LEBEN IST NICHTS FÜR FEIGLINGE, DAS | Das Leben ist nichts für Feiglinge
Filmische Qualität:   
Regie: André Erkau
Darsteller: Wotan Wilke Möhring, Helen Woigh, Christine Schorn, Rosalie Thomass, Frederick Lau
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 4/2013
Auf DVD: 9/2013


José García
Foto: Senator

Mit Stöpseln im Ohr steht die fünfzehnjährige Kim (Helen Woigk) zwischen ihrem Vater Markus Färber (Wotan Wilke Möhring) und ihrer Großmutter Gerlinde (Christine Schorn) bei der Beerdigung ihrer plötzlich gestorbenen Mutter. Die Heavy-Metal-Musik, die sie hört, mag kaum zu diesem Anlass passen. Für Kim ist sie jedoch die einzige Möglichkeit, mit ihrer Trauer umzugehen. Während Markus versucht, mit seiner Arbeit als Eigentümer einer kleinen Catering-Firma zur Normalität überzugehen, kapselt sich Kim immer mehr ein: Die in „Gothic“-Stil gekleidete Fünfzehnjährige zieht sich immer mehr in ihr Zimmer zurück, wo sie in einer Art Tagebuch Nachrichten an ihre tote Mutter schickt. Zur Familie Färber gehört noch Markus’ Mutter Gerlinde, die mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat: Ihr wird Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert. Um ihre Familie damit nicht zu belasten, gibt sie vor, eine Reise zu machen. Statt in den Urlaub zu fahren, beginnt Gerlinde jedoch eine Chemotherapie.

Als Gerlinde eine Pflegerin sucht, meldet sich die angehende Schauspielerin Paula (Rosalie Thomass) bei ihr. Obwohl das erste Treffen nicht frei von Spannungen bleibt, gewinnt Paula bald mit ihrer skurrilen guten Laune und ihrer zupackenden Art das Vertrauen der Kranken. Dass sie bald so gut wie zur Familie gehört, stellt Paula unter Beweis, als sie dem ahnungslosen Markus von der Krankheit seiner Mutter erzählt. So begleitet die junge Frau auch Markus und Gerlinde nach Dänemark auf die Suche nach Kim, die sich in den Schulabbrecher Alex (Frederick Lau) verliebt und mit ihm einfach abgehauen ist, nachdem der Rebell aus gutem Haus nach einer Prügelei von der Polizei gesucht wird.

„Das Leben ist nichts für Feiglinge“ erinnert an den gerade mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Fernsehfilm „Der letzte schöne Tag“ (siehe Filmarchiv), in dem Hauptdarsteller Wotan Wilke Möhring ebenfalls den Tod seiner Frau zu verarbeiten hat. Obwohl beide Spielfilme vom Umgang mit der Trauer nach dem Tod der Ehefrau und Mutter handeln, könnte der Erzählton jedoch nicht unterschiedlicher sein. Der Schwermütigkeit von „Der letzte schöne Tag“ setzt „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ eine Leichtigkeit entgegen, die aber das Thema keineswegs banalisiert. Zu dieser Schwerelosigkeit trägt vor allem das von Gernot Gricksch auf der Grundlage seines gleichnamigen Romans verfasste, vor witzigen Dialogen sprühendes Drehbuch bei, aber auch die sensible Kameraführung von Ngo The Chau. Denn sie kontrastiert die kalten bläulichen Farben der Trauer mit hellen und warmen, Lebensfreude suggerierenden Farbtönen. Regisseur André Erkau umschifft dadurch die Gefahr, in Sentimentalitäten abzudriften. Die immer wieder eingestreuten witzigen Momente bis hin zu einem gewissen Slapstick halten sich die Waage mit den ernsten, nachdenklichen Augenblicken, so dass „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ die ganze Klaviatur menschlicher Gefühle dekliniert. Die witzigen Szenen, in denen die wunderbare Freundschaft zwischen Gerlinde und Paula zum Ausdruck kommt, kontrastiert das Drehbuch mit den dramatischen Momenten der Annäherung zwischen Vater Markus und Tochter Kim, die zur gemeinsamen Trauerarbeit hinführen. Obwohl die Heavy-Metal-Musik manchmal etwas aufdringlich wirkt, drückt sie Kims inneren Zustand aus, ähnlich wie die eigentliche Filmmusik von Steffen Kahles und Christoph Blaser, mit der sie sich abwechselt, die Gemütsverfassung der anderen Figuren ausdrückt.

Die Figuren stehen im Mittelpunkt von „Das Leben ist nichts für Feiglinge“. Deshalb kommt den Darstellern eine zentrale Bedeutung zu. Wotan Wilke Möhring gestaltet Markus mit der Energie, die er für die Rückkehr in den Alltag und in die Arbeit braucht, die aber immer wieder von den trauernden, von den nachdenklichen Augenblicken unterbrochen wird. Eine Kraft, die Markus aber auch braucht, um seine Tochter zurückzugewinnen, um die Rest-Familie zusammenzuhalten. Christine Schorn verkörpert Gerlinde mit einem trotzigen Zynismus und einem knochentrockenen Humor, hinter denen sie ihre Verletzlichkeit versteckt. Das Drehbuch schöpft aus dem Zusammenstoß mit Paulas überschäumender Lebensfreude das größte komische Potential. Die junge Schauspielerin Rosalie Thomass spielt diese Paula mit größter Unbekümmertheit und Natürlichkeit. Vielschichtiger legt ihre Figur die noch jüngere Helen Woigk an, die in „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm spielt. Äußerlich gibt sich durch ihr Erscheinungsbild als Rebellin aus, was die nach dem Tod der Mutter eingetretene Leere kaschieren soll. Ihre widersprüchlichen Gefühle werden noch komplizierter, nachdem sie sich in Alex verliebt hat. Dass sie aber auch irgendwann einmal erkennt, dass nur mit Hilfe ihrer Familie einen Neuanfang wagen kann, fügt Kim eine weitere Seite hinzu. Helen Woigk gestaltet diese Gefühle glaubwürdig und mit offensichtlichem Spaß am Schauspielern. Dank der hervorragenden Schauspieler stellt sich André Erkaus „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ als ein Film heraus, der dem bekannten Sujet der Trauerarbeit neue Betrachtungsweisen abgewinnt.
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