GLÜCK DER GROSSEN DINGE, DAS | What Maisie knew
Filmische Qualität:   
Regie: David Siegel, Scott McGehee
Darsteller: Julianne Moore, Alexander Skarsgård, Onata April, Steve Coogan, Joanna Vanderham
Land, Jahr: USA 2012
Laufzeit: 95 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2013
Auf DVD: 11/2013


José García
Foto: Pandastorm

Mit ihren großen Augen beobachtet die sechsjährige Maisie (Onata Aprile), wie ihre Eltern in der luxuriös eingerichteten New Yorker Wohnung ein ums andere Mal heftig streiten und dabei beinahe handgreiflich werden. Einst waren die Rocksängerin Susanna (Julianne Moore) und der charmante Kunsthändler Beale (Steve Coogan) ein Vorzeige-Ehepaar. Seit aber Susannas Ruhm verblasst ist und die Geschäfte von Beale in New York längst nicht mehr so laufen wie früher, wodurch sich seine Reisen nach Europa häufen, leidet auch die Ehe darunter. Irgendwann einmal ist der Punkt erreicht, dass sich Susanna und Beale scheiden lassen wollen. Nun beginnt der Kampf um das Sorgerecht für Maisie, lieben doch die beiden Streitenden ihr Kind.

Beale zieht aus dem gemeinsamen Loft aus, und nimmt nicht nur Maisie, sondern gleich auch noch ihr Kindermädchen Margo (Joanna Vanderham) in seine neue Wohnung mit. Obwohl Beale Margo bald heiratet, wird es nicht deutlich, ob der Kunsthändler die um einiges Jüngere wirklich liebt oder es einfach als bequeme Lösung ansieht, damit sich die junge Frau insbesondere während seiner weiterhin längeren Abwesenheiten um die kleine Tochter kümmern kann. Dass Maisie sich über das Zusammenleben mit Margo freut, steht außer Frage: In der letzten Zeit ist diese für sie ihre Hauptbezugsperson geworden. Oder benutzt der britische Kunsthändler das Kindermädchen dazu, beim gerichtlichen Streit um das Sorgerecht für Maisie als verheirateter Mann bessere Karten zu haben? Auch Susanna scheint dies zu begreifen und kontert, indem sie kurzerhand Barkeeper Lincoln (Alexander Skarsgaard) heiratet, den sie auf einer Party kennengelernt hatte. „Ich habe ihn nur für dich geheiratet“, erklärt unverhohlen die Mutter ihrer verwirrten Tochter. Maisie wird zu einem Verhandlungsgegenstand, auf den beide Streitenden ihren Anspruch unerbittlich durchsetzen wollen. Das Gericht entscheidet auf gemeinsames Sorgerecht, sodass Maisie immer wieder von der einen Wohnung zur anderen unterwegs ist. Weil aber Susanna gerade jetzt auf Tournee geht und Beale weiterhin mehr Zeit in Europa als in New York verbringt, nehmen Margo und Lincoln immer mehr Raum in Maisies Leben ein. Sie übernehmen auf einmal eine Verantwortung, die sie bislang nicht kannten. Darüber hinaus fühlen sich die beiden Ersatzeltern immer mehr zueinander hingezogen, was die verwickelte Familienkonstellation zusätzlich verkompliziert.

Der Spielfilm „Das Glück der großen Dinge“ basiert auf dem Roman „What Maisie Knew“ (deutscher Titel: „Maisie“) von Henry James aus dem Jahre 1897. Die Drehbuchautoren Nancy Doyne und Carroll Cartwright haben die Geschichte aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert ins heutige New York verlegt. Wenn auch heute im Unterschied zu Henry James Zeit Scheidungen samt ihrer Kollateralschäden zu etwas Alltäglichem geworden sind, bleibt der Kern der Erzählung gültig: Der Streit ums Sorgerecht wird stets auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen, weil die Eltern nicht selten ihrem Narzissmus frönen und Kindeswohl hin, Kindeswohl her – von ihren Eitelkeiten gesteuert werden. So wird Maisie trotz ihrer äußerlichen Gelassenheit zu einem Spielball im Streit ihrer Eltern. Das Regieduo David Siegel und Scott McGehee inszeniert „Das Glück der großen Dinge“ denn auch konsequent aus der Sicht der Sechsjährigen. Dies betrifft nicht nur die Kamera von Giles Nuttgens, die häufig auf Maisies Augenhöhe filmt, sondern auch die Tonspur: Häufig nimmt Maisie den Streit ihrer Eltern als dumpfes Geräusch wahr, während sie selbst verstummt. Außerdem erfährt der Zuschauer die Handlung aus der Sicht des Kindes. Weil Maisies Wahrnehmung fragmentarisch bleibt, arbeiten David Siegel und Scott McGehee mit einem sehr elliptischen Schnitt sowie mit häufigen Schwarzblenden, sodass insbesondere zu Beginn einiges unzusammenhängend erscheint.

Der Gesamteindruck von „Das Glück der großen Dinge“ steht und fällt mit der Figur der Sechsjährigen. Für die Rolle der Maisie haben die Filmemacher in Onata Aprile ein Kind gefunden, das nicht nur mit ganz großen Augen ihre Umwelt beobachtet und dabei häufig ratlos auf das hektische Treiben der Erwachsenen schaut, sondern auch mit ihrer Natürlichkeit einen Ruhepol im Chaos ihrer Eltern darstellt. Julianne Moore verkörpert die überforderte, um die Liebe ihrer Tochter buhlende Mutter mit nuanciertem Spiel, während Steve Coogan den zynischen arbeitsbesessenen Geschäftsmann perfekt mimt. Auch die Rollen des naiven, herzensguten Kindermädchens respektive des orientierungslosen jungen Mannes sind Joanna Vanderham beziehungsweise Alexander Skarsgaard auf den Leib geschrieben.

Trotz der schmerzhaften Erfahrung insbesondere für Maisie verfällt „Das Glück der großen Dinge“ nicht in Rührseligkeit. Über weite Strecken ist der Film nicht nur leichtfüßig inszeniert, sondern besitzt auch durchaus komische Elemente. „Das Glück der großen Dinge“ verdeutlicht die Schwierigkeiten, mit denen sich ein Kind nach der Scheidung seiner Eltern konfrontiert sieht, sowie die Verwirrung, die in ihm das ständige Wechseln der Bezugspersonen verursacht. Die etwas märchenhafte Auflösung plädiert kaum für die Patchworkfamilie, sondern eher für die Rettung der Familie.
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