WAS BLEIBT | Was bleibt
Filmische Qualität:   
Regie: Hans-Christian Schmid
Darsteller: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Ernst Stötzner, Sebastian Zimmler, Picco von Groote, Egon Merten, Birge Schade, Eva Meckbach
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 85 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2012
Auf DVD: 3/2013


José García
Foto: Pandora

Ein Wochenende im Kreis der Familie bringt das seit Jahrzehnten eher instabile Gleichgewicht zum Schwanken. Auf Wunsch seiner Mutter Gitte (Corinna Harfouch) fährt der schon länger in Berlin lebende Marko (Lars Eidinger) mit seinem kleinen Sohn Zowie (Egon Merten) nach Siegburg, wo unweit des Elternhauses von Gitte und Günter (Ernst Stötzner) Markos jüngerer Bruder Jakob (Sebastian Zimmler) vor kurzem eine Zahnarztpraxis eröffnet hat. Mit wenigen Pinselstrichen wird der Unterschied zwischen den beiden Brüdern sichtbar: Marko blieb nach dem Studium in Berlin, weit weg vom Elternhaus. Der jüngere Bruder lebt hingegen noch immer in der Nähe und bleibt von den Eltern abhängig.

Die schöne Oberfläche bekommt von Anfang an Risse: Marko lebt seit Monaten von der Mutter seines Sohnes Zowie getrennt. Obwohl er sein erstes Buch veröffentlicht hat, weiß der ältere Sohn allerdings nicht so recht, ob er weiterhin als Schriftsteller tätig sein kann und möchte. Jakob müsste eigentlich seine Praxis aufgeben, die so gut wie pleite ist. Seine Beziehung zu Ella (Picco von Groote), die in einer anderen Stadt noch studiert, scheint darüber hinaus alles andere als gefestigt zu sein. In „Was bleibt“, der am Wettbewerb der diesjährigen Berlinale teilnahm, zeichnen Drehbuchautor Bernd Lange und Regisseur Hans-Christian Schmid die Generation der heutigen 30- bis 40-Jährigen als Unentschlossene, an der eigenen Lebensperspektive ewig Zweifelnde. Darin unterscheiden sie sich diametral von ihrem dominanten Vater, der es als erfolgreicher Verleger zu einigem Wohlstand gebracht hat. Das großzügig angelegte und ausgesucht eingerichtete Haus mit dem gepflegten Garten zeugen davon. Vorangetrieben wird die Handlung von einer überraschenden Mitteilung der Mutter: Gitte, die seit drei Jahrzehnten an bipolarer Depression leidet, hat die Medikamente seit zwei Monaten abgesetzt. Sie will ein normales Leben führen und am Leben der Familie teilnehmen, ohne dass sie wegen falscher Rücksichten ausgeschlossen wird.

Bei der überaus sorgfältigen Inszenierung vom Produktionsdesign (Christian Goldbeck) über die einschließlich einer nüchternen Farbgebung vorzügliche Kameraführung Bogumil Godfrejóws bis zum Schnitt von Hansjörg Weißbrich sowie dem Bemühen um Authentizität in den Dialogen wirkt der Umgang mit Gittes Krankheit – die der Film nicht einmal mit ihrem heute üblichen Namen nennt – völlig unrealistisch. Dazu Regisseur Schmid: „Wir haben überlegt, ob wir Gittes Krankheit überhaupt benennen sollen, das erschien uns dann aber zu beliebig. Doch der Film soll nicht den Leidensweg einer Manisch-Depressiven zeigen. Es soll ein Bild dafür sein, dass Frauen in diesen Beziehungen oft den Kürzeren ziehen und ein unerfülltes Leben haben, spätestens wenn die Kinder aus dem Haus sind.“ Bei einer jahrzehntelangen „Bipolaren Störung“, die außerdem mehrere Krankenhausaufenthalte erforderlich gemacht hat, kann ein monatelanges Absetzen der Medikation jedoch nicht verborgen bleiben. Insofern wird Gittes Krankheit lediglich als das vom Drehbuch benötigte, den entscheidenden Konflikt auslösende Moment angesehen. Trotz dieser Drehbuch-Schwäche verkörpert Corinna Harfouch ihre Gitte mit dem bei ihr gewohnten Nuancenreichtum.

Über den dramaturgisch verdichteten Konflikt in dieser einen Familie hinaus zeichnet „Was bleibt“ ein ausgefeiltes Bild zweier Generationen. Dass die Kinder ihre Eltern mit Vornamen anreden, deutet auf die vor etwa drei Jahrzehnten in Mode gekommene „antiautoritäre Erziehung“ hin. Diese hält allerdings Günter weder davon ab, sich als Patriarch zu gebärden, noch seine eigene Lebensverwirklichung über das Wohl der Familie zu stellen: Gerade hat er seinen Verlag verkauft und möchte sich nun einer schriftstellerischen Tätigkeit und ausgedehnten Reisen mit seiner Geliebten widmen. Bei der Generation der Kinder überwiegt neben der beruflichen Unentschlossenheit das Problem, die finanzielle Abhängigkeit von den Eltern zu überwinden, was auch zu Schwierigkeiten bei der eigenen Familiengründung führt. Drehbuchautor Lange und Regisseur Schmid verdeutlichen, dass die Generation der „Bonner Republik“ einfacher als heute eine gesicherte Existenz, ja sogar einen gewissen Wohlstand schaffen konnte.

Die Unterschiede zwischen den Generationen greifen jedoch tiefer. Zum Lebensgefühl der jüngeren Generation führte Hans-Christian Schmid in einem Radio-Interview anlässlich der Berlinale aus: „Wir bauen gar nicht auf die Zukunft. Ich habe das Gefühl, viele von uns leben von Tag zu Tag. Nichts hinterlässt wirklich Spuren. Es könnte endlos so weitergehen, wenn nicht der Punkt käme, an dem man anfängt, sich Gedanken zu machen. Dies passiert mit Marko: Sein Leben in Berlin wird nach diesem Wochenende anders sein als vorher.“ Hatten Drehbuchautor Bernd Lange und Regisseur Hans-Christian Schmid zuletzt im mehrfach ausgezeichneten „Sturm“ (siehe Filmarchiv) anhand eines vor dem Haager „Kriegsverbrechertribunal“ verhandelten fiktiven Falles persönliche Schicksale mit brisanten Fragen der internationalen Politik verknüpft, so verbinden sie in „Was bleibt“ das Schicksal einer Familie mit gesellschaftspolitischen relevanten Fragen.
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