MELANCHOLIA | Melancholia
Filmische Qualität:   
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, Charlotte Rampling, Alexander Skarsgård
Land, Jahr: Dänemark / Schweden / Frankreich / Deutschland 2011
Laufzeit: 136 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 10/2011
Auf DVD: 4/2012


José García
Foto: Concorde

Lars von Trier gefällt sich offensichtlich in der Pose des Enfant terrible. Sein letzter Film „Antichrist“ stieß nicht nur durch seine kruden Stilmittel des pornografischen und des Horrorfilmes den Zuschauer ab. Darüber hinaus griff er auf eine Tiersymbolik zurück, die den Kinobesucher ratlos zurückließ, weil sie sich ihm überhaupt nicht erschloss. Da sein aktueller, nun im regulären Kinoprogramm anlaufender Spielfilm „Melancholia“ keine Provokation darstellt, brüskierte der dänische Regisseur auf der Pressekonferenz bei den Internationalen Festspielen Cannes mit Naziaussagen die Festivalleitung. In einer beispiellosen Reaktion erklärte sie Lars von Trier zur „unerwünschten Person“.

Bereits in der Anfangssequenz entfaltet „Melancholia“ auf der Leinwand eine dem Filmtitel entsprechende Stimmung: Die Schauspielerin Kirsten Dunst blickt schwermütig in die Kamera, ein Breughel-Bild geht in Flammen auf, tote Vögel fallen vom Himmel, ein schwarzer Hengst bricht einfach zusammen. Dazu kommen sich, unterlegt von Wagners wehmütiger Musik aus „Tristan und Isolde“, zwei Planeten bedrohlich nahe. Betörend schöne Bilder, die sich zunächst kaum erschließen, weil sie dramaturgisch in den letzten Akt von „Melancholia“ gehören.

Wie in seinen früheren Filmen teilt Lars von Trier „Melancholia“ in zwei Kapitel mit jeweils einem Frauennamen als Titel ein: „Justine“ heißt das erste, in dem es um die Hochzeit von Justine (Kirsten Dunst) und Michael (Alexander Skarsgard) geht. Mit ausgiebigem Gebrauch der Handkamera und ständigen Zooms, die an frühere Filme der vom dänischen Regisseur ins Leben gerufenen „Dogma“-Bewegung erinnern, erlebt der Zuschauer eine absurde Hochzeitsfeier, die sich wie eine neue Version von Thomas Vinterbergs erstem Dogma-Film „Das Fest“ ausnimmt, in dem sich bei einer Familienfeier plötzlich der Hass Bahn brach. Das Hochzeitspaar erreicht mit reichlich Verspätung das malerisch zwischen Wald und Wasser gelegene Anwesen mit riesigem Golfplatz und Pferdeställen von Justines Schwester Clara (Charlotte Gainsbourg) und deren Mann John (Kiefer Sutherland). Claire macht sich schon Sorgen, der exzentrisch-penible Hochzeitsplaner (Udo Kier) wird ungeduldig, während am Himmel der rote Stern Antares unwirklich groß erscheint. Amüsiert sich Justines Vater Dexter (John Hurt) mit den Damen an seinem Tisch, so lässt seine geschiedene Frau Gaby (Charlotte Rampling) unmissverständlich ihre negative Meinung über die Ehe hören. Der Trauzeuge des Bräutigams und Justines Chef in einer Werbeagentur, Jack (Stellan Skarsgård), versucht ihr während der Feier einen Werbeslogan für die neue Kampagne zu entlocken.

Die Depression, in die Justine während der Feier fällt, und die sie immer wieder von ihrem eigenen Hochzeitsfest entfernen lässt, hat sich im zweiten, „Claire“ überschriebenen Filmteil so sehr verschlimmert, dass Claire ihre jüngere Schwester zu sich nach Hause holt. Sie hofft, mit ihrer Pflege und den gemeinsamen Ausritten Justines Melancholie zu vertreiben. Allerdings quält sich Claire zusehends mit Ängsten. Denn inzwischen ist es allgemein bekannt, dass der Planet Melancholia, der zehnmal größer ist als die Erde, sich mit beachtlichem Tempo auf eben diese zubewegt. Im Internet finden sich allerlei Spekulationen darüber, was passieren könnte. Auch wenn ihr Ehemann John sie davon zu überzeugen versucht, dass es nicht zu einem Zusammenprall kommen wird, macht sich die sonst so besonnene Claire Sorgen – im Unterschied zu Justine, die angesichts der drohenden Katastrophe eine bemerkenswerte Gelassenheit an den Tag legt.

„Melancholia“ ist ein Film voller Paradoxien: Nicht nur weil angesichts des imminenten Weltuntergangs die depressive Justine zur lange vermissten Besonnenheit findet, während die stets beherrschte Claire einer lähmenden Teilnahmslosigkeit anheim fällt. Darüber hinaus kontrastiert die von der Handkamera erzeugte, nervöse, gespannte Stimmung mit Bildern ausgesuchter Schönheit, die zu künstlerisch arrangieren Tableaus gefrieren – etwa im auf dem Filmplakat abgebildeten, John Everett Millais‘ „Ophelia“ nachempfundenen Bild der Braut im Fluss, oder auch bei der unter einem märchenhaft-silbrigen Licht schreitenden Justine im Brautkleid, die von den sichtbar gewordenen Fäden der Melancholie zurückgehalten wird.

Mit Terrence Malicks „The Tree of Life” (siehe Filmarchiv) teilt Lars von Triers Film zwar den kosmischen Gestus. Entgegengesetzter könnten die beiden Filme indes kaum sein. Zwar verknüpfen sie in schönen Bildern jeweils eine „Makro-„ mit einer „Mikrohandlung“, wodurch die Geschichte einer Familie mit dem Werden und Vergehen der Erde verwoben wird, aber der jeweilige Standpunkt könnte kaum verschiedener sein: Versucht Malick Schöpfung und Evolution filmisch miteinander zu vereinbaren, das Leben als Geschenk in einem Film darzustellen, in dem der Schöpfergott eine zentrale Rolle spielt, so gibt sich Lars von Trier einer fatalistischen Weltuntergangsstimmung hin, in der Gott keinen Platz findet.
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