BERLINALE 2012 - GENERATION KPLUS / 14PLUS | Berlinale 2012 - Generation
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Land, Jahr: 0
Laufzeit: 0 Minuten
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Einschränkungen:
im Kino: 2/2012


José García
Foto: Berlinale

"Die Berlinale ist Deutschlands größtes Kulturereignis und ein riesiger Publikumserfolg.“ Darauf wies nicht ohne Stolz der langjährige Leiter der Internationalen Filmfestspiele, Dieter Kosslick, in einem kürzlich erschienenen Interview mit der „Zeit“ hin. Wenn heute der Startschuss für die 62. Berlinale gegeben wird, dann werden erneut in mittlerweile zehn verschiedenen Sektionen bis zum 19. Februar knapp vierhundert Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt. Von den während der letztjährigen Veranstaltung verkauften 300 000 Eintrittskarten wurden etwa 50 000 Karten von Kindern und Jugendlichen erworben, die Lang- und Kurzfilme in den Wettbewerben „Generation Kplus“ (für Kinder bis 14 Jahren) und „Generation 14plus“ (für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren) sahen. Im Jahre 2012 bestehen die „Kplus“- und „14plus“-Wettbewerbe aus zwölf beziehungsweise 15 Langfilmen. Hinzu kommen Kurzfilme in unterschiedlicher Länge.

Die Hälfte der Spielfilme im diesjährigen Wettbewerb für Kinder bis 14 Jahren handeln von Familien, in denen ein Elternteil fehlt. Bemerkenswert: Meistens geht es beim abwesenden Elternteil nicht um den Vater, sondern um die Mutter. So erzählt der niederländische Regisseur Boudewijn Koole in „Kauwboy“ stets auf Augenhöhe des Protagonisten vom zehnjährigen Jojo, der bei seinem immer wieder von Zornausbrüchen heimgesuchten Vater lebt. Jojo vermisst seine Mutter sehr, die er immer wieder anzurufen versucht. Als er eine kleine Dohle (niederländisch „Kauw“) im hohen Gras findet, kümmert er sich um sie. Im schwedischen Wettbewerbsbeitrag „Der Eisdrache“ von Martin Högdahl steht im Mittelpunkt der elfjährige Mik, der zusammen mit seinem Heavy Metal spielenden Vater und dem großen Bruder in Stockholm den Tod der Mutter verkraften muss. Allerdings trinkt der Vater allzu gerne, sodass Mik zu Tante Lena aufs Land geschickt wird. Entgegen anfänglicher Anpassungsschwierigkeiten fühlt er sich dort dank der coolen Pi und ihrer Hip-Hop-Gang wohl – allerdings glaubt das Jugendamt, ihn in eine Pflegefamilie geben zu müssen.

Den Tod der Mutter versucht auch die kleine Satchan in „Als hätte ich dich gehört“ des japanischen Regisseurs Kaori Imaizumi dadurch zu überwinden, dass sie ihren Ring um den Hals trägt, damit die Mutter sie beschützt.

Im amerikanischen Film „Arcadia“ reist ein Vater mit seinen drei Kindern quer durch die Vereinigten Staaten – das Schicksal der Mutter bleibt bis zuletzt verborgen. Die gemeinsame Trauerarbeit von Vater und Kindern, die Suche nach einer neugeordneten Geborgenheit steht denn auch im Mittelpunkt dieser Filme. Das Schicksal des vermissten Vaters thematisieren darüber hinaus, allerdings mit unterschiedlichem Ausgang, sowohl der indonesische Film „Meeresspiegel“ von Kamila Andini als auch der niederländische Wettbewerbsbeitrag „Gute Chancen“ (Regie: Nicole van Kilsdonk).

Im „14plus“-Wettbewerb spielt zwar ebenfalls die Abwesenheit der Mutter in einigen Beiträgen, etwa in dem auf einem Beststeller-Roman basierenden koreanischen Film „Wandeukyi“ („Punch“, Regie: Han Lee) sowie im israelischen Film „Orchim Lerega“ („Off White Lies“, Maya Kenig) eine Rolle. Bei den meisten „14plus“-Filmen steht jedoch die Liebe und die Entdeckung der eigenen Sexualität in verschiedenen Schattierungen im Vordergrund. Wird eine zarte Liebesgeschichte zwischen dem 18-jährigen Sam und der gleichaltrigen Mary im britischen Film „Comes A Bright Day“ (Regie: Simon Aboud) mit einem Juwelierladen-Einbruch verknüpft, so inszeniert der türkische Regisseur Reis Çelik in „Lal Gece“ („Night of Silence“) die Zwangsverheiratung einer 14-Jährigen mit einem viel älteren Mann als eine mit teilweise statischen, schön komponierten Bilder, an die „1001 Nacht“ erinnernde Nacht, in der das Mädchen den Vollzug der Ehe immer wieder hinauszögert.

Einen unbekümmerten, leichtfertigen Umgang mit Sexualität unter Jugendlichen, als Musical inszeniert, steht allerdings im Mittelpunkt der dänisch-schwedischen Produktion „Magi i Luften“ („Love Is In The Air“, Regie: Simon Staho). Der Einsatz der Sexualität als Bestandteil der Auflehnung gegen das Elternhaus wird darüber hinaus in einigen Filmen teilweise sehr explizit inszeniert, so etwa im mexikanischen Beitrag „Un mundo secreto“ („A Secret World“) von Gabriel Marino, der Geschlechtlichkeit als Schlüssel zur Befreiung darstellt, oder im chilenischen Film „Joven y Alocada“ („Young & Wild“, Regie: Marialy Rivas), dessen Protagonistin sexuelle „Experimentierlust“ einsetzt, um sich vom streng evangelikalen Elternhaus zu emanzipieren, wobei sie ihre Freunde zu ihren Zwecken benutzt – ohne zu bemerken, was für einen Schmerz sie ihnen verursacht. Eine kritische Auseinandersetzung darüber findet nicht statt.
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Interview mit Maryanne Redpath, Leiterin der Berlinale-Sektion „Generation“


Wächst die Zahl der bei „Generation“ eingereichten Kinder- und Jugendfilme noch immer? Gibt es dieses Jahr besondere Schwerpunkte?

