OH BOY | Oh Boy
Filmische Qualität:   
Regie: Jan Ole Gerster
Darsteller: Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek, Katharina Schüttler, Arnd Klawitter, Martin Brambach, Andreas Schröders
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 88 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 10/2012
Auf DVD: 5/2013


José García
Foto: X Verleih

„Oh Boy“ handelt vom Niko (Tom Schilling), der vor kurzem sein Jura-Studium aufgegeben hat. Nun ist er Ende Zwanzig, und weiß nicht recht, welche Richtung sein Leben nehmen soll. Er schlendert gerne durch das nächtliche Berlin, immer neugierig auf die Begegnung mit Menschen. Diese verlaufen freilich nicht immer angenehm: So macht seine Freundin mit ihm Schluss, sein Vater (Ulrich Noethen) dreht ihm den Geldhahn zu, und ein Psychologe attestiert ihm „emotionale Unausgeglichenheit“. Die ehemalige Klassenkameradin Julika (Friederike Kempter) frischt unangenehme Erinnerungen auf. Und außerdem scheint es in der ganzen Stadt keinen „normalen“ Kaffee mehr zu geben. Soll er einfach weitermachen oder doch sein Leben ändern?

In distanzierenden schwarz-weißen Bildern portraitiert Drehbuchautor und Regisseur Jan Ole Gerster in seinem Spielfilmdebüt nicht nur einen jungen Mann, sondern das ganze Lebensgefühl einer Generation, der vor allem eins fehlt: Orientierung, einfach ein Ziel in ihrem Leben.


Interview mit Jan Ole Gerster

Ein Schwarzweiß-Film, der eine Stadt so sehr in den Mittelpunkt stellt, dass sie gleichsam zu einer Figur wird, und außerdem mit beschwingter Musik beginnt, erinnert unweigerlich an Woody Allens „Manhattan“. Stimmt dieser Eindruck?

Das kann ich nicht beurteilen. Es war jedenfalls nicht meine Absicht, „Manhattan“ zu zitieren. Mich stört der Vergleich allerdings nicht, weil ich ein Riesenfan von diesem Film bin. Dass „Oh Boy“ in Schwarzweiß gedreht werden sollte, war mir freilich von Anfang an klar. Ich hatte mich auf viel Widerstand seitens der Sender, der Verleiher und Produzenten eingestellt, aber alle mochten das gleich. Es wurde nie wirklich in Frage gestellt. Offensichtlich gibt es noch mehr Schwarzweiß-Fans auf der Welt als man so meint. Schwarzweiß hilft übrigens auch, die Stadt neu zu entdecken, weil man einen anderen Blick hat. Was die Filmmusik angeht: Ich habe mich einfach gefragt, mit welcher Musik ich diese Stadt verbinde. Nachdem ich mit verschiedenen Musikrichtungen im Jazz-Bereich experimentiert hatte, habe ich vier jungen UDK (Universität der Künste)-Studenten getroffen. Sie haben sich den Film angeschaut, und eine Woche später bereits die ersten Entwürfe geliefert. Obwohl Berlin oft mit elektronischer Musik in Verbindung gebracht wird, ist dies nicht mein Blick. Offenbar habe ich einen nostalgischen Blick – diese Musik spiegelt dieses quirlige „Laziness“ der Stadt besonders gut wider.


„Oh Boy“ ist ein wenig handlungsorientierter Film. Er beschreibt vielmehr das Lebensgefühl einer Generation. Hat der Film autobiografische Züge?

Er hat stark autobiografische Züge nicht zuletzt, weil es mir ein Anliegen war, einen persönlichen Film zu drehen. In meinen Studienjahren an der Filmhochschule habe ich häufig den Satz gehört: „Den ersten Film muss man so machen, wie man ihn machen will. Da ist man noch frei. Deshalb sollte man den Film machen, den man gerne im Kino sehen möchte“. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Bei sich selbst einzusetzen, das kann Schwierigkeiten mit sich bringen, aber ich wollte schon einen persönlichen, nicht zwangsläufig aber einen privaten Film machen. Die Episoden, Momente und Begegnungen, die im Film vorkommen, sind die Umsetzung von alltäglichen Momenten, die ich im Laufe der Zeit gesammelt habe. Ich hatte schon immer Interesse daran, eine passive Figur zu erzählen, die sich aus dem Geschehen herausnimmt, und sie über die Begegnung mit anderen zu portraitieren. Der Film ist eigentlich ein Porträt dieser Figur.


Nikos Vater vertritt eine ganz andere Generation als die von Niko. Obwohl es sich lediglich um eine Episode im Film handelt: War diese Gegenüberstellung, ja der Generationenkonflikt beabsichtigt?

Zum einen hatte ich große Freude darin, die Figuren zu überzeichnen, nicht zuletzt weil es sich um kleine, kompakte Auftritte handelt. Ein Golf spielender Vater steht per se für irgendetwas und auch für viele Leute. Ich glaube, es ist die Szene, die am meisten die spezifische Generation deutlich oder ausfindig machen kann. Ich glaube, in der Generation meiner Eltern gab es Begriffe wie Selbstverwirklichung, Freiheit und Selbstfindung noch nicht wie vielleicht heute. In meiner Generation gibt es viele Menschen, die die Möglichkeit haben, über einen längeren Zeitraum suchen zu können. Die sich aber nicht selten in einer solchen Suche verrennen oder auch verirren, weil auch der Lebenspragmatismus abhanden gekommen ist. Natürlich geht es nicht allen so, aber es ist ein Phänomen, das mir aufgefallen ist: Man kann sich die Freiheit und die Zeit nehmen, zu schauen, was es für Möglichkeiten gibt, und schnell sind die Jahre ins Land gezogen und man ist keinen Schritt weiter.


Soll dann das offene Ende dazu führen, über die eigene Situation nachzudenken?

Interessant ist dabei die letzte große Begegnung mit dem älteren Mann in einer Bar. Auch wenn es sich um zwei unterschiedliche Biografien handelt, verstehen die beiden die Welt oder die Menschen nicht mehr. Für Niko ist es irgendwie eine Begegnung mit sich selbst. Ich interpretiere das Ende so, dass Niko etwas verstanden hat und die Suche ein Stück weit beendet ist – allerdings ohne einen plakativen Läuterungsprozess.
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