ANNE LIEBT PHILIPP | Jørgen + Anne = sant
Filmische Qualität:   
Regie: Anne Sewitsky
Darsteller: Maria Annette Tanderø Berglyd, Otto Garli, Aurora Bach Rodal, Vilde Fredriksen Verlo
Land, Jahr: Norwegen / Deutschland 2011
Laufzeit: 83 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2012
Auf DVD: 7/2012


José García
Foto: farbfilm

Über die erste Liebe handeln insbesondere sogenannte „Teenager-Filme“. Weil aber die erste Liebe Kinder offenbar immer früher trifft, beschäftigen sich inzwischen auch Kinderfilme mit den berühmten „Schmetterlingen im Bauch“ – so etwa auch der norwegische Eröffnungsfilm im letztjährigen „Kplus“-Wettbewerb der Berlinale „Jørgen + Anne = sant“, der nun unter dem Verleihtitel „Anne liebt Philipp“ im regulären Kinoprogramm startet. Basierend auf dem 1984 erschienenen Kinderbuch der norwegischen Autorin Vigdis Hjorth erzählen Drehbuchautorin Kamilla Krogsveen und Regisseurin Anne Sewitsky von einer Fast-Zehnjährigen und den Veränderungen in ihrem Leben, nachdem sie sich zum ersten Mal verliebt. Anne (Maria Annette Tanderød Berglyd) war schon immer ein Energiebündel. Allerdings verstand sie weder als Fünf- noch als Neunjährige, warum sie alles wie die anderen machen sollte. Beispielsweise, warum sie wie alle Mädchen Prinzessin spielen sollte, machte es ihr doch einfach mehr Spaß,zusammen mit den Jungs Wikinger zu sein. In einer schnellgeschnittenen Einführung stellt Sewitskys Film Annes Welt vor: Ihre Eltern und ihr älterer Bruder Ole, vor allem aber die anderen Kinder aus ihrer Klasse, etwa die hübsche Ellen (Vilde Fredriksen Verlo), die mit ihren langen, blonden Haaren nicht nur in Fernseh-Werbespots auftritt, sondern auch fast allen Jungs in der Klasse den Kopf verdreht hat. Annes beste Freundin Beate (Aurora Bach Rodal) hingegen findet sich mit ihren roten Haaren eher hässlich. Beate lebt bei ihrer strengen Großmutter, da ihre Eltern bereits gestorben sind. Sie hat sich nun in ihren Klassenkameraden Einar verliebt – was Anne gar nicht gut findet. Denn Liebe ist etwas für Erwachsene, nicht für Kinder.

Annes feste Überzeugung gerät jedoch ins Wanken, als Philipp (Otto Garli) in die Stadt und in ihre Klasse kommt. Philipps Familie zieht ausgerechnet in das Haus ein, das bei den Kindern als „Spukhaus“ bekannt ist, weil dort eine Frau herumgeistern soll: Vor Jahren verliebte sich Helga (Anna Jahr Svalheim) in einen Gleichaltrigen namens Luca – und wurde deshalb von ihrem Vater in die Wand eingemauert – oder sie stürzte sich von den Klippen ins Meer. Wer kann das genau wissen? Jedenfalls endete das Verliebtsein für Helga fatal, glauben wenigstens die Kinder. Helgas Geschichte wird nach und nach zu einem regelrechten Nebenstrang, in dem sich Annes Geschichte widerzuspiegeln scheint. Inszeniert wird diese Nebenhandlung mit den Stilmitteln des Gruselfilms mit ausgewaschenen Farben, spannungsgeladener Filmmusik und sogar aus der Tapete triefendem Blut. Diese Inszenierung kontrastiert mit den hellen, bunten Farben der Haupthandlung. Die Verknüpfung der beiden Handlungsstränge gelingt Anne Sewitsky ausgezeichnet – wie Helga fühlt sich Anne auch unglücklich verliebt. Denn alle Mädchen in ihrer Klasse sind von Philipp ganz angetan, insbesondere auch Ellen. Das will Anne unbedingt verhindern, auch wenn sie dafür auf nicht ganz lautere Methoden zurückgreifen muss.

„Anne liebt Philipp“ erzählt konsequent aus der kindlichen Perspektive, was Kamerafrau Anna Myking in hervorragende Bilder umsetzt. Erwachsene kommen in Sewitskys Film zwar kaum vor. Beates Oma oder Annes Mutter erscheinen jedoch im entscheidenden Augenblick, um Anne einen guten Rat mit auf den Weg zu geben. Dass die Kinder in bester skandinavischer Tradition fast unter sich bleiben, deutet insbesondere darauf hin, dass ihre Empfindungen und (Liebes-)Nöte ernst genommen werden. Dabei zeigt „Anne liebt Philipp“ nicht nur die schönen Seiten des Verliebtseins, sondern ebenso auch die Schattenseiten der ersten Liebe samt Eifersüchteleien und unschönen Intrigen. Wodurch auch die Kinder-Liebeswelt in größere Nähe der Erwachsenenwelt gerückt wird als zunächst vermutet. Deshalb erscheint es folgerichtig, dass sich Annes Mutter bei ihrer Tochter dafür entschuldigt, dass sie Annes Reifungsprozess viel zu spät gemerkt habe.

Wie so oft bei Kinderfilmen wird besonderer Wert darauf gelegt, sich selbst treu zu bleiben. So gibt Beates Großmutter Anne den Ratschlag: „Die Menschen neigen dazu, Dich nicht zu akzeptieren, wie Du bist und wollen Dich verändern. Lasse Dich nicht verbiegen, bleibe Dir treu, bleibe wie Du bist.“ Bei dieser Suche nach Authentizität setzt „Anne liebt Philipp“ ohne erhobenen Zeigefinger auf schmerzhafte Erfahrungen: Weil Anne nur auf ihr Gefühl hört, schlägt sie über die Stränge. Sie handelt unredlich, und stellt letztlich auch ihre Freundschaft zu Beate aufs Spiel. Dem Rat ihrer Mutter („Jeder macht einmal einen Fehler. Es kommt darauf an, was man daraus macht“) folgend, kann Anne aus ihrer selbstverschuldeten Isolation heraustreten.

Anne Sewitsky erzählt eine zwar bekannte Geschichte. Aber sie beschreibt diese kindliche Welt mit viel Witz und schönen Bildern dank auch einer ausgezeichneten Hauptdarstellerin. Allerdings ist „Anne liebt Philipp“ trotz der Altersfreigabe ab sechs Jahren für jüngere Kinder nicht nur wegen der Gruselgeschichte ungeeignet.
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