnen.
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