Es werden immer mehr Filme eingereicht. Es kann sein, dass es mit den digitalen Möglichkeiten einfacher geworden ist, Filme zu drehen, obwohl es damit gewiss nicht einfacher geworden ist, qualitätsvolle Filme zu drehen. Mit mehr Filmen wächst auch die Internationalität. Wir haben Filme in seltenen Sprachen wie Wichi Lhamtés aus Argentinien und Aymara aus Bolivien oder Maori aus Neuseeland. Einige Regionen wie zum Beispiel die skandinavischen Länder sind fast immer vertreten, aber diesmal sind Filme aus Bolivien und Kuba zum ersten Mal im Programm.


Kann von einem lateinamerikanischen Schwerpunkt gesprochen werden?

So einen eindeutigen regionalen Schwerpunkt hatten wir lange nicht mehr. Dass aus diesen Ländern Filme über das Erwachsenwerden kommen, mag damit zusammenhängen, dass einige diese Länder auch gerade ihr filmisches „Coming of Age“ erleben. Ein solcher Schwerpunkt stellt sich jedoch im Nachhinein heraus, bei unserer Auswahl sind wir ganz offen. Natürlich versuchen wir zu verteilen. Wenn etwa sechs wirklich gute Filme aus einem bestimmten Land kommen, wird die Entscheidung richtig hart. Das gilt auch für die Themen: Wir möchten nicht zu viele Filme über ein einziges Thema haben, sondern ein buntes Bild, ein abwechslungsreiches Programm anbieten.


Was sind die thematischen Schwerpunkte im Programm der „Generation“ 2012? Es fällt etwa auf, dass in mehreren Filmen die Mutter abwesend ist.

Das ist der Fall in mehreren Filmen sowohl bei den „Kplus“- als auch bei „14plus“-Filmen. Aber auch Filme, in denen der Vater abwesend ist, finden sich im diesjährigen Programm. Bemerkenswert sind Filme, in denen nach dem Tod der Mutter nicht nur die Kinder, sondern auch der Vater Schwierigkeiten mit der Aufarbeitung hat. Dann müssen Kind und Vater an ihrer Beziehung neu arbeiten. Es ist immer hart für die Kinder, wenn ein Elternteil, aus welchen Gründen auch immer, abwesend ist. Denn Kinder sehnen sich nach Geborgenheit. Um sich entfalten zu können, müssen sie das Gefühl haben, zu Hause zu sein.


Bei den Jugendfilmen hatte man teilweise den Eindruck, dass die Protagonisten ausschließlich mit sich selbst beschäftigt sind. So benutzt etwa beim chilenischen Film „Young & Wild“ die Hauptfigur ihre Freunde, ohne einmal mitzubekommen, was sie ihnen antut. Heute gibt es allerdings auch viele Jugendliche, die sich etwa beim Volontariat für andere Menschen einsetzen. Dieser Aspekt scheint in dem diesjährigen „14plus“-Programm zu fehlen.

Das ist eine subjektive Sicht auf die Filme, die ich nicht teile – sonst hätte ich sie nicht ausgewählt. Ich glaube nicht, dass dieser egomanische Aspekt überwiegt. Im Gegenteil, ich sehe in den Filmen junge Leute, die mit Situationen zurechtkommen müssen, die andere verursacht haben und die sie auch nicht kontrollieren können. Sie gehen seelisch unter, wenn sie nicht aus ihrer evangelikalisch-fundamentalistischen Religionsgemeinschaft, aus ihrer dysfunktionalen Familie oder aus einer Kriegs- oder Unterdrückungssituation ausbrechen. Häufig sind Jugendliche dabei gänzlich auf sich alleine gestellt. Ich glaube, es ist dann ein Recht der Jugendlichen, zunächst einmal an sich selbst zu denken und herauszufinden, wo sie stehen. Wir können doch nicht erwarten, dass diese Jugendlichen die Probleme der Welt lösen. Wir werden mit Filmen regelrecht bombardiert, die sehr genau hinschauen, wie es jungen Menschen heute ergeht. Unsere Aufgabe besteht darin, an das Zielpublikum, an die Jugendlichen zu denken. Ich werde von Journalisten häufig gefragt, welchen filmpädagogischen Auftrag ich habe. Es ist nicht mein Auftrag, mit Kindern und Jugendlichen filmpädagogisch zu arbeiten, sondern ihnen ein altersgerechtes Angebot zu bieten. Ich merke immer häufiger, dass mein pädagogischer Auftrag darin besteht, mit Erwachsenen zu arbeiten. Die Erwachsenen sollten mehr mit Jugendlichen reden und schauen, was für Anstöße die Filme den Jugendlichen geben.


Angesichts dieser Erwachsenen, die ihr eigenes Leben oder auch die Erde zerstört haben, kann man wohl Jugendliche davor warnen, dass sie nicht auf diesen Weg geraten. Oder?

Ja, natürlich kann man Jugendliche davor warnen. Aber man hat kein Recht, den Jugendlichen zu sagen, was sie nicht tun sollen, wenn sie alltäglich erleben, wie sehr wir Erwachsene selbst daran schuld tragen. Wir dürfen nichts schönreden.
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