WOCHENENDE, DAS | Das Wochenende
Filmische Qualität:   
Regie: Nina Grosse
Darsteller: Sebastian Koch, Katja Riemann, Barbara Auer, Tobias Moretti, Sylvester Groth, Robert Gwisdek, Elisa Schlott
Land, Jahr: Deutschland 2013
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 4/2013
Auf DVD: 10/2013


José García
Foto: universum

Nach achtzehn Jahre Gefängnis wird Jens (Sebastian Koch) von seiner Schwester Tina (Barbara Auer) am Gefängnistor abgeholt. Sie hat alte Freunde zu einem Wochenende in ein Landhaus in Brandenburg eingeladen. Dazu gehören Jens ehemaliger Freund Henner (Sylvester Groth), der inzwischen ein Buch über die RAF veröffentlicht hat, vor allem aber seine Jugendliebe Inga (Katja Riemann), mit der Jens einen Sohn hat, den er jedoch stets verleugnet hat. Inga ist mittlerweile in der Medienwelt tätig und führt zusammen mit ihrem Mann Ulrich (Tobias Moretti) ein ganz anderes Leben als damals. Mit gemischten Gefühlen und mit dem festen Vorsatz, nicht über Nacht zu bleiben, fährt also Inge mit Ulrich ins Wochenendhaus.

Basierend auf Bernhard Schlinks gleichnamigem Buch erzählt „Das Wochenende“ ein Stück aus der trotz nicht gerade spärlicher Literatur, Dokudramen und Spielfilme keineswegs aufgearbeiteten RAF-Zeit. Was ist aus den damaligen Weggefährten geworden? Jens scheint jedenfalls weiterhin von seinen einstigen Vorstellungen überzeugt zu sein und heute wie damals den Kapitalismus als den größten Feind anzusehen. Das Private vermischt sich mit dem Politischen, insbesondere als Jens Sohn Gregor (Robert Gwisdek) überraschend auftaucht. Für Jens stellt sich außerdem die Frage, wer ihn damals verraten hat. Im Zusammenwirken mit dem Produktionsdesign von Knut Loewe schaffen die hervorragenden Bilder von Kameramann Benedict Neuenfels eine ganz besondere Atmosphäre in dem Haus, in dem die Protagonisten dieses beinah kammerspielartig wirkenden Filmes die meiste Zeit an dem titelgebenden Wochenende verbringen, und das die Empfindungen der Protagonisten gleichsam widerspiegelt. Im Mittelpunkt des bestens besetzten Filmes steht nicht nur die persönliche Entwicklung der Protagonisten und die Fortdauer von vergangenen Verletzungen in der Gegenwart, sondern auch die Frage nach Schuld, nach Verrat und Freundschaft.


Interview mit Regisseurin Nina Grosse und Darstellerin Barbara Auer

Die Menschen, die „Das Wochenende“ zusammenführt, hatten vor langer Zeit vieles gemeinsam. Nun haben sie sich in den letzten 18 Jahren teilweise ganz anders entwickelt. Kann diese Zusammenkunft als Versuchsanordnung angesehen werden?

Nina Grosse: Bernhard Schlinks gleichnamiges Buch, auf dem mein Film basiert, zeigt in der Tat eine Versuchsanordnung, weil es verschiedene Menschen mit verschiedenen Biografien uns so mit verschiedenen Ansichten zum Leben und zur Politik darstellt. Diese unterschiedlichen Lebensentwürfe zusammenzuführen, finde ich sehr spannend. Denn nach der Entlassung von Jens, dem Ex RAFler stellt sich die Frage: Wie sind wir aufgebrochen und wie sind wir angekommen?


Jens hat sich in den ganzen Jahren kaum verändert...

Nina Grosse: Sebastian Koch und ich haben über Langzeitgefangene recherchiert. In einer bestimmten Art und Weise sind sie in einem Zustand eingefroren. Auch wenn man Besuche empfängt, wenn man Zeitung liest und fernsieht, erstarrt man. Er ist wie ein Bernstein... Die Risse kommen, als er seine alte Liebe wiedersieht und feststellt, dass die Emotion nach wie vor da ist. Bei der Begegnung mit seinem Sohn realisiert Jens, dass er eine persönliche Schuld hat, weil er dieses Kind verleugnet hat. Diese zwei Risse könnten ihn ändern. Auch wenn es sich nur um ein Wochenende handelt, ahnt man, dass sich seine Richtung ändern könnte.


