CHICO & RITA | Chico & Rita
Filmische Qualität:   
Regie: Fernando Trueba, Javier Mariscal, Tono Errando
Darsteller: (dt. Stimmen) Nadine Leopold, Alexander Doering, Martin Kautz; Musiker: Bebo Valdés, Idania Valdés
Land, Jahr: Spanien/ Großbritannien 2010
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 8/2012


José García
Foto: Kool

Ein alter Schuhputzer geht durch die grauen Straßen im heutigen Havanna nach Hause. Dass der Film in der Gegenwart angesiedelt ist, wird durch die Rap-Musik unterstrichen, die eine Gruppe Jugendlicher hört. Ein Radioprogramm („Klänge von gestern“) weckt in ihm Erinnerungen an das Jahr 1948, so dass Fernando Truebas „Chico & Rita“ fast gänzlich aus einer Rückblende besteht, die lediglich hin und wieder durch kurze Bilder der Rahmenhandlung unterbrochen wird. Erst der Epilog spielt sich wieder in der Gegenwart ab.

Im Gefolge der Kuba-Begeisterung, die Wim Wenders „Buena Vista Social Club“ 1999 entfachte, entstanden etliche Filme über die karibische Insel, die insbesondere die Musik in den Mittelpunkt stellten, so etwa auch die auf dem Filmfestival Havanna 2003 mit Preisen überhäufte 80-minütige, von der Musik rhythmisierte Dokumentation „Suite Havanna“ (siehe Filmarchiv) von Fernando Pérez, der einen Tag in Havanna porträtiert. Der spanische Regisseur Fernando Trueba geht einen anderen Weg, obwohl in seinem nun anlaufenden Film „Chico & Rita“ die Musik ebenfalls eine herausragende Rolle spielt. Denn „Chico & Rita“ erzählt eine an die Melodrame des klassischen Hollywoods angelehnte Liebesgeschichte. Diese Story inszeniert der Regisseur jedoch nicht als Realverfilmung, sondern als eine Mischung aus klassischer Zeichentrick- und Animationstechnik.

Im Jahre 1948 war der alte Schuhputzer ein junger, vielversprechender Pianist. Als Chico der Sängerin Rita zum ersten Mal begegnet, ist er nicht nur von ihrer Stimme begeistert. Beide feiern zusammen musikalische Erfolge und werden außerdem schnell ein Liebespaar, obwohl schon die erste Nacht mit einer wilden Eifersuchtsszene endet. Ihre Wege trennen sich, als Rita um der Karriere willen mit einem US-Amerikaner nach New York geht. Chico verkauft sein Klavier und folgt ihr mit seinem Freund Ramon, um New Yorks Jazzszene frischen Wind einzuflößen und wohl auch in der Hoffnung, dabei die Liebe seines Lebens zurückzugewinnen. Als Chico Opfer einer Intrige wird, muss er nach Kuba zurück, wo sein Jazz nach der kubanischen Revolution als Musik der Imperialisten gebrandmarkt wird.

Das eigentliche Liebesdrama nimmt sich eher abgegriffen aus. Die politische Geschichte Kubas streift „Chico & Rita“ ebenfalls nur am Rande, außer durch die in Ungnade gefallene Musik Chicos etwa im Kontrast zwischen den farbenfrohen Bildern mit der Wohlstand signalisierenden Werbung des vorrevolutionären Havanna und der Einfarbigkeit in den verfallenen Straßen und Häusern der heutigen kubanischen Metropole. Das Interesse der Filmemacher gilt freilich der Musik und insbesondere der Verschmelzung der kubanischen mit der US-amerikanischen Jazzmusik der 1940er Jahre, die in „Chico & Rita“ ihren Höhepunkt in einem Konzert findet. Neben den Klängen von Charlie Parker, Nat King Cole und Dizzy Gillespie spielt die Musik des inzwischen fast 94-jährigen kubanischen Pianisten und Komponisten Bebo Valdés eine herausragende Rolle. Zu ihm führt Regisseur Fernando Trueba aus: „Ich habe manche Teile des Buchs mit seiner Musik im Kopf geschrieben. Er war eine große Inspiration. Natürlich ist die Filmmusik von ihm, und wir haben ihm den Film gewidmet. So gesehen ist ‚Chico & Rita’ ganz von Bebos Geist erfüllt.“ Allerdings beruhe die Figur des Chico nicht gänzlich auf dem Musiker: „Chico ist eine Hommage an alle kubanischen Musiker dieser Epoche. Man findet in ihm etwas von Bebo, aber auch von Ruben Gonzalez und seiner Generation, von denen einige in Kuba geblieben sind und andere das Land verlassen haben.“

Insbesondere in den Musik-Szenen gelingen Designer Javier Mariscal und Animator Tono Errando eine hervorragende Anpassung der fließenden Bewegungen an die Musik. Optisch besticht „Chico & Rita“ durch eine realistische, insgesamt eher altmodisch, deshalb aber auch nostalgisch wirkende Zeichnung nach dem Konzept von Javier Mariscal. Die Bilder erhalten eine besondere Kraft in der unterschiedlichen Sicht der Städte. Animator Errando: „Havanna und New York sind zwei Figuren in diesem Film. New York ist eine vertikale Stadt, Havanna ist völlig horizontal. Havanna ist sehr sonnig und warm und hat eine reiche Farbpalette. New York ist dagegen fast monochrom. Das spielt im Film eine große Rolle.“ Leider entspricht das Drehbuch nicht der Qualität der Zeichnung und der Musik: Die Liebesgeschichte zwischen Chico und Rita mit all ihren Irrungen und Wirrungen wirkt arg klischeehaft. Im Unterschied zu den Animationsfilmen für Erwachsene, die in den letzten Jahren eine außergewöhnliche Zeichnung mit einem tiefgründigen Inhalt verknüpften, etwa „Persepolis“ (Marjane Satrapi, 2007) und „Waltz with Bashir“ (Ari Folman, 2008), glückt Regisseur Trueba diese Verknüpfung nicht. Deshalb scheinen die vielen Preise, mit denen „Chico & Rita“ ausgezeichnet wurde, darunter der Europäische Filmpreis 2011 für „Beste Animation“ oder die Oscar-Nominierung 2012 für „Beste Animation“ doch ein wenig zu viel des Guten zu sein.
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