THE COURT | The International Criminal Court
Filmische Qualität:   
Regie: Marcus Vetter, Michele Gentile
Darsteller: (Mitwirkende): Luis Moreno Ocampo, Benjamin Ferencz, Fatou Bensouda, Adrian Fulford, Joana Frivet, Nicole Samson, Angelina Jolie
Land, Jahr: Deutschland 2013
Laufzeit: 86 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G +
im Kino: 5/2013


José García
Foto: Bukera Pictures

Im Juli 1998 wurde nach fünfwöchigen Verhandlungen, an denen rund 160 Staaten und Nichtregierungsorganisationen teilnahmen, das sogenannte Rom-Statut verabschiedet. Ein Internationaler Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag sollte bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Haftbefehle erlassen und Urteile sprechen können. Im Unterschied zu zeitlich befristeten Tribunalen wie dem Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien oder für Ruanda und Sierra Leone wurde der Weltstrafgerichtshof nicht durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats eingerichtet. Seine Existenz beruht vielmehr auf einem internationalen Vertrag, zu dem (bis März 2013) 122 Staaten beigetreten sind. Allerdings haben wichtige Länder wie die Vereinigten Staaten, Russland oder auch Israel den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. China hat ihn gar nicht unterzeichnet. Die Vereinigten Staaten haben später sogar ihre Unterzeichnung offiziell zurückgezogen. Das Rom-Statut trat am 1. Juli 2002 in Kraft. Am 11. März 2003 wurden die ersten 18 Richter sowie der Erste Chefankläger („Prosecutor“) Luis Moreno Ocampo feierlich vereidigt.

Aus Moreno Ocampos Sicht erzählt konsequent der Dokumentarfilm von Marcus Vetter und Michele Gentile „The International Criminal Court“. Nachdem Luis Moreno Ocampo Vetters Film „Das Herz von Jenin“ (siehe Filmarchiv) gesehen hatte, bot der Chefankläger dem Regisseur an, einen Dokumentarfilm über den Internationalen Gerichtshof zu drehen. Zu diesem Zeitpunkt prüfte der Strafgerichtshof, inwieweit Israel und die Hamas wegen Kriegsverbrechen im Gazakrieg belangt werden könnten. Zwar zogen sich die Vorverhandlungen sehr lange hin, weil Palästina noch nicht als Staat anerkannt war und nur ein dem Statut beigetretener Staat beim Internationalen Gerichtshof Klage einreichen kann, sodass der Israel/Palästina-Konflikt nicht mehr Thema des Dokumentarfilms werden konnte. Marcus Vetter und Michele Gentile drehten jedoch drei Jahre lang von 2009 bis 2012 am Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs.

Als roter Faden, der sich durch „The International Criminal Court“ zieht, dient die Anklage gegen den kongolesischen General Thomas Lubanga Dyilo wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten. Vetters und Gentiles Film begleitet den Fall bis zu Lubangas Verurteilung im März 2012 und zur Verkündung des Strafmaßes (14 Jahre Freiheitsstrafe) im Juli 2012. Da während der Dreharbeiten die Revolution in Libyen ausbrach, die von Gaddafi blutig niedergeschlagen wurde, reiste Luis Moreno Ocampo nach Libyen, wo er sich mit Rebellenführern traf, um die Möglichkeit zu prüfen, einen Haftbefehl gegen Gaddafi und dessen Sohn Saif zu erlassen. Das Filmteam begleitete den Chefankläger nach Libyen genauso wie nach New York, wo Moreno Ocampo im Jahre 2011 vor dem UN-Sicherheitsrat sprach. Auch der Werdegang des Chefanklägers wird angerissen, der in den achtziger Jahren als Assistent von Staatsanwalt Julio Cesar Strassera an den Prozessen gegen die Generäle der Militärjunta beteiligt war. Diese Vielzahl von Handlungssträngen, die zum Teil kaum angedeutet werden, erschwert manchmal den Zugang zum Dokumentarfilm. Dessen Stärke liegt allerdings in der unverstellten und auch schonungslosen Wiedergabe der im Gerichtssaal gezeigten Videoaufnahmen. Die schwer zu ertragenden Bilder der Gewalt an und von Kindern in Kongo oder auch die Straßenschlachten zwischen Rebellen und Regierungstruppen in Libyen, die immer wieder in den Dokumentarfilm hineingeschnitten werden, sprechen für sich, um dem Zuschauer die Arbeit am Internationalen Strafgerichtshof zu verdeutlichen.

Der Film von Marcus Vetter und Michele Gentile veranschaulicht aber auch die Bedeutung, die Luis Moreno Ocampo der PR-Arbeit für eine Institution, die erst vor kurzem ihre Arbeit aufgenommen hat, beimisst. Der schlagfertige Chefankläger wird nicht nur im Gespräch mit Journalisten gezeigt. Darüber hinaus widmet „The International Criminal Court“ einem Besuch von zwei bekannten Persönlichkeiten, die den Weltstrafgerichtshof unterstützen, viel Platz. Zum Prozess gegen Thomas Lubanga Dyilo reisten sowohl Benjamin Ferencz, der inzwischen 93-jährige Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen, als auch der Hollywood-Star Angelina Jolie nach Den Haag. Dass sich Luis Moreno Ocampo trotz Angelina Jolie und Benjamin Ferencz und trotz seiner eigenen Beteuerung („Ich bin nicht die Hauptperson in Eurem Film“) im Zentrum von „The International Criminal Court“ zu behaupten weiß, stellt einen Glücksfall für die Dokumentarfilmer dar.

Der Film verschweigt aber nicht die Probleme, denen der Internationale Strafgerichtshof begegnet. Er zitiert auch hier Luis Moreno Ocampo: „Die größten Länder der Welt liegen außerhalb meiner Zuständigkeit“. Dass Afrika (zu sehr) im Mittelpunkt seiner Arbeit steht, was dem Weltstrafgerichtshof häufig zum Vorwurf gemacht wird, erklärt sich aus dieser Tatsache. An einigen Stellen präsentiert sich „The International Criminal Court“ sogar als spannender Justizthriller, etwa wenn der Vorsitzende Richter Sir Adrian Fulford Ungenauigkeiten in der Beweisführung der Ankläger rügt. Mit einem betont sachlichen Erzählstil und einer zurückhaltenden Kameraführung gelingt es Vetter und Gentile, einen aussagekräftigen Einblick in die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs zu gewähren.
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