GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN, DER | De rouille et d os
Filmische Qualität:   
Regie: Jacques Audiard
Darsteller: Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Armand Verdure, Celine Sallette, Corinne Masiero, Bouli Lanners, Jean-Michel Correia
Land, Jahr: Frankreich 2012
Laufzeit: 127 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: G +, X +
im Kino: 1/2013
Auf DVD: 7/2013


José García
Foto: Wild Bunch

Ali (Matthias Schoenaerts) reist mit seinem fünfjährigen Sohn Sam (Armand Verdure), den er allerdings kaum kennt, nach Südfrankreich. Der Zuschauer erlebt Vater und Sohn zunächst am Strand, wo Ali den Eindruck eines Landstreichers weckt. Wasser spielt in Jacques Audiards Spielfilm „Der Geschmack von Rost und Knochen“ eine zentrale Rolle. Denn nachdem Ali bei seiner Schwester Anna (Corinne Masiero) im südostfranzösischen Antibes in der Garage Unterschlupf und einen Job als Türsteher in einer Diskothek gefunden hat, trifft er dort auf Stéphanie (Marion Cotillard), die im Marineland Killerwalle trainiert. Das Wasser, aus dem die junge Frau während der Shows mit einer einzigen Handbewegung riesige Orkas springen lässt, ist Stéphanies Arbeits- und Lebensraum. Diese erste Begegnung zwischen Ali und Stéphanie bleibt allerdings flüchtig – er rettet sie vor dem Angriff eines Mannes und bringt sie nach Hause. Obwohl er ihr seine Telefonnummer hinterlässt, meldet sie sich zunächst nicht. Zu ungehobelt kommt ihm offenbar der Muskelprotz, der sich brutal durchsetzt und etwa auch Geschlechtsakte als banale, rein physiologische Handlungen ansieht.

Erst nach einem furchtbaren Unfall, bei dem Stéphanie ihre beiden Unterschenkel verloren und Wochen und Monate voller Selbstmitleid im Rollstuhl verbracht hat, ruft sie Ali an. Seine Ungerührtheit scheint ihr der beste Ausweg aus dem hilflosen Mitleid ihrer Umgebung zu sein. Der ehemalige Türsteher, der zeitweilig in einem Supermarkt Überwachungskameras zum Ausspionieren des Personals installierte, hat einen neuen „Job“ gefunden: Er lässt sich vom zwielichtigen Martial (Bouli Lanners) in die Szene illegaler Straßenkämpfe einführen, bei denen er sich für gutes Geld mit anderen Männern prügelt. Als Martial wegen der Mitarbeiterspionage von der Polizei gesucht wird und deshalb das Land verlässt, springt Stéphanie als „Managerin“ bei den Faustkämpfen ein. Zwischen dem emotional verschlossenen Ali und der körperlich trotz Prothesen eingeschränkten Stéphanie entwickelt sich eine Schicksalsgemeinschaft, ehe auch Ali über Nacht spurlos verschwinden muss.

Das nach Craig Davidsons Kurzgeschichte „Rust And Bone“ von Jacques Audiard und Thomas Bidegain verfasste Drehbuch lässt insbesondere zwei Menschen aufeinander treffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite die zerbrechliche, unterkühlt-rätselhaft erscheinende Stéphanie, auf der anderen der auf Körperlichkeit setzende, in seiner Offenheit fast einfältig wirkende und zu keiner Bindung fähige Ali. Bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die Szenen, in denen er seinen kleinen Sohn immer wieder vergisst oder einfach bei seiner Schwester abgibt. Langsam nähern sich die beiden an, und damit entwickelt sich ihr Charakter: Tritt Stéphanie aus ihrer Isolation heraus, so empfindet Ali nach und nach erstmals für eine Frau etwas mehr als körperliche Anziehung. Dass diese Entwicklung glaubwürdig wirkt, verdankt „Der Geschmack von Rost und Knochen“ neben der Schauspielerführung von Jacques Audiard insbesondere der Darstellung durch Marion Cotillard und Matthias Schoenaerts. Der französischen Schauspielerin gelingt es, nicht nur die Behinderung, sondern auch die komplexen Gefühle ihrer Figur völlig authentisch darzustellen. Eine besondere Anerkennung gebührt im Übrigen auch den Spezial Effekten-Machern, denen die computerunterstützte „Amputation“ so hervorragend glückt, dass dem Zuschauer in keinem Augenblick dieser Trick auffällt. Aber auch dem belgischen Schauspieler Matthias Schoenaerts gelingt eine hervorragende Darstellung einer Entwicklung, die der Zuschauer kaum für möglich gehalten hätte.

Das Wechselbad der Gefühle setzt Kameramann Stéphane Fontaine in kontrastreiche Bilder um: Obwohl helle Farben der bezaubernden Côte d Azur- Landschaft dominieren, deren Heiterkeit mit dem tragischen Schicksal Stéphanies und mit Alis tristem Alltag gar nicht zusammenpassen will, werden sie immer wieder mit in kaltes Neonlicht getauchten Einstellungen kontrastiert. Allerdings stehen diese kontrastreichen Bilder häufig im Dienst einer teilweise kruden Gewaltdarstellung. Darüber hinaus stören die wiederholten Sexszenen und der teilweise sprunghafte Schnitt den Rhythmus des Filmes. Trotz dieser Schwächen und eines gegen Ende arg konstruierten Drehbuchs, das sich zwischen Melodram und Liebesgeschichte nicht ganz entscheiden kann, überzeugt „Der Geschmack von Rost und Knochen“ letztlich in der Darstellung menschlicher Zerbrechlichkeit. Bei allem Leid, das Stéphanie und Ali im Laufe der Handlung erfahren, aber auch bei den vielen Fehlern, die sie machen, schaffen sie es jedoch, daraus zu lernen und sich zu entwickeln. Die Kraft dazu beziehen sie aus dem Kampf vor allem gegen die eigenen negativen Seiten, insbesondere aber aus der Liebe zueinander.
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