PAULETTE | Paulette
Filmische Qualität:   
Regie: Jerome Enrico
Darsteller: Bernadette Lafont, Carmen Maura, Dominique Lavanant, Francoise Bertin, Andre Penvern
Land, Jahr: Frankreich 2012
Laufzeit: 87 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 7/2013
Auf DVD: 11/2013


José García
Foto: Neue Visionen

Paulette (Bernadette Lafont) lebt mehr schlecht als recht von einer kleinen Rente in einem Pariser Vorort. Wie eine schnell geschnittene Sequenz mit grobkörnigen Familienvideos verdeutlicht, war sie in den sechziger und siebziger Jahren glücklich verheiratet und besaß eine kleine, hübsche Konditorei. Die schlechten Zeiten haben aus ihr eine mürrische, ruppige alte Frau gemacht, die mit ihrer Tochter Agnes (Axelle Laffont) im Dauerclinch liegt, weil diese den afrikanisch-stämmigen Polizisten Osman (Jean-Baptiste Anoumon) geheiratet hat. Und Ausländer mag Paulette überhaupt nicht, insbesondere nicht, seit ihre frühere Konditorei in ein chinesisches Restaurant verwandelt wurde. Dass sie den chinesischen Einwanderern dort Kakerlaken ins Essen gemischt hat, beichtet sie in der Kirche. Allerdings ist der Pfarrer selbst afrikanischer Abstammung, der solche Dinge mit heftigem Kopfschütteln quittiert. Dass Paulette ihre Fremdenfeindlichkeit ausgerechnet bei einem schwarzen Priester ablädt, gibt den ironischen Ton vor, der in Jérôme Enricos Spielfilm „Paulette“ vorherrscht. Zumal Paulette dem Pfarrer ganz naiv sagt, er habe es „verdient, weiß zu sein“.

Den Anstoß zur Handlung gibt die Pfändung sämtlicher Möbel Paulettes, nachdem sie weder die Miete noch den Strom bezahlen kann. Eines Abends beobachtet sie die Festnahme zweier junger Drogendealer. Bei ihrem Schwiegersohn erkundigt sie sich ziemlich unschuldig danach, was ein Dealer so einnimmt. Warum sollte sie das nicht ebenfalls tun? Sie klopft einfach an die Tür des Drogendealers Vito (Paco Boublard) in ihrer Siedlung und dient sich ihm an. Dass sich eine harmlos aussehende Rentnerin hervorragend für den Haschisch-Verkauf eignet, leuchtet auch Vito ein. Durch ihre derbe Art wird sie bald zur erfolgreichsten Dealerin Vitos, so dass die anderen Dealer auf sie neidisch werden. Als zwei Jugendliche ihr deshalb ein blaues Auge verpassen, sucht sie nach einem Ausweg, den sie in Hasch-Cookies findet. Zusammen mit ein paar Freundinnen lässt sie ihre Backkünste wieder aufleben. Ihre besondere Zutat wird in gewissen Kreisen zum Geheimtipp. Bald stehen Menschen vor ihrer Sozialwohnung Schlange. Als aber der russische Drogenbaron Taras (Miglen Mirtchev) davon erfährt, will er sie zwingen, die Hasch-Cookies auch an Schulen zu verkaufen. Paulette reagiert darauf mit Empörung, was dazu führt, dass der Drogenchef als Druckmittel Paulettes siebenjährigen Enkel Léo (Ismaël Dramé) entführt. Die rüstige Rentnerin sieht sich gezwungen, gemeinsam mit ihren Freundinnen eine Rettungsaktion zu starten.

„Eine schön unmoralische Fabel“ nannte „Le Parisien“ den Film. Als realistischer Film wäre die Bezeichnung „unmoralisch“ für Jérôme Enricos Spielfilm „Paulette“ sicher angemessen. Abgesehen aber davon, dass die rüstige Oma sehr wohl moralische Schranken kennt, was sich in der Weigerung ausdrückt, Rauschgift in Schulen zu dealen, scheint die Bezeichnung „Fabel“ für Enricos Film sehr passend. Denn der absurde-ironische Ton, der sich durch „Paulette“ von Anfang an und bis zum völlig märchenhaften Ende zieht, lässt trotz des respektlosen und bedrohlich erscheinenden Verhaltens der Kleinkriminellen gegenüber Paulette kaum einen Gedanken an irgendeinen Realismus aufkommen.

Obwohl dem Film „Paulette“ eine gewisse Gesellschaftskritik kaum abzusprechen ist, weil hier eine Rentnerin gezwungen wird, in den Mülltonnen zu wühlen und auf dem Markt die Reste aufzusammeln, um überhaupt zu überleben, wird eine solche Kritik von der Situationskomik überstrahlt. Denn Regisseur Jérôme Enrico und seine drei Drehbuch-Mitautoren führen allerlei slapstick-ähnliche Momente in den Film ein – etwa, wenn die Polizei bei Paulette im völlig falschen Moment auftaucht. Mit schwarzem Humor wird über die auftretenden Konflikte hinweggegangen. Alles, was Paulette anpackt, wendet sich problemlos zu ihrem Vorteil. Zum humoristischen Konzept der Situationskomik gehört weiterhin, dass sich Paulette als Drogendealerin mit ihrem Kopftuch und ihrer Einkaufstasche oder auch beim Aufteilen der Hasch-Ballen mit dem Messer zunächst ganz schön unbedarft anstellt. Dass ausgerechnet sie die gewieften und erfahrenen Dealer aus ihrer Hochhaussiedlung schnell aussticht, entbehrt genauso wenig einer gewissen Komik wie die Art, wie sie sich der Sprache der Drogendealer aneignet.

Bei der Darstellung dieser überdrehten Handlung kann sich Regisseur Jérôme Enrico auf die inzwischen 84-jährige Bernadette Lafont verlassen. Sie verkörpert die dealernde Rentnerin mit sichtlicher Spielfreude. Darin wird sie von Carmen Maura, Dominique Lavanant und Françoise Bertin als Paulettes Freundinnen und Mitstreiterinnen Maria, Lucienne und Renée bestens unterstützt. Zwar geschieht die Wandlung der ausländerfeindlichen, mürrischen alten Frau zu einer liebenswürdigen Dame etwas zu unvermittelt. Bernadette Lafont gelingt es aber, diese Wandlung glaubwürdig darzustellen. Behandelt sie ihren Enkel Léo zunächst ziemlich schlecht, nimmt sie ihn zuerst nur widerwillig auf, wenn ihre Tochter den Jungen zu ihr bringt, so entwickelt sich Paulette im Laufe der Handlung zu einer liebevollen Oma. Diese Veränderung hat symbolischen Charakter für die Wandlung, die Paulette im gleichnamigen Film durchmacht.
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