Henner hat sich in dieser Zeit sehr gewandelt. Besonders interessant sind aber die Frauenfiguren, Inga und Tina. Die Begegnung zwischen Inga und Jens birgt von Anfang an viel Sprengstoff auf persönlicher Ebene.

Nina Grosse: Bei Schlink hatte sich Inga umgebracht. Ich habe sie wieder zum Leben erweckt, weil ich fand, dass sie fast die spannendste Figur in dem Ensemble ist. Denn sie stellt beide Pole dar, der bürgerlichen Gesellschaft zu entsagen oder aber eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Sie stand kurz davor, mit Jens in den Untergrund zu gehen, entschied sich später aber dagegen. Deswegen hat für sie die Begegnung mit Jens nach so vielen Jahren die größte Sprengkraft. Sie ist inzwischen eine Frau mit Mann, mit Kind, mit einem mondänen Medienberuf... und plötzlich trifft sie auf Jens, der sich nicht geändert hat, der immer noch mit demselben Anspruch, derselben Verbissenheit sagt: „Wir müssen für eine bessere Welt kämpfen!“


Frau Auer: Warum lädt die von Ihnen verkörperte Tina gerade Inga ein, wenn sie davon ausgehen kann, dass in dieser Beziehung sehr viel Zündstoff steckt?

Barbara Auer: Sie lädt zu diesem Wochenende ein, aus einer panischen Angst vor dem Wiedersehen mit ihrem Bruder. Dafür kommen Menschen in Frage, die zu Jens einen engen Bezug haben. Es sind nicht viele übrig geblieben, etwa Henner als Weggefährte. Und da ist auch Inga als seine große Liebe. Tina braucht Menschen, die ihren Bruder kennen, die ihr beistehen können. Darauf hofft sie. Darüber hinaus hat sie immer einen engen Kontakt zu Inga gehabt. Sie hat als Tante den Kontakt weitergepflegt zu Ingas und Jens Sohn, nachdem Jens diesen Kontrakt abgebrochen hat.


Was für eine Frau ist Tina? Wie hat sie die 18 Jahre Haft ihres Bruders verbracht?

Barbara Auer: Sie hat keine Familie, was sie manchmal schmerzlich vermisst. Dies schiebt sie auch dem Umstand zu, dass sie sich Zeit ihres Lebens für den Bruder verantwortlich fühlte, der achtzehn Jahre im Gefängnis sitzt. Sie grollt ihm oft, denn ohne diesen Bruder wäre ihr Leben anders verlaufen. Sie hat Jens jeden Monat im Gefängnis besucht und sich allein um die Eltern gekümmert, bis sie starben... Und immer hatte sie das Gefühl, dass sie alles zusammenhalten muss. Es gibt also Vieles, was sie ihm vorwirft, weil sie glaubt, seinetwegen nicht das Leben leben zu können, das sie hätte leben wollen.


Und Tinas politische Einstellung?

Barbara Auer: Als Jens anfing, sich zu politisieren, hat sie auch mit diesen Kreisen zu tun gehabt. Allerdings hat sie diese Kontakte abgebrochen, als es um Gewalt ging. Sie würde sich wahrscheinlich als links und sozialengagiert bezeichnen, sie arbeitet als Lehrerin für schwererziehbare Kinder. Aber sie glaubte zu keinem Zeitpunkt, dass man mit Gewalt etwas verändern kann. Sie hat gesehen, dass die RAF ihre Politik ohne das Volk machte. Außerdem hat sie gesehen, dass sich ihr Bruder verändert hat, wie egoman er wurde – wahrscheinlich ergeht es so jedem, der im Untergrund lebt, weil es um das eigene Überleben geht.


Sowohl die Regisseurin als auch die meisten Darsteller von „Das Wochenende“ sind Mittfünfziger. Wie prägend war für Sie der Deutsche Herbst 1977?

