WIN WIN | Win Win
Filmische Qualität:   
Regie: Tom McCarthy
Darsteller: Paul Giamatti, Alex Shaffer, Melanie Lynskey, Amy Ryan, Jeffrey Tambor, Bobby Cannavale, Burt Young, Margo Martindale, Mike Diliello
Land, Jahr: USA 2011
Laufzeit: 106 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: D
im Kino: 7/2011
Auf DVD: 1/2012


José García
Foto: 20th Century Fox

Mit nur zwei Spielfilmen machte sich der 1966 geborene Tom McCarthy in der amerikanischen Independent-Szene einen Namen. Bereits sein Spielfilmdebüt „Station Agent“ (siehe Filmarchiv) gewann im Jahre 2003 beim „Sundance Film Festival“, die den außerhalb Hollywoods entstandenen Filmen eine Plattform bietet, mehrere Auszeichnungen, darunter den Publikumspreis. Seine herausragende Fähigkeit für Charakterzeichnung und einfühlsames Erzählen stellte Drehbuchautor und Regisseur McCarthy mit seiner zweiten Regiearbeit „Ein Sommer in New York – The Visitor“ (siehe Filmarchiv) auf dem Sundance-Filmfestival 2008 erneut unter Beweis. Seine dritte, nun im regulären deutschen Kinoprogramm anlaufende Regiearbeit „Win Win“ wurde auf dem diesjährigen Sundance-Festival ebenfalls mit viel Lob aufgenommen.

„Win Win“ handelt von Mike Flaherty (Paul Giamatti), einem Rechtsanwalt aus dem ländlichen New Jersey, dessen Praxis mehr schlecht als recht läuft. Leidenschaftlich trainiert Mike eine Ringkampf-Mannschaft zusammen mit Stephen Vigman (Jeffrey Tambor). Allerdings sind die Jungs aus dem Ringkampf-Verein im Sport genauso wenig Siegertypen wie Flaherty in seinem Beruf. Ruhender Pol im Leben des kleinen Anwalts ist seine Familie, seine Frau (Amy Ryan) und die zwei kleinen Töchter. Als die Schulden den Anwalt zu erdrücken drohen, lässt sich Mike auf ein mehr als zweifelhaftes Geschäft ein: Er setzt sich als gesetzlichen Vormund eines demenzkranken Mandanten (Burt Young) ein und kassiert dafür Geld, steckt aber den alten Leo gegen dessen Willen in ein Altersheim, weil für ihn dessen Betreuung zu viel Arbeit bedeuten würde. Eines Tages taucht Leos Enkel Kyle (Alex Shaffer) auf. Da sich Kyle weigert, zu seiner drogensüchtigen Mutter Cindy (Melanie Lynskey) zurückzukehren, nehmen ihn die Flahertys bei sich auf. Daraus entsteht langsam eine Vater-Sohn-Beziehung, zumal sich Kyle auch noch als hervorragender Ring-Kämpfer herausstellt. Für alle Beteiligten scheint daraus eine „Win Win“-Situation zu entstehen. Als aber Cindy auf der Bildfläche erscheint und die Rückkehr ihres minderjährigen Sohnes fordert, und Kyle auch noch von den unsauberen Methoden Mikes im Umgang mit seinem Großvater erfährt, droht die mühsam konstruierte Situation aus den Fugen zu geraten.

Bei allen Story-immanenten Unterschieden fallen die Gemeinsamkeiten in allen drei McCarthy-Filmen ins Auge. Dies ist zunächst einmal auf die Inszenierung zurückzuführen: Sowohl in „Station Agent“ als auch in „The Visitor“ und nun in „Win Win“ verfilmt Tom McCarthy ein selbstverfasstes Drehbuch. Darüber hinaus arbeitet er mit demselben Team: Die Kamera wird in allen drei Filmen vom Deutschen Oliver Bokelberg geführt, den Schnitt besorgt ebenfalls in den drei McCarthy-Filmen Tom McArdle. In der Zusammenarbeit zwischen Kamera und Schnitt entstehen klassische Bilder und Sequenzen, in denen sich nicht die Kamera bewegt, sondern der Darsteller vor der Kulisse. Ähnliches gilt für die Filmmusik, die kaum stimmungsfördernd eingesetzt wird.

Wie bereits in „Station Agent“ und in „The Visitor“ spielt in „Win Win“ die eigentliche Handlung eine eher untergeordnete Rolle. Deshalb ist die etwa von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden bemängelte „wenig überraschende Entwicklung der Handlung hin zu ihrem voraussehbaren Ende“ letztlich kaum ausschlaggebend. McCarthy geht es stets vielmehr um die Charakterzeichnung seiner Figuren. Deshalb verleiht er seinen Geschichten ein wohldosiertes Tempo, in dem das Drehbuch nach und nach Informationen liefert. Bei der Charakterzeichnung setzt Regisseur McCarthy insbesondere jedoch auf das glaubwürdige Spiel seiner Hauptdarsteller.

Paul Giamatti verkörpert den erfolglosen, resignierten Anwalt Mike Flaherty mit ähnlicher Körpersprache wie Richard Jenkins den desillusionierten Wirtschaftsprofessor in „The Visitor“. Dass sich seine Filmfigur in „Win Win“ von Barney Panofsky im gerade angelaufenen „Barneys Version“ (siehe Filmarchiv) so verschieden ausnimmt, unterstreicht erneut die ungeheure Wandelfähigkeit des Charakterdarstellers Paul Giamatti. Ähnliches gilt für Amy Ryan: Nach ihrer Rolle als drogenabhängige Mutter in „Gone Baby Gone  Kein Kinderspiel“ (2007) gestaltet Amy Ryan Mikes Frau mit einer Mischung aus Verletzlichkeit und Stärke, die an die von Patricia Clarkson verkörperte Olivia in „Station Agent“ erinnert. McCarthys hervorragende Schauspielerführung wird besonders deutlich in der Figur des Kyle: Der Schauspiel-Debütant Alex Shaffer fügt sich in die Reihe der vielschichtigen Charaktere problemlos ein.

Über die nuancierten Charaktere hinaus stehen im Mittelpunkt von „Win Win“ insbesondere die Beziehungen zwischen höchst realistisch anmutenden Menschen, bei denen die Familie eine besondere Rolle spielt: Über die kleinen und großen Differenzen hinweg führt das Ehepaar Flaherty ein harmonisches Miteinander, das dem jungen Kyle die Geborgenheit bietet, die er bis dahin nicht kennengelernt hatte.
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