OMA & BELLA | Oma & Bella
Filmische Qualität:   
Regie: Alexa Karolinski
Darsteller: (Mitwirkende:) Regina Karolinski, Bella Katz
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 75 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2012
Auf DVD: 10/2012


José García
Foto: Salzgeber

Auf schwarzer Leinwand sind Besteck- und Geschirrgeräusche zu hören, dann Kaffe und Kuchen zu sehen. Ein passender Beginn für den Dokumentarfilm „Oma & Bella“, in dem die Küche und das Kochen eine zentrale Rolle spielen. Für ihren Abschlussfilm an der New Yorker School of Visual Arts wählte Alexa Karolinski eine Dokumentation über ihre Großmutter Regina Karolinski und deren beste Freundin Bella Katz. Die zwei jüdischen Damen leben in Berlin-Charlottenburg. Obwohl Bella Katz noch ihre Wohnung besitzt, in der sie einmal in der Woche nach den Rechten schaut, zog sie vor fünf Jahren zu ihrer besten Freundin Regina Karolinski, nachdem sich diese einer Hüftoperation unterzogen hatte. „Es ist schlecht, allein zu sein“, sagen sie. „Alle unsere Freunde beneiden uns“. Die hochbetagten Frauen kochen offenbar für ihr Leben gern, beispielsweise eine Hühnerbrühe, die sie selbstverständlich „Hiehnerbriehe“ aussprechen. Denn Oma und Bella sind noch in Osteuropa in einer jiddisch geprägten Kultur aufgewachsen.

Oma und Bella sitzen hin und wieder auf nebeneinander stehenden Sesseln in einer klassischen Interviewsituation frontal zur Kamera. Dies ist allerdings die Ausnahme. Denn der Film begleitet die Protagonistinnen durch ihren Alltag, etwa beim Einkaufen auf dem Markt oder auch beim Metzger, der die besten Hühner für die beiden Damen zurücklegt, beim Frisör oder einfach bei einem Spaziergang durch das Viertel oder auch bei einer Bootsfahrt auf der Spree. Der eigentliche Interviewplatz ist aber die Küche von Omas Wohnung, wo Oma und Bella dem gut gefüllten Kühlschrank die Zutaten entnehmen, die sie zu Leckereien verarbeiten.

Während des Kochens oder auch beim Durchsehen von alten Fotoalben kommen den beiden älteren Damen die Erinnerungen, natürlich nicht chronologisch, sondern eher intuitiv in Verbindung mit einem Foto. Regina Karolinski wurde 1927 in Katowice geboren: „Als ich zwölf Jahre alt war, brach der Krieg aus, mit 14 war ich im Lager“. Im Arbeitslager im damaligen Reichsgau Sudentenland blieb sie bis zur Befreiung durch die Rote Armee. Bella Katz wurde 1923 in Vilnius geboren, 1941 mit ihrer Familie ins Ghetto deportiert. Als 1943 das Ghetto liquidiert wurde, gelang ihr die Flucht. Sie schloss sich der jüdischen Widerstandsbewegung an, bis die Rote Armee sie 1944 befreite. Zurück in Vilnius lernte sie ihren Mann Gdalia Katz kennen, mit dem sie im Dezember 1945 nach Berlin reiste. Eigentlich wollte sie von Berlin aus emigrieren, genauso wie Regina Karolinski. Die Auswanderung gelang jedoch nicht. Die beiden Frauen blieben in Berlin – bis heute. Nach dem Krieg „hat zunächst unser Herz geweint“. Dann wollten sie jedoch „ein bisschen nachholen“. Denn „uns ist unsere Jugend gestohlen worden“. Fotos aus der Nachkriegszeit zeigen sie mit ihren Männern mitten im Nachtleben. Allerdings hielt Reginas Ehe nicht lange, aber in Berlin bekam sie 1948 ihren Sohn Symcha, Alexas Vater.

Irgendwann einmal erzählen sie doch vom Krieg, von den Lagern und dem Holocaust, bei dem Bellas gesamte Verwandtschaft ermordet wurde. Als Regina aus dem Lager zurückkam, war bis auf ihre drei Brüder ihre gesamte Familie tot. Es beginnt mit der Begegnung mit einer alten Bekannten, die zwar die Frage bejaht („Ja, ich war in Auschwitz“), aber nicht darüber reden möchte. Dazu bemerkt Bella: „Sie waren in Auschwitz und in Birkenau, in den schlimmsten KZs – und sie werden keinen Ton darüber erzählen. Denn man will nicht noch einmal erleben, was man überlebt hat.“ Dennoch: Bella erzählt von den Geschehnissen nach der Befreiung durch die Russen: „Wir konnten zwei Tage lang machen, was wir wollten. Zwei Tage haben gereicht“. Was genau sie damit meine, fragt die entsetzte Regisseurin nach, worauf Bella antwortet: „Alexa, mit der gleichen Münze bezahlt, wenn man einen getroffen hat, der nicht in Ordnung war.“ Und auf die Frage: „Was – Hast Du jemand umgebracht?“ antwortet Bella: „Ich habe gesehen, wie man jemand umgebracht hat, ja“. Alexa Karolinskis Oma schaltet sich ein: „Damals war man nicht normal. Das Leben war nicht normalisiert“.

Darauf folgen weitere Erinnerungen, etwa wie Bellas Vater sich erhängt hat, als er ins Ghetto gehen sollte. „Jetzt siehst Du, warum man nicht darüber reden will. Ein Doktor sagte: ‚Alle, die überlebt haben, haben einen Knacks’. Ich träume noch immer davon, wie ich meinen Sohn und meinen Enkelsohn verstecken will. Es steckt in den Knochen und wird es immer bleiben. Und das ist mein Leben“. So lassen die zwei alten Damen, unterlegt von der unaufdringlichen Klaviermusik von Annette Focks, ihr Leben Revue passieren.

„Oma & Bella“ ist keine Dokumentation über Holocaust-Überlebende, sondern ein Film über zwei lebensfrohe ältere Damen mit einer unbändigen Kochleidenschaft. Gerade die Zubereitung der Gerichte ihrer Kindheit hilft ihnen, die Tradition lebendig zu halten. Obwohl sie fest mit beiden Füßen im Heute leben und gerne etwa auch Verwandtschaft empfangen, können sie die schrecklichen Erlebnisse im Krieg nicht vergessen. Gegen den eigenen Willen brechen sich die Traumata aus dem Krieg und dem Holocaust hin und wieder Bahn. Wie sagte doch Bella? „Das ist mein Leben“.
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