Nina Grosse: Die RAF fiel in die Zeit meiner Pubertät, und die Pubertät ist nun einmal ein aufgewühlter Zustand, so dass Ereignisse das Wahrnehmen sehr prägen. Der Eindruck, dass eine Gruppe von Leuten einen ganzen Staatsapparat in Aufruhr versetzen konnte, hat mich sehr beeindruckt und führte dazu, dass mich die RAF mein Leben lang interessiert und begleitet hat. Als sie sich umgebracht haben, war ich etwas älter, da war der pubertäre Überschwang vorbei und ich habe erkannt, dass diese Geschichte ein komplett tragischer Irrläufer war. Aber das Phänomen RAF bleibt ja bis heute präsent, bis hin zu Michael Buback, der immer noch Prozesse um die Ermordung seines Vaters Siegfried Buback 1977 führt. Die alten RAF- Zotteln müssen wieder vor Gericht und reden immer noch nicht. In unserer Geschichte stellt der RAFler Jens einen Lebensentwurf dar, einen neben anderen.

Barbara Auer: Für mich war der deutsche Herbst eine prägende Zeit, weil er in meine Jugendzeit fiel, in eine Zeit des Aufbruchs. Ich bin in Konstanz am Bodensee aufgewachsen. Damals war die Grenze zur Schweiz schwer bewacht. Überall hingen Fahndungsplakate, das Thema RAF war allgegenwärtig. Darüber hinaus gehört die RAF zu den wichtigsten Phänomenen der Nachkriegszeit. Sie stellte einen Einschnitt dar, auch in der Form, wie der Staat darauf reagierte. Diese Zeit war also während der Vorbereitung auf „Das Wochenende“ durchaus wieder präsent. Berührt hat mich auch das Buch „Patentöchter“ von Julia Albrecht und Corinna Ponto. Julias Schwester Susanne Albrecht hatte 1977 Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar zu Jürgen Ponto geführt, die ihn erschossen. Diese Tat hat das Leben beider Familien total verändert und bestimmt. Susanne Albrecht tauchte dann in der DDR unter und Jahre später wieder auf, als die Mauer fiel. Die Familie Ponto wanderte erst mal nach Amerika aus, weil die das Leben hier nicht mehr ertrug. Nun haben sich Julia Albrecht und Corinna Ponto angenähert, und zusammen dieses Buch geschrieben.


Ist Jens eine fiktive Figur, oder ist er an ein bestimmtes RAF-Mitglied angelehnt?

Barbara Auer: Vom Alter her würde man eher an die dritte Generation, an Wolfgang Grams denken, der 1993 bei einem GSG-Einsatz in Bad Kleinen ums Leben kam. So wie er ist, denke ich aber an die zweite RAF-Generation, an Christian Klar.

Nina Grosse: Das Buch von Schlink kam heraus, kurz nachdem Christian Klar freigelassen wurde. Meiner Meinung nach bezieht sich die Figur des Jens auf Christian Klar.


„Das Wochenende“ ist ein Kinofilm, der mit der großartigen Kamera von Benedict Neuenfels wunderbare Bilder liefert. Hätte diese Geschichte aber auch als Fernsehfilm erzählt werden können?

Nina Grosse: Ich kenne die Limitierung des Fernsehens auf eine bestimmte Minutenzahl, die Beschränkung auf eine bestimmte Dramaturgie. Wenn man in Deutschland dieses Thema fürs Fernsehen aufgearbeitet hätte, wäre ein ganz anderer Film geworden: Ich hätte eine Täter-Opfer-Abwägung machen müssen, ich hätte berücksichtigen und erzählen müssen, dass es die Opfer der RAF gab... Eine private Abhandlung über die RAF hätte das deutsche Fernsehen nicht gewollt. Da bin ich mir ziemlich sicher. Für „Das Wochenende“ wurde mir jede Freiheit gelassen, was ich nach vielen Fernsehjahren sehr genossen habe. Die Arbeit mit den Schauspielern, mit der Dramaturgie, mit der Bildsprache... Ich habe festgestellt, wie viel mehr man machen kann, wenn man mehr Freiraum bekommt.
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